Das Fernsehdrama „Mobbing“ folgt der Romanvorlage von Annette Pehnt, findet aber einen eigenen Ton. In dem hoch aktuellen und künstlerisch ambitionierten Film bleibt vieles offen.

Stuttgart - Am Anfang scheint alles bestens. Jo und Anja sind ein schönes Paar, sie haben zwei Kinder, ein gemütliches Haus, nette Freunde. Jo ist Kulturreferent in ihrer kleinen Stadt, Anja, von Beruf Übersetzerin, kümmert sich derzeit gerne um die Familie. Tobias Moretti und Susanne Wolff geben dieses Paar, das sich zunächst mit großer Unbeschwertheit liebt, viel lacht und genießt und im Laufe der Ge-schichte auf die Probe gestellt werden wird. Die beiden Ausnahmeschauspieler sind ein Glücksfall für den Fernsehfilm „Mobbing“.

 

Wenn die Kamera ihre Gesichter in Großaufnahme einfängt, und das tut sie oft in „Mobbing“, kann man darin ihre Gefühle lesen: Lebenslust und Freude, dann Verunsicherung, Wut, Hilflosigkeit, Resignation. Denn Jo, dem alles mit links zu gelingen scheint, bekommt ebenso wie sein Freund und Kollege Markus Probleme, als eine neue Chefin ins Kulturamt berufen wird. Sie entzieht den Endvierzigern die großen Projekte, lässt sie überwachen, stellt ihre Kompetenz in Frage, frühere Mitarbeiter schlagen sich opportunistisch auf die Seite der nun Mächtigen. Während der allein stehende Markus sich bald an anderen Orten bewirbt, fühlt sich Jo als Familienernährer wie gelähmt. Erst als ihm wegen einer Lappalie gekündigt werden soll, erwacht sein Kampfgeist. Aber auch ein Sieg vor Gericht hilft ihm nicht wirklich weiter.

Weil sie es kann

Annette Pehnt hat diesen Prozess der langsamen Zermürbung eines Menschen, diese bürgerliche Tragödie aus der Angestelltengesellschaft, die tief in eine Familie hineinwirkt, in ihrem Roman „Mobbing“ beschrieben, lakonisch, vielschichtig, sprachmächtig. Das Thema ist von gesellschaftlicher Relevanz, wie viel Leid ausgelöst und wie viel Arbeitskraft in Unternehmen inzwischen durch solche schädlichen sozialen Umtriebe blockiert wird, beschäftigt Sozialwissenschaftler ebenso wie Psychologen. Man durfte also durchaus fürchten, dass eine Verfilmung des Stoffes scheitern könnte, wie sollte man auch die ständig wechselnden Zeitebenen der Vorlage, die Innenperspektive der Erzählerin, die Zwischenräume zwischen Wirklichkeit und Wahn, die sich bei den Betroffenen auftun, ins Bild setzen? Aber sie ist gelungen, wofür vor der herausragenden Besetzung und der sensiblen Regie von Nicole Weegmann vor allem die Drehbuchautoren Eva und Volker A. Zahn verantwortlich sein dürften. Seit über zwanzig Jahren arbeitet das Ehepaar gemeinsam an Filmscripts. Hatten sie trotz der langen Erfahrung Respekt vor Pehnts Kunstwerk?

Natürlich, sagt Volker A. Zahn, „haben wir zu Beginn der Arbeit an ,Mobbing’ den Klang ihrer wunderbaren Sprache im Ohr gehabt. Wir wollten davon möglichst viel auch in unser Buch einfließen lassen. Aber je länger wir an diesem Projekt gearbeitet haben, desto weiter mussten wir uns von der Vorlage entfernen und unsere eigene Sprache finden“. Die ist nun knapp, die Dialoge sind stimmig, nicht psychologisierend, sie lassen viel Raum. „Warum tut sie das?“ fragt Anja, als Jo von den Schikanen der Vorgesetzten erzählt. „Weil sie es kann“ antwortet Jo, den Tobias Moretti sich vom strahlenden Charismatiker zum innerlich verbarrikadierten Sturkopf wandeln lässt.

Ein Zersetzungsvorgang

Den Aufbau der Geschichte haben „die Zähne“, wie sie in der Branche heißen, verändert, nicht aber die Perspektive. „Wir wollten die radikal subjektive Erzählweise der Ehefrau, die ja nur mittelbar vom Mobbing betroffen und zur Passivität verdammt ist, erhalten“, sagt Eva Zahn. Anjas Blick ist so der Filter geblieben für das, was der Zuschauer vom Geschehen wahrnimmt. Und der, das zeigt Susanne Wolff mit all ihrer Kraft und Zerbrechlichkeit, ist durchaus ambivalent. Er sieht Jos Vitalität und die Niedertracht in seinem Arbeitsumfeld. Er weicht aber auch vor seinem Alkoholkonsum, seiner Angst vor Veränderung, seinem Hang zum Verdrängen nicht aus. Nie ins Bild kommt die neue Chefin. Handelt sie aus purem Neid und Lust an der Intrige, oder treibt sie einfach männliche Machtpolitik mit weiblichen Mitteln?

Das bleibt offen, wie vieles in dem ebenso aktuellen wie künstlerisch ambitionierten Film. „Mobbing ist ein Zersetzungsvorgang, der alle selbstverständlichen Annahmen über mich und andere aushöhlt“, hatte die mit der Umsetzung ihres Romans sich sehr zufrieden zeigende Annette Pehnt bei der erfolgreichen Premiere während der Hofer Filmtage geäußert. „Was kann ich? Was macht mich aus? Wen liebe ich und wer liebt mich? Wer hält zu mir? Wo ist mein Platz im Rudel?“ Ein Film habe vielleicht noch stärkere Bilder als ein Text, um zu zeigen „wie schnell es gefährlich wird, wenn die passenden Antworten auseinanderbröckeln“. „Mobbing“ macht das tatsächlich auf erschreckende Weise sichtbar.