Bei dem Kampfsport-Event Age of Cage im Stuttgarter LKA geht es blutig zu. Beobachtungen vom Rande des Oktagons.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Nachdem Alexander Petrajtis in einem Kampf der Unterboden seines rechten Auges gebrochen wurde, hatte er ein Jahr lang Angst, ehe er wieder in den Ring steigen konnte. „Es war eigentlich nur ein leichter Schlag. Ich habe aber gleich verstanden, dass das ein ganz schlechter Schmerz ist“, erinnert sich Petrajtis. „Erst habe ich rechts gar nichts mehr gesehen und dann nur noch doppelt.“ Der 33-jährige Stuttgarter mit georgischen Wurzeln musste operiert werden. Es sollte einen Monat dauern, bis Petrajtis’ Sehvermögen wieder komplett hergestellt war.

 

An einem Freitagabend im Mai dieses Jahres kämpft Petrajtis nicht selber, als Veranstalter der Reihe „Age of Cage“ lässt er kämpfen. In der Konzertspielstätte LKA in Stuttgart-Wangen stehen keine Musiker auf der Bühne, sondern moderne Gladiatoren im Ring. Das Oktagon ist mitten in der Halle aufgebaut. An der Bar lehnt eine Gruppe Künstler aus den Wagenhallen und feuert die Kämpfer an. „Das sind alles nette Jungs, ich tätowiere ein paar von denen“, erklärt Aurèle Mechler, ein ehemaliger Graffitikünstler, der wie eine Punkrock-Variante von Santa Claus aussieht.

Neben den Vertretern der Stuttgarter Kultur bewegen sich zwei finster aussehende junge Herren in adäquater Straßenuniform durch das Publikum: Die Haare an der Seite abrasiert, auf dem Pullover das Logo der Straßengangster-Marke Thug Life. So sehen Kleinkriminelle aus, wenn sie sich fürs Ausgehen schick gemacht haben. Das stört die Männer etwas weiter vorne am Ring scheinbar nicht, die mit den karierten Hemden und den Brillen – nicht von Fielmann – wirken, als wären sie direkt vom letzten Meeting des mittleren Managements von Bosch, Porsche oder Daimler in die Halle gebeamt worden. Komplettiert wird das Publikum durch eine Zutat, die man hier ohne jeden chauvinistischen Unterton am wenigsten erwartet hätte: Es sind jede Menge Damen anwesend.

Testosteron in der Luft

„Wir haben immer viele Frauen im Publikum. Die stehen auf das viele Testosteron, das in der Luft liegt“, sagt Alexander Petrajtis, dem es im Gespräch schnell gelingt, das Vorurteil vom grenzdebilen Organisator wilder Hahnenkämpfe in Menschengestalt zu widerlegen: Petrajtis spricht leise, lächelt zurückhaltend und bittet sein Gegenüber höflich darum, den servierten Kaffee doch bitte nicht kalt werden zu lassen.

Im Büro von Petrajtis in einem Keller im Stuttgarter Westen riecht es ein wenig wie in einer Männer-Wohngemeinschaft: nach kaltem Rauch und süßen Limonaden. Die Türen der Bürogemeinschaft, in der die Mixed-Martial-Arts-Kämpfe organisiert werden, werden durch Hantelscheiben auf dem Boden offen gehalten. Über dem Rechner von Petrajtis sind sieben Pokale aufgereiht. Die hat der Chef alle selbst im Ring erkämpft. In der russischen Kampfsportart Sambo war er deutscher Meister, bei den Mixed Martial Arts war er bundesweit in den Top Ten. Die Plakate der Age-of-Cage-Veranstaltungsreihe hängen im Flur.

In der Bibliothek über seinem Schreibtisch stehen die Bände „Theoretische Physik“ Band 1 und 2 neben dem Handbuch „Social Media Marketing“. Petrajtis hat an der Universität Stuttgart Physik studiert und anschließend zwei Jahre im Labor mit einem Teilchenbeschleuniger experimentiert. Sein Kollege Belal Popal, der bei den Age-of-Cage-Veranstaltungen die Kämpfer betreut, hat zwei Tage nach dem Interview mit der Stuttgarter Zeitung seine Abschlussprüfung in Maschinenbau an der Universität Stuttgart. „In der Mixed-Martial-Arts-Szene gibt es viele Akademiker“, sagt Popal, ein 32-jähriger Stuttgarter mit afghanischen Wurzeln.

Die Königsdisziplin des Kampfsports

Mixed Martial Arts (MMA) gilt als die Königsdisziplin des Kampfsports. „Age of Cage“ ist die größte Veranstaltungsreihe im süddeutschen Raum. Ein breites Spektrum an Techniken ist bei den MMA erlaubt. „Dabei geht es um die grundlegende Frage, welche Kampfsportart die stärkste ist“, erklärt Popal. Die Kämpfer verfügen zum Beispiel über eine Ausbildung im Bodenkampf, im Ringen, Boxen oder Kickboxen.

