Hermann Werner fährt Bewohner des Hauses am Kappelberg seit fünf Jahren mit einer Fahrrad-Rikscha kreuz und quer durch Fellbach. Das Ziel der „Spaßfahrten“ dürfen sich die Senioren selbst aussuchen.

Rems-Murr: Eva Schäfer (esc)

Fellbach - Die abgeräumten Getreidefelder und die dicken Wolken lassen Anfang August eine etwas melancholische Stimmung von Spätsommer aufkommen, doch dann reißt plötzlich der Himmel auf und die Sonne blitzt heraus. Hermann Werner tritt in die Pedale und lässt sich den warmen Wind um die Ohren blasen. Er ist an diesem Dienstag wieder mit der Fahrrad-Rikscha unterwegs und rollt mit seinen Passagieren durch den Sommernachmittag. Die Vögel verstecken sich schnell im hohen Maisfeld, wenn er heranfährt. Dann nimmt er eine scharfe Kurve und steuert auf das Gerwebegebiet in Schmiden zu.

 

Verschiedene Facetten Fellbachs

Es ist eine Reise durch viele Gegensätze. Hier ländliche Stimmung, wenige Meter weiter Industriegebiet mit modernen Glasbauten und eine viel befahrene, lärmende Kreuzung. Die Eindrücke fangen die verschiedenen Facetten Fellbachs ein. „Ich möchte immer wieder etwas Neues bieten“, sagt Hermann Werner, der die Ausfahrten ehrenamtlich für die Bewohner des Hauses am Kappelberg anbietet. Bei den Touren geht es nicht um Erledigungen oder Arztbesuche. „Es sind Spaßfahrten“, macht der 77-Jährige deutlich, der selber offensichtlich auch großen Spaß am Radeln hat. So konnte ihn auch ein heftiger Schauer kurz vor der Abfahrt nicht aufhalten. Er selber zieht das Regencape über, seine Gäste werden mit Regenschutz und Decken versorgt. Und er sollte recht behalten: Bei der ganzen Tour blieb es bei ein paar Tropfen, dann kam die Sonne heraus.

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Immer dienstags und donnerstags ab 13 Uhr macht er die Fahrrad-Rikscha startklar. Die Bewohner melden sich zu dem Ausflug an, wie an diesem Nachmittag Anna Seidl, die von der Betreuungsassistentin Jutta Zeßner begleitet wird. „Wohin soll es dieses mal gehen?“, fragt Werner. Die Gäste dürfen das Ziel der Fahrt bestimmen. Diesmal geht es am Rand der Stadt entlang, an der Bühlstraße vorbei über das Schmidener Feld bis zum Bahnhof mit einem kurzen Stopp bei der Fellbacher Zeitung am Raiffeisenplatz. Dann wieder zurück durch die Stadt. Manche kennen die Rikscha schon, ein Passant streckt beim Vorbeifahren den Daumen hoch.

Dank des elektrischen Antriebs der Rad-Rikscha stellen auch kleine Steigungen kein Problem dar. So hat Hermann Werner auch schon einen älteren Herrn nach Oeffingen gefahren, der sein Haus noch einmal sehen wollte. Eine ältere Dame wollte an das Grab ihres Bruders. „Es sind ganz individuelle Wünsche, die ich umsetze“, sagt der ehrenamtliche Radler. Vor zwei Jahren hat er diese Aufgabe übernommen. Bislang sei er der einzige Rikscha-Fahrer. Gerne könnten weitere dazukommen, sagt er.

Ein neuer Akku kostet 1000 Euro

Die Fahrrad-Rikscha ist ein Projekt, das vom Förderverein des Hauses am Kappelberg getragen wird. 2016 wurde das Gefährt angeschafft, seitdem werden den Bewohnern kleine Ausflüge in die Umgebung ermöglicht. Besonders in der Coronazeit biete das Abwechslung im Alltag. Allerdings sei inzwischen der erste Akku so schwach geworden, dass ein neuer angeschafft werden musste, der mit rund 1000 Euro zu Buche schlug. Auch der Ersatzakku sei so ausgelaugt, dass er ersetzt werden müsse, sagt die Vorsitzende des Fördervereins, Elfriede Bartz. Daher freue sie sich über die Unterstützung von vielen Seiten der Bürgerschaft und der örtlichen Betriebe. Nur dadurch habe der Verein Projekte wie die Rad-Rikscha realisieren können, sagt die Fellbacherin.

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Wo den Blicken keine Grenzen gesetzt sind

Hermann Werner jedenfalls will noch viele Kilometer weiterradeln mit der Rikscha. Privat sei er auch viel mit dem Rad unterwegs. „Das hält mich fit“, sagt der 77-Jährige. Er fahre „bis es schneit“, sagt er . Und das sei in Fellbach zum Glück selten und spät im Jahr. Sonst halte ihn nur Gewitter, Eis und Platzregen vom Radeln ab. Sein Fazit: „Das „Frei-Sein auf dem Rad genieße ich.“