Der Jongleur Christian Rogers ist das Aushängeschild des Esslinger Mittelaltermarkts. Er sagt: „Ein Geschichtenerzähler darf nie Lampe sein und das Publikum blenden. Er muss ihm den Spiegel vorhalten, damit es sich selbst erkennt.“

Esslingen - Chris Rogers ist fraglos das Gesicht des Esslinger Mittelaltermarkts. Das „schönste Gesicht, das interessanteste Gesicht, das attraktivste Gesicht“ würde er in aller Bescheidenheit selbst sagen. Seit zehn Jahren begeistert der Jongleur und Geschichtenerzähler aus Wales sein schwäbisches Publikum.

 

Die halbe Stunde, die er als Fleapit auf der Bühne steht, macht er höheren Blödsinn. Das ist sein Job, drei- bis viermal am Tag, drei Wochen lang. Wer aber da schon genau hinhört, auf die Zwischentöne achtet, sich nicht vom Schein der wirbelnden Fackeln blenden lässt, bekommt einen Eindruck davon, dass sich hinter diesem Gesicht viel mehr verbirgt als nur ein begnadeter Spaßmacher.

Nie Lampe, immer nur Spiegel

Die Fackel in seiner Hand ist, im übertragenen Sinne, der Schlüssel zur Person und zur Philosophie des Geschichtenerzählers Christian Wingrove-Rogers. Sie blendet wie die Lampe. Sie verschafft ihm die notwendige Aufmerksamkeit, aber sie hat keine eigene Botschaft. „Ein Geschichtenerzähler sollte nie die Lampe sein, sondern immer nur der Spiegel“, sagt der Gaukler. Die Lampe, das sei das Instrument der Politiker und der Religionsführer. „Sie beleuchtet immer nur einen Teil der Wirklichkeit und lässt den Rest im Dunkeln zurück“, sagt er. Im Spiegel dagegen sieht sich das Publikum selbst – und nur sich selbst. Diesen Spiegel hält er den Menschen vor – ohne Unterschied nach Stand und Herkunft.

Wer sonst, wenn nicht er, der ewige Gaukler, darf das, ohne Nachteile in Kauf zu nehmen? „Ich habe die Narrenfreiheit, und weil ich sie habe, muss ich sie nutzen und Debatten und Gedanken eine Richtung geben“, sagt er und beruft sich auf eine lange Tradition. Schon im Mittelalter sei das Verbreiten von Nachrichten die Aufgabe seiner Zunft gewesen. Wie seine Vorfahren im Geiste hat Christian Rogers in Prinzenpalästen gespielt – etwa vor dem Kronprinzen von Doha in Katar.

Vom Prinzenpalast in die Waisenhäuser

Er hat sein Wissen um die Macht der Erzählung in Workshops weitergegeben – vor Unternehmensführern und Wirtschaftsbossen. Und er hat den Kindern der Eliteschule St. Andrews wie auch den Schülern einer Waisenschule in Nairobi die Botschaft vermittelt, die ihn das Leben selbst gelehrt hat: „Ihr seid stark. Wenn ihr euch selbst erkennt, dann könnt ihr euren Weg gehen. Egal, wie mühsam er ist und wie groß die Widerstände auch sein mögen.“

Diese Botschaft transportiert er in seinen Geschichten, von denen er mehr als 300 im Kopf abgespeichert hat. Potentaten nehmen sie ihm ab, Führungskräfte – und die Kinder. Denn er ist den mühsamsten aller Wege selbst gegangen, 33 Jahre lang auf den Straßen und Plätzen dieser Welt. „I am bringing the skills, that I have learned on the streets and in the theatres of the world, in my life, into classrooms“, sagt er nun.

Der Künstler unterstützt ein Hilfsprojekt in Kenia

Auf seiner mehrmonatigen Erzähltour durch Afrika im Dienste der Theatre Company of Kenia ist Christian Rogers am Fuße des Mount Kenia auf ein Hilfsprojekt gestoßen, das ihn berührt hat. Einen Teil des Erlöses für sein Buch, an dessen letzten Kapiteln er gerade arbeitet, hat er dem Verein Kinderhilfe Kenia versprochen. Mit dem Geld sollen hochtraumatisierte Kindern eine neue Heimat in einem Kinderdorf bekommen.

Seit ein paar Monaten bringt er seine Vision von der heilenden Kraft der Erzählung („The power of storytelling“) auch in die Krankenhäuser der Republik. Dort liegt die Zeitschrift „Blickpunkt“ aus, das zentrale Informationsmedium der Initiative Selbsthilfe Multiple-Sklerose-Kranker in Deutschland. Für das vierteljährlich erscheinende Magazin schreibt er eine regelmäßige Kolumne über die heilende Kraft des Geschichtenerzählens.

Christian Rogers nennt, in Anlehnung an seinen walisischen Landsmann, den Philosophen Bertrand Russell, vier Sachen, die ihn als Geschichtenerzähler bewegen und die er seinem Publikum vermitteln will: die Suche nach Wahrheit, die Suche nach Liebe, die Liebe zum Wissen und die bedingungslose Barmherzigkeit mit Menschen, die weniger haben als andere. Er weiß, dass er weiter suchen wird, auch wenn er irgendwann einmal nicht mehr auf der zugigen Bühne steht und dort den Gaukler gibt. Aber noch ist das sein Job. Drei- bis viermal am Tag, drei Wochen lang – auf dem Mittelaltermarkt in Esslingen.