Immer mehr Menschen, vor allem junge, setzen bei ihrer Mobilität nicht mehr nur aufs Auto. Das verlangt viel Planung. Inzwischen gibt es regionale und überregionale Ansätze zu einer Routenplanung, die die Verkehrsträger übergreift.

Stuttgart - Das Mobilitätsverhalten verändert sich in Deutschland. Immer Menschen wählen ihre Verkehrsmittel flexibel. Staus auf Autobahnen und in Innenstädten sind ein Grund, warum immer mehr Menschen auf öffentliche Verkehrsmittel und das Fahrrad umsteigen. Dazu kommt, dass viele junge Berufstätige so viel unterwegs sind, dass sie die Strecken gar nicht mehr mit dem Auto bewältigen können – es wäre zu anstrengend, und im Zug kann die Zeit sinnvoll genutzt werden.

 

Die Motorisierung der Bevölkerung ist vor allem in den urbanen Räumen rückläufig. Das stellte das Institut für Verkehrswesen am Karlsruher Institut für Technologie in seinem jährlich aktualisierten Mobilitätspanel fest. „Vor allem bei jungen Männer zwischen 18 und 25 Jahren geht die Zahl der Autobesitzer zurück“, sagt der Mobilitätsforscher Bastian Chlond. Der Anteil der jungen Männer ohne eigenes Auto nahm im Jahr 2011 um ein Drittel zu und liegt jetzt bei zehn Prozent. In absoluten Zahlen ist das nicht mehr als ein zarter Trend. Dennoch zeichnet sich langfristig ein Wechsel weg vom Auto und hin zur flexiblen Nutzung von Verkehrsträgern ab – zu erkennen auch an der Fahrrad- und Carsharing-Welle.

Wer flexibel mobil sein will, muss gut planen. Dafür sind funktionierende Informationssysteme nötig. Es tut sich viel auf dem Sektor. Der Internetkonzern Google hat jüngst Fahrpläne der Deutschen Bahn in seine Routenplanung integriert. Es hagelte allerdings Kritik, denn vor allem im Nahverkehr erwiesen sich die Ergebnisse zum Teil als unbrauchbar. Dennoch gibt es Forschungseinrichtungen, die schon jetzt einen Schritt weiter denken.

Verkehrsdaten in Echtzeit ausgewertet

Hannah Bast, Informatikprofessorin an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, arbeitet mit ihrem Team an der Entwicklung einer sogenannten intermodalen Routenplanung. Um den Nutzer möglichst schnell an sein Ziel zu bringen, wird nicht nur ein einzelner Verkehrsträger berücksichtigt. Zur Berechnung der optimalen Route kombiniert das System verschiedene Verkehrsmittel wie Auto, Zug, Flugzeug, öffentlichen Nahverkehr und Fußwege. Dazu werden Straßenverkehrsdaten und Fahr- und Flugplandaten in Echtzeit verwendet. Wünscht der Reisende zum Beispiel eine Verbindung von Baden-Baden nach Potsdam, so könnte das System ihn per Auto zum Flughafen Karlsruhe lotsen, wenn die Straßen aktuell verstopft sind und auch der Zugverkehr nicht rollt. Das Flugzeug bringt ihn nach Berlin, dort geht es dann weiter mit dem öffentlichen Nahverkehr.

Noch ist es allerdings nicht so weit. „Bis die intermodale Routenplanung europaweit steht, wird es noch drei Jahre dauern“, schätzt Hannah Bast. Weil es bei der Berechnung der Routen ungezählte Möglichkeiten gibt, sind die dafür notwendigen Algorithmen hochkomplex. „Da müssen wir kreativ sein und immer wieder etwas ausprobieren, auch wenn das Risiko besteht, dass der Weg in eine Sackgasse führt“, sagt Bast.

Die Forscherin hat allerdings ein noch größeres Problem: „Wir könnten schon viel weiter sein, wenn alle Verkehrsbetriebe ihre Fahrplandaten verfügbar machen würden“, sagt sie. In den USA seien diese Daten öffentlich. In Deutschland muss sie mit jedem Verkehrsbetrieb einzeln verhandeln – ein mühsamer Prozess.

