Mittelaltermarkt in Böblingen Mit dem Mittelalter in den Aufschwung

„Den Daumen einknicken und aus der Mitte raus den Rand formen“, sagt der Töpfer Peter Hannemann Foto: /Stefanie Schlecht

Erst wurde der Platz belebt, jetzt ist er beliebt: Der allzuoft verwaiste Marktplatz in Böblingen hat mit dem Mittelaltermarkt und den daran angeschlossenen Märchentagen einen sehenswerten Aufschwung hingelegt. Drei Tage währte das Spektakel.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Peter Hannemann dreht am Rad. Hinter der Stadtkirche beim Böblinger Mittelaltermarkt steht er vor der Töpferscheibe mit einem Bart so lang wie die Geschichte des Töpferns und so weiß wie sein Leinenkittel. „Jetzt den Daumen einknicken“, kommandiert er, „immer in die Mitte drücken!“ Der Tonzylinder baucht sich, wächst in die Höhe.

 

Sein Hobby waren immer schon Räder. Dumm nur, dass es Fahrräder waren, die mit dem Schwungrad der Töpferscheibe nur eines gemeinsam haben: die Speichen. „Machen Sie den Rand glatt“, sagt er, „immer gleichmäßig bewegen“, sagt er, „immer mit dem Daumen rauf und runter streichen.“

Die Kinder mussten helfen

Wie kaum eine andere Maschine ist das Rad das Symbol des Mittelalters. Vom König zum Bettelmann und wieder zurück auf den Thron. Rota vitae, das Rad des Lebens. Diese Darstellung ziert nicht umsonst die Handschrift der mittelalterlichen Carmina Burana: Du kannst tief fallen, heißt es, und du kannst es wieder schaffen. Peter Hannemann begann als Bettelmann. Er kommt aus einer Flüchtlingsfamilie, der Vater war auf Montage, die Mutter musste die drei Kinder durchbringen, was auch bedeutete, dass alle zum Lebensunterhalt beitragen musste. Das hieß nicht nur Hasen füttern und die Hühner schlachten, das hieß auch, nach der Schule und dem Mittagessen raus auf den Acker. Dort für den Bauern Kartoffeln hacken und als Lohn einen Sack Kartoffeln mit heimbringen. „Wie im Mittelalter“, sagt Peter Hannemann, „Arbeitskraft gegen Lebensmittel.“

Peter Hannemann hat Hände so groß wie Bratpfannen, Hände, die vom Arbeiten so kräftig geworden sind. „Und wissen Sie was“, sagt er, „ich möchte keinen Tag missen.“ Er lernte Radio- und Fernsehtechniker, er lernte Elektroinstallateur und wurde dann Fernfahrer, rollte auf seinen Reifen bis in den Irak, bis nach Saudi-Arabien, und als er dann doch etwas zur Ruhe kam, wurde er Abteilungsleiter beim Bosch in der Produktion, da wurde er glücklich. „Ich habe bis zum letzten Tag geschafft“, sagt er. „Mir konnte keine Maschine kompliziert genug sein, um sie zu bedienen.“

Ein einfaches Gerät

Die mittelalterliche Töpferscheibe dagegen ist ein eher einfaches Gerät. Unten ein Schwungrad, das mit dem Fuß angetrieben wird, oben ein Topf, der trotz des theoretischen Gleichgewichts aus Fliehkraft und Gegenkraft ziemlich schräg daher wackelt.

Als Peter Hannemann in Rente ging, wurde ihm klar, dass seine Ehe ziemlich schnell unter die Räder kommen würde, wenn er nicht gegensteuerte. Seine Frau hatte sich mit der japanischen Töpferkunst des Raku-Brennens einen Namen gemacht und würde daheim sitzen und töpfern, er würde mit seinem Hobby Fahrradfahren irgendwo auf der Straße unterwegs sein.

Einen Winter sägen und schleifen

Sie hatten ein Mittelalterfest bei Koblenz besucht, dort war der Töpfer ausgefallen, und seine Frau half aus. Peter Hannemann wusste, so konnten sie wieder etwas gemeinsam erschaffen. Er fuhr nach Höhr-Grenzhausen im Westerwald, wo es ein Töpfermuseum gibt und eine Hochschule für Töpferei. Er betrachtete die mittelalterlichen Töpferscheiben. Er war Techniker, er wusste, er würde sie nachbauen können. Ein Jahr ließ er Abfallholz trocknen, einen Winter sägte und schliff er sich die Bretter zurecht, dann hatte er die Töpferscheibe kopiert.

Von den etwa 6000 Besuchern, die der Markt an den drei Tagen hat, kommen etliche bei ihm vorbei und drehen ihr Ding: Schalen, Vasen, Krüglein, die Kinder, deren Beine noch nicht auf den Boden zur Schwungscheibe reichen, dürfen sich kleine Figürchen kneten. Etwa 45 Marktstände bevölkern den Marktplatz von Böblingen. Ein Platz, der oft als langweiligster Marktplatz in Deutschland verspottet worden ist. Das Stadtmarketing wusste lange nicht, wie man ihn beleben sollte. „2018 hatten wir die Idee mit den Märchentagen“, sagt die Prinzessin am Stand des Stadtmarketings, „2019 haben wir den Mittelaltermarkt dazu genommen.“ Neben dem Töpferstand von Peter Hannemann dudelt eine Mittelalter-Band, etwa zehn davon hat die Prinzessin, die City-Managerin Kira Morgan, engagiert. Eine verkleidete Fee fasst eine Kette kleiner kostümierter Kinder an den Händen und tanzt mit ihnen Ringelreihen, das Publikum klatscht dazu. Peter Hannemann lässt die Töpfe und Schalen in der Sonne trocknen. Dann dreht er wieder an der Scheibe. Seine Riesenhände können nicht ruhen.

Weitere Themen

Weitere Artikel zu Mittelaltermarkt Böblingen