Das Württembergische Landesmuseum in Stuttgart versucht, die Interessen des Publikums stärker zu berücksichtigen. Deshalb wurde in der Ausstellung „Fashion?! Was Mode zu Mode“ Experiment gewagt.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Geht man in ein kulturhistorisches Museum, weiß man, was einen erwartet: funkelnde Kronen und edles Essbesteck, güldene Pokale und teures Ohrgehänge. Aber schnöde T-Shirts und modische Sneakers, Designertaschen und lässige Lederjacken? Das Landesmuseum Württemberg, das sich gewöhnlich mit Kelten und Römern, mit Schätzen aus dem Mittelalter oder dem Barock beschäftigt, hat sich die Gegenwart vorgenommen. Um Kleidung geht es in der neuen Sonderausstellung „Fashion?! Was Mode zu Mode macht“, um das komplexe System Mode, Influencer, Modemagazine, Designer und auch Konsumenten.

 

Schon mit der großen Sonderausstellung zu den Schwaben widmete sich das Landesmuseum im Alten Schloss in Stuttgart neben einem historischen Teil dezidiert auch der Gegenwart und verhandelte den schwäbischen Dialekt ebenso wie das Brezelschlingen. Mit der „Fashion“-Schau geht das Museum nun noch einen weiteren, großen Schritt auf das Publikum zu. Das betrifft zum einen das aktuelle Thema, mit dem jeder zu tun hat. Denn der Mode, ist die Kuratorin Maaike van Rijn überzeugt, entkomme letztlich niemand. „Alles ist ein Statement“, sagt sie. Deshalb wird man in der Schau auch den T-Shirt-Klassiker „Atomkraft, nein Danke!“ ausstellen oder ein Dior-Shirt mit dem Aufdruck „We should all be feminists“.

Aber auch die Konzeption der „Fashion“-Ausstellung ist bemerkenswert, denn es wurde zum ersten Mal ein für den deutschen Museumsbetrieb ungewöhnliches Konzept erprobt: „Visitors experience“. Dahinter steckt eine Idee, die im Marketing schon länger angewandt wird und bedeutet, dass man verschiedene Zielgruppen definiert und versucht, dezidiert deren Wünsche und Erwartungen bei der Vermarktung etwa von Produkten einzubeziehen.

In deutschen Museen wird das Publikum derzeit nur selten gezielt bedacht

Das Landesmuseum Württemberg hat vorab Workshops veranstaltet, die eine Expertin aus England geleitet hat. Dort wird die Arbeit mit sogenannten Personas im Kulturbetrieb bereits häufiger praktiziert.

In Deutschland gibt es dagegen nur vereinzelt Versuche, die Besucherperspektive einzubeziehen. Die Schirn Kunsthalle in Frankfurt hat schon vor zehn Jahren Typen skizziert, damit Marketing, Vermittlung und digitale Strategien das Publikum besser erreichen. Bei der konkreten Gestaltung von Ausstellungen spielen die Typen dagegen keine Rolle. Die Berlinische Galerie arbeitet dagegen auch bei Ausstellungsprojekten mit Personas. „Das kann ich jedem nur empfehlen, weil man die Menschen besser kennenlernt“, sagt der Direktor Thomas Köhler.

Für die „Fashion“-Ausstellung hat das Landesmuseum vorab mehrere Typen benannt: Nils und Nina sind eher Breuninger-Kunden und eventorientiert, Wolfgang und Waltraud entsprechen dem klassischen Museumspublikum. Ayse und Anselm sind dagegen eher Problemkandidaten – denn Jugendliche gehören zu der Zielgruppe, die die meisten Museen sehr schwer erreicht.

Damit sich das langfristig ändert und breitere Bevölkerungsgruppen Freude am Museumsbesuch haben, wollen die Kuratorinnen und Kuratoren des Landesmuseums Württemberg künftig versuchen, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen und sich zu fragen, was diese verschiedenen Personen in einer Ausstellung vermissen könnten. Gibt es genügend Sitzplätze für den Wolfgang? Will Ayse einen Selfie-Spot, damit sie ein Bild für Instagram machen kann?

Andere Pespektiven können auch für die Wissenschaft bereichernd sein

Maaike van Rijn hat das Konzept der Personae als extrem bereichernd für ihre Arbeit als Ausstellungsmacherin empfunden. „Man steigt aus seiner kuratorischen Blase aus“, sagt sie. „Man möchte immer viel loswerden von dem, was man weiß und was man für relevant hält, aber andere Perspektiven aufzugreifen, fand ich sehr hilfreich.“ Inzwischen denke sie auch bei anderen Tätigkeiten im Museum immer wieder an Ayse oder Nils – zum Beispiel, wenn es um den Ankauf von neuen Objekten geht und sie sich nun auch fragt, für wen das Stück interessant sein könnte. „Man hat das Gefühl, es sitzen noch zehn andere Menschen mit am Tisch, die über Ankäufe und Ausstellungen mitentscheiden“, sagt von Rijn. Während kulturhistorische Museen auf vielerlei Weise versuchen, das Publikum anzusprechen – sei es mit Musik oder interaktiven Stationen, gibt es in Kunstmuseen noch große Vorbehalte, etwa durch „Visitors experience“ stärker auf das Publikum zuzugehen. „In der Kunst ist alles drin“, meint Chantal Eschenfelder, die Leiterin der Abteilung Bildung und Vermittlung an der Frankfurter Schirn. Kunst biete von vornherein für jeden etwas, deshalb sei es wenig sinnvoll, spezifische Werke für bestimmte Vorlieben einzelner Besuchergruppen auszuwählen.

Vorbehalte gegen einen Perspektivwechsel im Museum haben aber auch andere Gründe, denn noch immer herrscht in den meisten Museen die Vorstellung, dass die Wissenschaftler allein wüssten, was richtig ist, was gesammelt und was ausgestellt werden soll. Maaike van Rijn vom Landesmuseum hat da eine andere Position: „In einem öffentlichen Haus, das aus Steuergeldern finanziert wird, ist es legitim, dass man Deutungshoheit abgibt und ein Diskursfeld aufmacht.“ Das unterminiere keineswegs die Funktion der Wissenschaftler, im Gegenteil: „Es gibt so viele Perspektiven auf Dinge, dass das nur eine Bereicherung sein kann.“