„Mobilität heißt nicht Automobilität“ – getreu diesem Motto haben Experten einen Verkehrs- und Entwicklungsplan für die Stadt Stuttgart vorgelegt. In manchen Punkten ist der Oberbürgermeister Fritz Kuhn der größte Gegner.

Stuttgart - Der bekannte Stuttgarter Architekt Roland Ostertag sowie der Stadt- und Verkehrsplaner Günter Kölz fordern die Verwaltung und den Gemeinderat auf, Schluss zu machen mit ihrer „ideologisierten Stadtplanung“, die dem Auto den Vorrang einräume. Die aus ihrer Sicht untauglichen Ideen haben sie im unlängst verabschiedeten Verkehrsentwicklungskonzept 2030 entdeckt, das maßgeblich in der Ära von Alt-OB Wolfgang Schuster erstellt wurde und mit dem Fazit versehen: „Die Planer haben das Potenzial der Stadt nicht erkannt.“ Die beiden Professoren haben am Montag einen Gegenentwurf, das „Konzept für verantwortungsvolle Mobilität in Stuttgart“, vorgestellt und ihm den Titel „Der Stadtboden gehört Allen“ gegeben. Er ist zwischen zwei Buchdeckel gepresst und erscheint in einer ersten Auflage von 800 Exemplaren.

 

Radikaler als öko-soziale Mehrheit im Gemeinderat

Ostertag und Kölz verlieren sich nicht in philosophischen Betrachtungen und historischen Diskursen, sie haben konkrete Vorstellungen, wie in der Stadt Verkehr vermieden werden könnte. Sie geben sich kämpferisch, teils sogar radikaler als die öko-soziale Mehrheit im Gemeinderat; etwa wenn sie fordern, das Parken am Gehwegrand zwischen Paulinenbrücke und Wolframstraße kategorisch zu untersagen, alle Unterführungen zuzuschütten, um den Verkehr wieder auf ein einheitliches Niveau zu bringen und jene Parkhäuser abzureißen, der bei An- und Abfahrt zusätzlichen Verkehr erzeugen – wie etwa die Einrichtungen der Kaufhäuser Karstadt und Kaufhof.

Sie kritisieren aber auch den Neubau der Rathausgarage, der unlängst beschlossen wurde, weshalb der Hauptadressat der Professoren-Thesen zwar die Politik ist, die handeln solle anstatt nur verwalten. Ostertag und Kölz halten es aber für genauso wichtig, dass an der Basis die Erkenntnis reift, dass Stadtplanung mehr ist als nur Verkehrsplanung. Ihr Wunsch sind Beteiligungsprozesse, sprich Bürgerforen, wie sie für das Rosensteinviertel abgehalten wurden. Sie sollen jenen geistigen und sozialen Entwurf der Stadt entwickeln, der die „grandiose Einzigartigkeit, nur quantitative Aspekte zu berücksichtigen“ – also möglichst viele Parkplätze und möglichst breite Straßen – ablösen könnte.

„Mobilität ist mehr als Automobilität“

Für Ostertag ist ein stadtverträgliches und verantwortungsvolles Mobilitätskonzept die Grundvoraussetzung für eine lebens- und liebenswerte Stadt. Als positive Beispiele nennt er Bordeaux, Bologna, London, Oslo oder Singapur, die gute Erfahrungen mit restriktiven Maßnahmen zur Reduzierung des Autoverkehrs gemacht hätten. Dadurch seien Freiräume für den Rad- und Fußgängerverkehr entstanden, gemäß dem Motto: „Mobilität ist mehr als nur Automobilität“.

Konkret fordern die Autoren einen kostenlosen Nahverkehr, mehr Carsharing-Angebote und einen Ausbau der Verkehrsleitzentrale. Das Hauptstraßennetz hätten sie gerne optimiert, etwa um die Filderauffahrt oder einen Nordostring – wohlwissend, dass dies eine Utopie ist. Um den Verkehr in der City und die Feinstaubbelastung zu senken, fordern sie neben Tempo 30 auch eine spezielle Maut. Das Problem im konkreten Fall heißt OB Fritz Kuhn. Der Grüne hatte sich im Wahlkampf explizit dagegen ausgesprochen.

Große Achsen werden eingedampft

Die verkehrlichen Ziele für die Innenstadtquartiere sehen eine Beibehaltung des tangentialen Netzes vor: die Schillerstraße vor dem Hauptbahnhof würde allerdings zurückgebaut. Die großen Achsen werden auf zwei Spuren pro Richtung eingedampft und erhalten grüne Mittelstreifen. Die Quartiere würden vom Durchgangsverkehr befreit, die Parkierungsschwerpunkte an den Rändern konzentriert. Parkhäuser werden von den Achse aus erschlossen. Natürlich sollen die Park-and-Ride-Angebote am Stadtrat vergrößert werden.

Buch Verantwortungsvolle Mobilität in Stuttgart, ein Beitrag zur Stadterneuerung, Roland Ostertag, Peter Grohmann-Verlag.