Sie gehört zu Großbritannien wie die Queen, Essigchips und der Linksverkehr: die Modeschöpferin Vivienne Westwood. Heute gilt sie als bedeutendste lebende Designerin ihres Landes, hat Gastprofessuren, engagiert sich sozial. Dieser Erfolg der ehemaligen Volksschullehrerin und Punkerin war nicht unbedingt zu erwarten. Ein Erklärungsversuch zum 75. Geburtstag.

Bauen/Wohnen: Tomo Pavlovic (pav)

London - Über Mode lässt sich trefflich streiten. Für die einen steht die Mode für einen allgemein vorherrschenden Geschmack in Sachen Musik oder Kleidung. Für die anderen ist es das genaue Gegenteil: Mode, das ist der stetige Wandel, die Antithese. Anders sein als die Mehrheit, rebellieren gegen das Establishment - genau das wollte auch Vivienne Westwood, als sie 1971 gemeinsam mit dem Kunststudenten und späteren Manager der legendären Punkgruppe „Sex Pistols“ Malcolm McLaren in der Londoner »King‘s Road 430« ihren ersten Laden eröffnet. Wagemutig, wenn man bedenkt, dass Westwood niemals eine Schneiderlehre besucht hat. Mit 30 Jahren näht die Lehrerin, alleinerziehende Mutter und Tochter aus kleinbürgerlichen Verhältnissen bei Manchester ihr Leben komplett um, so wie sie es fortan mit den Stoffen tun wird: provozierend und opulent. Apropos Stoffe: Westwood gehört zu den ersten Modeschöpfern, die sich nicht auf Wolle und Seide festlegen. 1974 gibt sie ihrem Geschäft einen neuen Namen, der sich gut verkauft: „Sex“. Das ist zu jener Zeit mindestens so aufsehenerregend und ordinär wie Westwoods Entwürfe: Sie fertigt Fetischmode aus Leder und Latex an, kauft Konfektionsware, zerreißt und färbt sie, setzt sie wieder zusammen, verziert sie mit Tierknochen und Ketten von Toilettenspülungen. Westwood lässt sich von der Straße inspirieren, von der Aggressivität und Hoffnungslosigkeit der britischen Jugend. Das Swinging London der 60er Jahre ist inzwischen so heruntergekommen wie zu Zeiten von Charles Dickens, Millionen im Land sind arbeitslos. Die Westwood übersetzt die trostlose Stimmung in Mode. Mit Nadel und Schere erfindet sie den Punk.

 
Die Kunst der Falte

Doch Westwoods Kreationen sind alles andere als deprimierend oder hässlich. Sie sind klug und vielstimmig, verrückt und elegant zugleich. Westwoods Markenzeichen wird der verschwenderische Stoffkonsum sein, die kunstvolle Falte, das Zitat, die Dekonstruktion der Tradition. Sie inszeniert den Schottenrock, die Tweedjacke oder das Korsett völlig neu, schert sich nicht um Geschlechterzuschreibungen, ist lasziv, aber nie vulgär. Nach der Trennung von Malcolm McLaren Mitte der 80er Jahre werden ihre Arbeiten femininer, historisierender. Vergleichsweise spät, 1990, präsentiert sie eine eigene Herrenkollektion. Kostümgeschichtlich springt sie wild zwischen den Jahrhunderten, den Models verpasst sie Röcke, hohe Absätze, hautenge Höschen und - die Schamkapsel. Im Grunde ist das der BH für den Mann. Wow, was für eine amüsante eine Retourkutsche für das Patriarchat. Sie sagt: „Ich finde nur Männer sexuell attraktiv, die auch eine feminine Seite haben“. Westwoods Mode ist in ihren kreativsten Phasen immer auch politisch gewesen, unverkrampft feministisch. Soviel Subversion kommt an, weltweit. Westwood hat Gastprofessuren inne, kreiert Uhren, Parfums und Teegeschirr für Wedgewood. Doch eine Demütigung bleibt. Als 1997 der Posten des Chefdesigners bei Christian Dior vakant ist, entscheiden sich die Geldgeber für den fast so wilden John Galliano. Die Pariser Haute Couture lässt die Westwood im englischen Regen stehen.

So viele haben Westwood kopiert

Und heute? Gehört die „Queen of Punk“ längst zum Establishment, ist eine britische Institution, was sie ja eigentlich nie sein wollte. Niemand regt sich mehr auf über ihre Mode, was zugegebenermaßen schwer ist. „Es ist heute schwierig, Avantgarde zu sein“, bekennt sie. So viele Designer haben Westwoods Kreativität studiert und kopiert, nicht ohne Folgen für das Original. Mittlerweile sind Westwoods Entwürfe selbstbezogen und nostalgisch. In ihrem Web-Shop gibt es eine Armkette aus Gold, auf der mit großen Buchstaben „Sex“ funkelt. Die Erinnerungen machen einen beinahe traurig. Happy birthday.