Die Schwaben können Autos und Kehrwoche. Als Modeikonen sind sie in der Welt nicht bekannt. Zu Unrecht, wie Francisco Fernandez meint. Deshalb hat der Stuttgarter nun sein Netzwerk-Projekt „Haute Cueture“ ins Leben gerufen.

Stuttgart - Paris, Mailand, Stuttgart – könnte diese Aufzählung den Modeexperten irgendwann mal ganz leicht über die Lippen gehen? Am vergangenen Wochenende hat es zumindest für zwei Stunden im Alten Feuerwehrhaus im Stuttgarter Süden den Anschein gehabt, als würde sich etwas Spannendes in der Stadt entwickeln. Eine Horde sogenannter Mode-Menschen war ganz im Stil von „Sehen und gesehen werden“ zusammengekommen. Junge Nachwuchs-Designer hatten endlich eine Bühne, um ihre Stücke öffentlich zu präsentieren und, ganz wichtig, sich zu vernetzen.

 

Schon vor dem Einlass zur „Haute Cueture“-Fashionshow um 21 Uhr herrschte reger Andrang. Kessel-Trendsetter tummelten sich auf dem Gehweg, eine nervöse Spannung lag in der Luft. Was sollte man von einem Event namens „Haute Cueture“ erwarten, in einer Stadt, die nicht gerade Mode schreit?

Sicher ist: So viel geballte Mode-Kompetenz bekommt man in Stuttgart selten zu sehen. Der Boutique-Besitzer Horst Wanschura war sehr angetan: „Es sind pfiffige Leute da.“ Die Outfits der meisten Gäste wirkten durchdacht, interessante Menschen seien hier. „Das freut mich für unsere Stadt“, so der Modeexperte. Denn: „Stuttgart war mal eine ganz tolle Modestadt. Im Moment muss sie sich etwas berappeln“, beschreibt er die aktuelle Lage. Sie sei aber auf einem guten Weg – was nicht zuletzt an Events wie „Haute Cueture“ liege.

Die „pfiffige“ Gästeschar bestand aus Modestudenten, Einkäufern oder einfach nur Modeinteressierten wie Simon Kurtz, der sich begeistert äußerte: „Toll, was hier auf die Beine gestellt wurde. Endlich wird mal was für die Modeszene der Stadt getan“. Auch Frank Zentler, Geschäftsführer des Stuttgarter Shops Geschwisterliebe, fand positive Worte für die Veranstaltung. Er selbst gehe gerne zu solchen Events. „Es gibt sie ja nicht oft in Stuttgart, deshalb mag ich die Idee hinter ‚Haute Cueture’.“

Die Talente zeiht es nach Berlin

Und der Mann hinter „Haute Cueture“- aus der Kooperation mit dem Club Cue leitet sich die „falsche“ Schreibweise ab – hat ebenfalls Ideen, mehr noch, Visionen. Francisco Fernandez stammt aus Fellbach, war in England auf der Schule und hat im Anschluss an der Stuttgarter Macromedia-Schule eine Ausbildung in Eventmanagement absolviert. Jetzt möchte der 24-Jährige die Modebranche auf den Kopf stellen. Im ersten Schritt nicht mit seiner eigenen Kollektion, die er derzeit plant. Nein, die schwäbische Landeshauptstadt soll künftig in einem Atemzug mit den großen Modemetropolen dieser Welt genannt werden.

Sein Antrieb? Er liebe Mode. Und: In Stuttgart gebe es viel. Es sehe nur wie immer keiner. „Wir haben hier so viele talentierte Designer, Fotografen, Models und Künstler. Die sind nur total unbekannt“, sagt Fernandez. Stuttgart könne mit einigen national anerkannten Marken wie Geschwisterliebe, La Pour La und Blutsgeschwister punkten. Das Problem sei nur: „Je besser sie sind, desto weiter weg ziehen sie“, sagt Fernandez bedauernd. Berlin ist meist das erste Ziel. Auch das Label Blutsgeschwister hat inzwischen seinen Sitz in die Hauptstadt verlegt. Bereits seit sieben Jahren entwickeln die Stuttgarter ihre Produkte und Designs dort. Anfang 2016 zog der komplette kaufmännische Bereich nach. Eine gänzliche Abkehr von der schwäbischen Landeshauptstadt soll dies aber keineswegs sein. „Unser Herz schlägt nach wie vor für Stuttgart“, sagt die Pressesprecherin Sara Lemmens – die in Berlin sitzt. Immerhin habe man neben dem Flagshipstore L’aufbrezelsteg seit Mitte Januar einen zweiten Laden im Fluxus in der Calwer Passage.

Glööckler will Glanz in die Stadt bringen

Warum man diesen Schritt gegangen ist, erklärt die Mitgründerin Karin Ziegler mit dem Wunsch nach neuen Ufern. „Stuttgart war für mich aber immer meine Brutstätte“, betont die Blutsgeschwister-Designchefin. Gelernt hat sie an der hiesigen Staatlichen Modeschule und dort als Schneiderin ihren Weg ins Design gefunden, um dann im März 2001 zusammen mit der Betriebswirtschaftlerin Christina Haneberg in einer stillgelegten Industriebrache am Nordbahnhof die Marke Blutsgeschwister zu gründen. „Es gab keine bessere Stadt, um die turbulenten Gründerjahre auf solidem schwäbischem Boden zu durchschiffen“, meint Karin Ziegler im Rückblick.

Dennoch, Fernandez hat nicht ganz unrecht. Sobald der Laden läuft, scheint Berlin das nächste Ziel zu sein – aus Sicht von Sabine Dirlewanger eigentlich unnötig. Nach Erfahrung der Schulleiterin der Staatlichen Modeschule Stuttgart können die Region und auch Baden-Württemberg mit sehr guten Modeunternehmen aufwarten. Hugo Boss, Marc Cain, Riani oder Luisa Cerano seien „solide, teilweise extravagante Marken“, die für ihre Schüler gute Aussichten böten. Für junge Labels sei Berlin nicht immer die bessere Alternative. „Es sind schon zu viele dort, der Markt ist übersättigt“, sagt Dirlewanger. Gerade für junge Designer mit einem guten Konzept im Online-Shop-Bereich sei der Standort inzwischen nicht mehr entscheidend. Ihr Fazit: „Stuttgart ist nicht schlechter als Berlin.“

Aber Luft nach oben ist ja immer. Gerade recht kommt da die Ankündigung des bekannten Designers Harald Glööckler. Bis zum Sommer will der exzentrische Schwabe, der zeitweise in Berlin wohnte und vor Kurzem in die Pfalz zog, den Stuttgarter Design-Nachwuchs an der privaten Modeschule Kehrer unterrichten. Er will „Passion und Leidenschaft“ vermitteln, aber auch den Kreationen der Schüler „den letzten Schliff à la Glitzer und Glanz“ verpassen. Ein bisschen mehr Glamour wird da sicher für das modemäßig eher angestaubte Image der Schwabenmetropole abfallen. Den Rest erledigt Fernandez bei der nächsten „Haute Cueture“-Fashionshow am 19. März. Mit der schwäbischen Bescheidenheit soll es da vorbei sein: „Die wird so verrückt, da kommen nicht mal die Shows in Berlin ran“, kündigt Fernandez an.