Neues Management im Mittelstand – daran führt kein Weg vorbei. Es braucht mehr Leidenschaft und Aufbruch. Ein Gastbeitrag.

Stuttgart - Am Anfang standen eine Idee, ein fester Gedanke und ein Gründer. Angetrieben, ja regelrecht besessen von einem Problem, das er lösen und damit die Welt verbessern wollte. Heute hören Unternehmer weniger auf ihr Gespür. Sie lassen sich in Bezug auf ihre Strategie von externen Experten beraten und richten ihr Geschäft auf der Basis von bewährten Finanzkennzahlen in die Zukunft aus.

 

Dieses Szenario dürfte in vielen mittelständische Unternehmen der Realität entsprechen. Diese Strategie ist sogar sehr erfolgreich, denn der deutschen Wirtschaft geht es so gut wie lange nicht mehr und viele Unternehmen können auf Jahrzehnte lange Wachstumsgeschichten zurückblicken.

Bisheriges Erfolgsrezept wird zum Hemmschuh

Doch eben dieser Erfolg entwickelt sich zum größten Hemmschuh im Zeitalter des digitalen Wandels. Viele Entscheidungen, die gestern noch korrekt waren, sind heute eher hinderlich und werden mehr und mehr zu einem unüberwindbaren Problem im gnadenlosen Wettlauf in der digitalen Wirtschaft.

Für mich steht schon lange fest, dass sich Unternehmen hierzulande radikal ändern müssen, um auch in einer digitalen Welt weiterhin zu den (Hidden) Champions zu gehören.

Der erste und wichtigste Schritt ist ein Wechsel im Personal und im Denken. Wir müssen unsere Perspektive auf die Dinge grundlegend ändern. Die Zeiten, in denen Manager fernab der Praxis die Geschicke der Unternehmen gelenkt haben, sind vorbei. Unternehmer und ihre Führungsebene müssen wieder an Deck, mit anpacken und die Segel setzen.

In Zeiten des Wandels, in denen vieles hinterfragt wird, um Antworten für die Zukunft zu finden, müssen sich Unternehmer klar auf ihre Wurzeln besinnen. Es geht nicht darum, mit allem zu brechen, was vorher gültig war. Sie müssen sich stattdessen die Fragen stellen: Warum bin ich vor vielen Jahren angetreten? Wofür stehe ich ein?

Neues Management im Mittelstand stellt das Warum an den Anfang

Menschen müssen und wollen in ihrem Tun einen Sinn sehen. Erst der Sinn macht eine Aufgabe wertvoll, also damit auch die Arbeit, sich dafür einzusetzen. Für jemand anderen (beispielsweise für den Unternehmer) Geld zu verdienen, ist keine wirklich sinnvolle Aufgabe. Auch für sich selbst Geld zu scheffeln, ist nur begrenzt sinnvoll. Beides ist kein ausreichender Antrieb, um sich jeden Tag zu engagieren.

Der Antrieb im Alltag klappt nur, wenn man etwas mit großer Leidenschaft macht oder einer inspirierenden Vision folgt. Wie Thomas Edison, der für die Erfindung der Glühbirne rund 9 500 kleine Kohlefäden ausprobierte, bis er den einzigen fand, der die Glühbirne dauerhaft zum Leuchten brachte. Ohne seine Vision einer hellbeleuchteten Großstadt wie New York hätte er nach einigen Dutzend Versuchen sicher aufgegeben. Aber er wollte die Dunkelheit bannen.

Auch wenn Sie kein Edison sind, stellen Sie sich folgende Fragen:

-Was treibt mich persönlich an?

-Warum bin ich Unternehmer geworden oder warum will ich ein Unternehmen gründen?

-Was ist meine Vision und was will ich ändern?

-Warum gibt es mein Unternehmen?

-Was macht speziell mein Unternehmen attraktiv für Mitarbeiter, Kunden und andere Partner?

Die Menschen in den Mittelpunkt stellen

Motivation ist immer intrinsisch, heißt: Der Mensch muss immer einen Sinn in seinem Tun sehen. Den sieht er aber nicht, wenn er nicht eigenständig handeln kann und nur Erfüller von Vorgaben ist. In unseren Unternehmen arbeiten viele leidenschaftliche, kreative und ideenreiche Mitarbeiter. Wir müssen ihnen aber auch den entsprechenden Freiraum geben und die Möglichkeit bieten, sich zu entfalten.

