Früher galten Korsetts als schick, lange als Symbol der Unterdrückung der Frau, heute erleben sie ein Revival. Vor allem der Trend des Burlesque holt das Kleidungsstück raus aus der Fetischecke.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Stuttgart - Vor nur wenigen Jahren dürfte das Korsett den meisten Feministinnen ein Gräuel gewesen sein: Frauen, eingeschnürt, um den Männern zu gefallen, Abweichungen von Schönheitsidealen zu kaschieren und sich für eine aufrechte Haltung zu quälen. Über weite Strecken des späten 20. Jahrhunderts galt das Korsett als Symbol für die Unterdrückung der Frau. Lediglich in der Fetischszene, in der Erotikbranche oder in manchen Subkulturen wie der Gothic-Szene fristete das Kleidungsstück noch ein Nischendasein. Das hat sich jetzt wieder geändert: Vor allem durch den Trend von Burlesque-Shows rückt die Oberkörperbekleidung zum Schnüren in den modischen Mainstream – und ist sogar halbwegs alltagstauglich geworden. Dabei erstaunt: Nicht nur Frauen, sondern auch viele Männer tragen gerne Korsagen.

 

Zu beobachten war das in der Erotik-Boutique Frau Blum im Westen, wo die Korsettmanufaktur TO.mTO (gesprochen „Tomto“) zu Gast war und ihre handgeschneiderten Schnitte präsentierte. Etwa jeder dritte Besucher war ein Mann. Und nicht etwa als Damenbegleitung, sondern weil die Herren nach ausgefallener Bekleidung für sich selbst suchten. Tonja Merz, Inhaberin des Labels TO.mTO, bestätigt, dass etwa ein Drittel ihrer Kundschaft männlich ist.

„Historisch waren Korsetts auch bei Männern stark verbreitet. Vor allem beim Militär galt das als schick. Zum Beispiel die Preußenschärpe“, sagt die 42-Jährige. Herrenkorsetts sind anders geschnitten als die für die Damen. „Die sind meistens sehr maskulin und betonen das männliche V“, so die Designerin weiter.

Offen, das heißt über der Alltagskleidung, tragen die meisten Männer die Modestücke trotzdem nicht. Eine Ausnahme bildet zum Beispiel Jan M. aus Sindelfingen. Der 44-Jährige steht dazu, dass er etwas für gewisse Extravaganzen übrig hat, und ist auch jenseits seines beigefarbenen Herrenkorsetts sehr modebewusst gekleidet. Ihn ärgert das Vorurteil, dass korsetttragende Männer homosexuell sein müssten. „Ich bin hetero. Aber abgesehen von wenigen dummen Kommentaren wird meine Leidenschaft meistens sehr gut aufgefasst.“

An korsetttragenden Frauen dürfte sich heute kaum noch jemand stören. „Ganz wichtig für uns ist die Burlesque-Bewegung, die stark dazu beigetragen hat, dass das Korsett wieder salonfähig geworden ist“, sagt Merz. Ein anderer wichtiger Faktor sei die Popkultur. Dass Popmusikerinnen sich auf der Bühne und in Videoclips in Korsagen werfen, provoziert heute niemanden mehr.

Merz hat auch Stars wie Madonna, Katy Perry oder Fernsehmoderatorin Barbara Schöneberger mit ihren Teilen ausgestattet. „Schöneberger hat ihr Korsett zum Beispiel mit einer Jeans kombiniert. Ein absolut alltagstauglicher Look“, findet Merz. Außerdem sind Merz’ Arbeiten regelmäßig in Modezeitschriften wie der „Vogue“ zu sehen.

Die Nachfrage nach individuellen, maßgefertigten Stücken ist besonders groß

Doch bis dahin war es ein weiter Weg. Merz studierte klassisch Modedesign in Berlin, zu ihrem heutigen Handwerk kam sie über ein Praktikum bei einer Korsettdesignerin in London. Sie machte sich selbstständig, einen Laden auf, beschäftigt mittlerweile sieben Mitarbeiterinnen und tingelt mit ihrer Ware bis heute durch ausgewählte Boutiquen in ganz Deutschland. Bei Frau Blum ist sie zum ersten Mal.

Auch wenn Merz dort etwa 300 verschiedene Stücke ausgestellt hat und Mascha Hülsewig und Alexandra Steinmann, die Inhaberinnen von Frau Blum, immer einige Korsagen im Sortiment haben, ist die Nachfrage nach individuellen, maßgefertigten Stücken besonders groß.

180 verschiedene Stoffe und andere Materialien wie Leder hat sie im Sortiment, innen sind alle Korsagen mit Baumwolle gefüttert. „Damit sie sich möglichst bequem tragen“, sagt Merz.

Diese Liebe zum Detail hat ihren Preis. 300 bis 600 Euro kostet ein Korsett etwa. Das teuerste Korsett, das Merz je genäht hat, ging sogar für 3000 Euro über den Ladentisch. Dabei handelte es sich allerdings ganz klar um ein aufwendiges Fetisch-Kleidungsstück, das die Käuferin vom Hals bis zu den Fußspitzen zuschnürte. „Offenbar bereitet ihr Bewegungsunfähigkeit große Freude“, sagt Merz schmunzelnd.