Die Gäste werden beim Mittagstisch der Religionen mit selbst gekochten Speisen wie Bulgur und Joghurtsuppe verwöhnt. Zum Dessert gibt es einen Vortrag über die schwierige Situation der Christen im Nahen Osten.

Stuttgart - Das Tischgebet darf nicht fehlen. Sieben Frauen von der syrisch-orthodoxen Kirche haben sich hinter gefüllten Weinblättern, Bulgur und Joghurtsuppe aufgestellt. Sie schließen die Augen und singen das Vaterunser – auf Aramäisch und voller Herzblut. Gerade als die Frauen beim Mittagstisch der Religionen das Buffet für die 80 Kirchentagsbesucher freigeben wollen, betritt Julius Hanna Aydin, Bischof der syrisch-orthodoxen Kirche, den Gemeindesaal. Seine Ansprache ist kurz und voller Witz. „Wir sprechen Aramäisch, die Sprache Christi“, lässt er die Besucher wissen. „Wenn ihr alle gut gespeist habt bei den Aramäern, kann euch im Himmel nichts passieren.“

 

Zum Dessert ein Vortrag über den Nahen Osten

Dreizehn Gemeinden, darunter vier muslimische und eine buddhistische, haben zum Mittagstisch der Religionen geladen. Die Menschen sollen zusammen speisen und im Gespräch bei Tisch die religiöse Vielfalt der Stadt erleben, so die Idee der Kirchentagsorganisatoren. Für die Veranstaltung am Samstag im Gemeindezentrum von St. Maria haben sieben Frauen der syrisch-orthodoxen Kirche in Bietigheim (Kreis Ludwigsburg) zwei Tage lang in der Küche gestanden. „Alles Hausrezepte und bio, gekocht von erfahrenen Frauen, die für die Familie und oft auch für die Gemeinde kochen“, versichert deren Sprecherin Rihani Tok. Fast alle Frauen der Bietigheimer Gruppe stammen aus dem Dorf Midin im kurdischen Teil der Türkei nahe der Grenze zu Syrien, fast alle leben mit ihren Familien seit Jahrzehnten in der Region. „Unser Volk ist über viele Länder des Nahen Ostens verteilt“, erklärt Bischof Aydin nach dem Essen.

Der Nachtisch beim Mittagsmahl der Religionen ist schwer verdaulich. Zum Dessert serviert das Kirchenoberhaupt den Besuchern einen Vortrag über die schwierige Situation der Christen im Nahen Osten. „Jeder, der nicht zum Islamischen Staat gehört, muss geköpft werden, egal ob Christ, Jeside oder Mandäer. Auch die Muslime, die nicht so sind wie die IS-Anhänger, müssen um ihr Leben fürchten.“ Aydin berichtet von 160 000 syrisch-orthodoxen und 450 000 jesidischen Flüchtlingen, „die in Kurdistan auf Hilfe warten wie kleine Vögel auf ihre Mutter“. Die katholische und evangelische Kirche würden helfen, auch seien 110 Millionen Euro von der Bundesrepublik Deutschland geflossen, aber alle Hilfe reiche nicht aus. „Wir wollen, dass die Christen in ihren jeweiligen Heimatländern unterstützt werden, damit sie bleiben können“, sagt Bischof Aydin.

Schwesterkirchen sollen Sprachkurse organisieren

Zu sprechen kommt das Kirchenoberhaupt auch auf die Situation der syrisch-orthodoxen Christen in Deutschland. „Wir sind gut integriert, wir sind Deutsche, viele von uns sind Akademiker.“ Den christlichen Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, versuche seine Kirche zu helfen und von den Schwesterkirchen Hilfe zu holen. „Wir hoffen darauf, dass die katholische und die evangelische Kirche Sprachkurse für die aramäischen Frauen in den Flüchtlingsheimen organisieren, damit sie sich schnell zurechtfinden können.“

Den geflohenen Christen helfen auch die Bietigheimer Frauen. „In den vergangenen Monaten sind 15 Familien nach Bietigheim gekommen, eine davon wohnt in unserem Gemeindehaus“, erzählt Rihani Tok. Die Frauen würden die Familien unterstützen, wo sie nur könnten. „Wir sammeln aber auch Geld für die Christen im Nahen Osten“, erzählt Tok, während sie das Geschirr von den Tischen abträgt.

Die Gäste haben sich dankend verabschiedet, Tok ist erleichtert: „Ich bin froh, dass das Essen für alle gereicht hat.“