Menschen können sich am besten entwickeln, wenn sie von unsinnigen Vorschriften und starren Regeln befreit sind. Es sind Vorschriften und Vorgaben, die das Denken einschränken und Innovationen verhindern. Wir müssen uns endlich von den Managementmethoden aus dem vorigen Jahrhundert verabschieden und in der Gegenwart und Zukunft angemessene, neue Modelle entwickeln. Dafür müssen sich die Methoden der Führenden ändern.

Neues Management im Mittelstand heißt für mich den Startup Code zu verwenden – also die Methoden die junge, bewegliche Firmen entwickelt haben. Dies schafft die Grundlage für eine gute Führung, geprägt von Zugänglichkeit, Zuständigkeit und Zielorientierung. Andere nennen es Vertrauen, Verantwortung, Verbindlichkeit. Es geht immer darum, dass Führungskräfte weder Antreiber noch Kontrolleure ihrer Mitarbeiter sein sollten, sondern eher ein Coach, der mit ihnen gemeinsam ihre Stärken entwickelt und ihre Schwächen auszugleichen versucht.

Für die Innovationskraft eines Unternehmens führen nach neuesten Erkenntnissen übrigens nicht durchdachte Innovationsprozesse, immense Ausgaben in Forschung und Entwicklung oder viele Verbesserungsvorschläge zum Ziel. Für die Innovationskraft eines Unternehmens ist entscheidend, dass in der Chefetage Querdenker sitzen. Querdenkende Chefs sorgen nicht nur für gute Arbeitsbedingungen und unterstützen eine partnerschaftliche Unternehmenskultur, sondern mischen selbst kräftig mit. Sie beobachten zum Beispiel Kunden, Lieferanten und Wettbewerber sehr genau, um neue Ansätze zu entdecken.

Sind Sie ein Querdenker, ein Chef, der coachen kann?

-Unterstütze ich die Persönlichkeitsentwicklung meiner Mitarbeiter und unterstütze ich sie bei der Erreichung ihrer persönlichen/privaten Ziele?

-Erhalten meine Mitarbeiter konkrete Zielvorgaben, Lob und Anerkennung?

-Sind Toleranz, Neugier und Lernen Werte, die in meinem Unternehmenskultur gelebt und gefördert werden?

-Wird Unvorhersehbares, Kritisches, Widerspruch und Unbekanntes in meinem Unternehmen als Diskussionsgrundlage betrachtet oder als „richtig“ oder „falsch“ bewertet?

-Wie reagiere ich, wenn ich Sätze höre wie: „Das haben wir schon immer so gemacht“. Oder: „Haben wir alles schon probiert, funktioniert nicht.“

-Ermögliche ich den Mitarbeitern den Austausch in Netzwerken und mit Menschen, die unterschiedliche Ideen und Denkweisen mitbringen?

Neues Management im Mittelstand bedeutet Aufbruch

Die Antworten auf diese Fragen, sind ein Fingerzeig, wie weit wir uns selbst gewandelt haben. Doch nur selten funktioniert die digitale Transformation von innen heraus. Es fordert uns heraus das Büro zu verlassen, Netzwerke aufzubauen, Veranstaltungen zu besuchen, und sich mit anderen auszutauschen. Der Aufbruch nach fremden Ufern gilt nicht nur für die Geschäftsführung, sondern auch für die Mitarbeiter.

Wie sagte Albert Einstein so treffend: „Probleme kann man nie mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Verlassen wir also unsere Komfortzone!

Zur Person: Johannes Ellenberg

Johannes Ellenberg ist ein bekannter Kopf der deutschen Startup-Szene. Er rief 2011 zusammen mit Kathleen Fritzsche und Harald Amelung den Verein Startup Stuttgart e.V. ins Leben, eine Anlaufstelle für Gründer aus der Region. Knapp ein Jahr später gründeten die drei „Accelerate Stuttgart“ als Digitalisierungs- und Startup-Hub für Baden-Württemberg. Heute ist als Geschäftsführer von Accelerate Begleiter des Mittelstands bei der digitalen Transformation. Er verbindet Startups und mittelständische Unternehmen und unterstützt sie in der Zusammenarbeit.

Im Dezember 2017 kam Ellenbergs erstes Buch auf den Markt: „Der Startup Code“. Es richtet sich in erster Linie an den Mittelstand und soll Hilfestellung auf dem Weg der digitalen Transformation geben, möchte zum Handeln inspirieren, zur Veränderung ermuntern. Die Startups und ihre ganz spezielle Kultur können nach Meinung des Autors dafür zahlreiche Impulse geben.

Der Startup Code. Was der Mittelstand von Startups lernen kann und muss, Status-Verlag, 27,65 Euro; Website zum Buch: www.startup-code.de