Verkehrsbetriebe halten ihre Daten zurück

Die Bahn begründet ihre Zurückhaltung bei der Veröffentlichung von Fahrplandaten mit der Gefahr des Missbrauchs. „Wenn jemand mit unseren Daten eine Anwendung programmiert und beispielsweise als App veröffentlicht, dann richtet sich die Kritik gegen die Bahn und nicht gegen den Urheber“, sagt ein Bahn-Sprecher. In bilateralen Projekten mit gesichertem Qualitätsanspruch stelle die Bahn ihre Fahrplandaten aber ohne Weiteres zur Verfügung. „Und das nicht nur für Google“, wie der Bahn-Sprecher betont.

Hannah Bast, die mit Google kooperiert, denkt groß. Ihr Ziel ist, die intermodale Routenplanung global umzusetzen. Es gibt in Deutschland aber auch regionale Projekte. In überschaubarem Rahmen ist die Umsetzung schon weiter gediehen. Das IVM (Integrierte Verkehrs- und Mobilitätsmanagement Region Frankfurt Rhein-Main) ist ein Unternehmen der öffentlichen Hand und das „Verkehrslabor“ der Länder Hessen und Rheinland-Pfalz. Seine Forscher und Verkehrsplaner haben für das Bundesland Hessen eine intermodale Routenplanung entwickelt, die kurz vor der Liveschaltung im Internet steht. In einem zweiten Schritt soll es auch eine mobile Anwendung geben. Das Projekt ist googlefrei.

Die Regionalität hat Vorteile

Die regionale Beschränkung hat Vorteile. „Wir können einfacher auf lokale Daten zugreifen“, sagt Projektleiter Rüdiger Bernhard. „Neue Informationen, wie zum Beispiel die Eröffnung eines neuen Radwegs, sind ganz schnell ins System integriert.“ Das gehe so weit, dass die Straßenverkehrsbehörden und Landkreise zum Beispiel Baustellen und Umleitungen selbstständig einpflegen könnten. Die Daten zur Verkehrslage auf den Straßen sind mit den Echtzeitdaten aus den Fahrplänen des öffentlichen Nahverkehrs verknüpft. In die Streckensuche mit einbezogen sind reine Rad- und Fußwege, die aktuelle Belegung von Park-und-ride-Parkplätzen und die Umweltzonen. Ein global agierender Dienst wie Google kann eine solch feinräumige Vorgehensweise nicht leisten. Aber auch Rüdiger Bernhard denkt schon weiter: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir unsere Daten anderen Diensten zur Verfügung stellen“, sagt er. Ein Ziel wäre die Vernetzung der einzelnen Regionen, aber auch eine Zusammenarbeit mit überregionalen Diensten wie zum Beispiel Google sei denkbar.

Mobilitätsplanung – wie und wozu?

Intermodalität
Der Begriff stammt ursprünglich aus der Logistik und bezeichnet eine verkehrsmittelübergreifende Mobilitätsplanung. Um eine Strecke unter optimalen Bedingungen zurückzulegen, werden unterschiedliche Verkehrsmittel miteinander kombiniert. Dabei spielen die Zeit und vermehrt auch Umweltaspekte eine Rolle. Politisches Ziel ist die bestmögliche Verteilung des Verkehrsaufkommens auf die verschiedenen Verkehrsträger – besonderes Augenmerk liegt auf der Entlastung der Straßen.

Routenplanung
Wird in erster Linie über Navigationsgeräte und Internetdienste genutzt. Routenplaner errechnen mit hochkomplexen Berechnungsverfahren, Algorithmen genannt, eine optimale Route zwischen zwei Punkten, wobei man Parameter, wie „kürzeste Strecke“ oder „kürzeste Zeit“ vorgeben kann.

Echtzeitdaten
Fahrplan- und Verkehrsdaten sind dann sinnvoll, wenn sie in dem Moment, in dem sie abgerufen werden, den aktuellen Stand widerspiegeln. Echtzeitdaten geben also bezogen auf Fahrpläne zum Beispiel auch aktuelle Verspätungen und Zugausfälle an. Angaben zum Straßenverkehr beziehen unter anderem Staus und Umleitungen ein. Auch Verkehrsprognosen können in Echtzeitdaten einfließen.