Zu den Age-of-Cage-Kämpfen kommen im Schnitt 500 bis 600 Zuschauer aus den unterschiedlichsten Schichten. Sie ergötzen sich daran, dass zwei Kämpfer dreimal fünf Minuten lang aufeinander einschlagen, bis einer aufgibt – wo liegt hierbei noch einmal der Reiz versteckt?

Alexander Petrajtis versucht diese Frage aus der Sicht des Kämpfers zu beantworten. „Der zentrale Punkt ist für mich die Offenheit im Ring. Der Status spielt keine Rolle, es ist das Ehrlichste, was ich je erlebt habe“, sagt er. „Der andere Aspekt ist der Ehrgeiz. Für mich ist das wie Schach spielen. Außerdem geht es darum, die eigenen Ängste zu überwinden. Wenn einer sagt, er habe keine Angst, dann ist er ein Lügenbaron. Die Angst ist dein guter Freund, sonst wirst du nachlässig.“

Über die Titanplatte in seinem Kopf, die er seit dem Bruch seines Augenorbitas tragen muss, spricht Petrajtis, als sei sie eine Petitesse. „Fußball ist als Sportart viel gefährlicher, finde ich, diese kurzen Sprints sind Gift für die Gelenke und die Knie.“ Der Age-of-Cage-Macher versucht mit der größtmöglichen Transparenz Werbung für seine Sportart zu machen, die durchaus umstritten ist. Die Bayrische Landeszentrale für neue Medien sorgte vor fünf Jahren dafür, dass im deutschen Fernsehen keine MMA-Kämpfe mehr gezeigt werden dürfen. Die Begründung lautete: „Mixed Martial Arts könne wegen der Pervertierung der sportimmanenten Werte nicht als Sportart eingestuft werden.“

Seine Frau spielte nicht mehr mit

Alexander Petrajtis und seine Mitstreiter reagieren auf das Fernsehverbot mit einer Social-Media-Offensive. Alle Kämpfe, die Petrajtis veranstaltet, findet man in seinem Youtube-Kanal. „Damit wollen wir zeigen, dass MMA keine Kämpfe der Halbwelt in einer Garage darstellen. Bei uns steigen Sportler in den Ring, die sich diszipliniert und akribisch vorbereiten“, sagt sein Kompagnon Belal Popal.

Auch Alexander Petrajtis will unbedingt wieder kämpfen. Auf die Frage, ob seine Frau – Petrajtis ist Vater eines vierjährigen Kindes – denn keine Angst hat, dass er sein Augenlicht in einem Kampf endgültig verlieren könnte, zögert er zum ersten Mal im Laufe des Gesprächs. „Für meine Familie ist das schon ein Problem. Meine Frau hat mich verlassen. Ich will meinen Traum aber nicht aufgeben.“

Sein Traum ist, mit dem Veranstalten von Kämpfen so viel Geld zu verdienen, dass er und seine Mitstreiter davon leben können. Als angestellter Physiker könne er locker bis zu 60 000 Euro verdienen. Er habe sich aber ganz bewusst für einen anderen Weg entschieden. „Man kriegt nichts geschenkt im Leben.“

Türsteher unter sich

Zurück an das Oktagon. Alexander Petrajtis begrüßt einige kleiderschrankgroße Typen am Rande des Rings. „Das waren Freunde von mir, die ich von der Türe kenne“, erklärt er. Auch wenn an diesem Abend wieder rund 600 Besucher ins LKA gekommen sind, bleibt finanziell immer noch nicht genügend hängen. Alexander Petrajtis arbeitet mehrmals pro Woche als Türsteher der Kneipe Dilayla, einer Art nächtlichem Auffangbecken in Stuttgart. Der einzige Laden, der jede Nacht bis sieben Uhr aufhat. „Hier trifft sich das Destillat der Menschheit zwischen 5 und 7 Uhr. Hier lerne ich jede Nacht dazu. Außerdem habe ich einige gute Freunde an der Tür kennengelernt. Ein Türsteher vom Keller Klub kämpft am Sonntag auch bei uns.“

Zum Schluss des Interviews bekommt man es dann doch einmal mit der Angst zu tun. „Am Wochenende habe ich einen an der Tür so richtig zerlegt“, sagt Petrajtis, und sofort geht das Kopfkino los, in dessen Mittelpunkt ein betrunkener Gast von Alexander Petrajtis an der Tür des Dilayla nach allen Regeln der Kunst vermöbelt wird. „Ich habe ihn in Physik zerstört“, schiebt Petrajtis hinterher, als könne er die    Gedanken seines Gegenübers lesen. „Er wollte mir nicht glauben, dass ich Physik studiert habe, und hat mir ein paar Fragen gestellt, die ich alle beantworten konnte. Auf meine Fragen konnte er aber nichts mehr erwidern.“