Alter ist Ansichtssache, der Dresscode perdu: Ältere müssen sich selbst durch den Trend-Dschungel schlagen. Robert Herzog, Dozent an der Staatlichen Modeschule Stuttgart, empfiehlt „Best Agern“, das Neue und Freche stets mit einem Klassiker zu kombinieren.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

Stuttgart - Mode für 50 Plus will keiner, auch nicht mit 65. Reife Leute wünschen keine Sonderbehandlung, keine Schonung, kein entcoffeiniertes Dasein. Die Rentnergeneration, die sich klaglos aus dem prallen Leben schlich, um sich in fade Grautöne gehüllt auf die Butterfahrt zur allerletzten Ruhe zu begeben, hatte es da deutlich bequemer. Sie stirbt aber aus. Heute sind Alte „Best-Ager“ und man sagt, sie seien so alt, wie sie sich fühlten. Wer heute 60 Lenzen zählt, ist mit Popmusik sozialisiert worden und in Jeanshosen herangewachsen. Die Demarkationslinie zwischen den Generationen zerbröselt zusehends. Aber sind damit auch modisch alle Dämme gebrochen? Dürfen Alte jetzt jeden Fummel tragen, der gerade angesagt ist? Oder gibt es noch ein paar ästhetische Grenzen?

 

Robert Herzog ist zu freundlich, um die Frage mit einem brüsken „Ja“ zu beantworten. Allerdings ist der Dozent an der Staatlichen Modeschule Stuttgart davon überzeugt, dass Mode immer auch den Bewusstseinszustand seines Trägers reflektieren sollte und der ist mit 22 Jahren in der Regel ein anderer als etwa mit 72. „Die Kids müssen sich ausprobieren, die stilisieren sich mal als flatterhaftes Girlie oder als maskulinen Gangsterrapper. Das ist Ausdruck der Suche nach einer eigenen Identität.“ Insofern wirkt eine noch so abenteuerliche modische Verkleidung bei jungen Leuten authentisch. Die modische Grille ist gewissermaßen das Requisit dieser Lebensphase.

Derselbe Nietengürtel in Kombi mit High Heels wirkt bei einem reifen Menschen keineswegs authentisch, „sondern so, als trage er nur die Hülle der Jugend“, sagt Herzog. Hart gesagt: Das Outfit offenbart den kläglichen Versuch, sich der Jugend anzubiedern. Vätern passiert so etwas gelegentlich aus Versehen, wenn sie mit ihrem halbwüchsigen Spross zum Shoppen gehen und dabei in einer unglücklichen Kombination aus Dreiviertelhose plus Sneaker enden. Experten sprechen da übrigens von „Bekleidung“, nicht mehr von „Mode“.

Keiner will zum alten Eisen gehören

„Ein älterer Mensch hat schon viel erlebt und ausprobiert, seine Sichtweisen sind gewachsen. Diese Erfahrung darf in der Kleidung formuliert werden“, meint der Modeexperte. Faustregeln gebe es dafür nicht. Im Gegensatz zu früher, als sich zurücklehnte, wer die Rente erreicht hatte, ist das Altern ein individueller Prozess geworden. Laut einer Studie der Kölner Unternehmensberatung BBE fühlen sich heute Frauen im Alter von 55 Jahren um durchschnittlich 14 Jahre jünger. Robert Herzog kennt das: „Früher habe ich gemeint, wenn ich alt bin, so Mitte fünfzig, dann trage ich bloß noch Anzug, weil das alterslos ist und immer gut aussieht. Jetzt ist es bald soweit, aber ich denke gar nicht dran, bloß noch im Anzug rumzulaufen.“

Viele Menschen arbeiten weit übers Rentenalter hinaus, viele Ältere sind Single und wollen für den Partnermarkt attraktiv bleiben. Sie halten sich modisch auf dem Laufenden und ihren Körper fit. Die unterschwellige Botschaft ihres Erscheinungsbildes lautet: „Ich spiele noch mit, ich gehöre nicht zum alten Eisen!“ Das Alter ist auch keineswegs frei von Eitelkeit. Ältere trachten nach gesellschaftlichen Idealen wie Schönheit, Jugendlichkeit oder Fitness wie alle anderen auch.

Aber wie übersetzt man dieses Lebensgefühl in einen guten Kleidungsstil? Robert Herzog empfiehlt, das Neue und Freche mit dem Sexappeal stets mit einem Klassiker zu kombinieren. „Es muss ein Teil geben, das den Jugendanspruch des Modischen kontrastiert.“ Am besten sei es, einen Stilbruch anzusteuern. Eine Mittfünfzigerin sollte den Minirock mit weiter Tunika kombinieren, der Betagte die Röhrenjeans mit Jackett oder den Anzug zu einem T-Shirt mit dem Aufdruck: „See you next year, perhaps.“ Todschick. Herzog nennt das den „individuellen Twist“. Zweiter Punkt: Qualität. „Lieber weniger Stücke im Schrank, bei denen aber der Schnitt stimmt, das Material und die Verarbeitung“, sagt Herzog. Ein guter Hemdstoff beispielsweise hänge nicht am Körper, sondern modelliere ihn.

Junge lassen sich die Haare grau färben

Das Argument, dass die großen, teuren und qualitätvollen Modelabels bloß Kleider für Jungen schneidere, lässt Herzog nicht stehen: „Ein Jackett von Jil Sander kostet um die 1000 Euro. Präsentiert wird es von einem jungen, schlanken Modell. Gemacht ist es aber für die Zahnärztin mit eigener Praxis. Die ist keine 25 mehr, kann es sich aber leisten.“ Jeder dritte Euro, der in Deutschland ausgegeben wird, stammt aus dem Geldbeutel eines Ü-60, hat das Institut für  Wirtschaftsforschung festgestellt. Die Firmen wissen das und buhlen nicht um junge Kundinnen, die sich am Ende ein billiges Jackett bei H&M kaufen. Ihre Mode geht durchaus mit der Demografie, bloß steht das nicht im Etikett. Es gibt dennoch einen triftigen Grund, Designermode an jungen Frauen zu präsentieren. „Mode spielt mit Träumen, mit dem, was begehrenswert erscheint. Und da steht Jugend an erster Stelle“, so Herzog. Mit dem Kleidungsstück wird zugleich die Illusion von Jugend und perfektem Körper verkauft. „Der Kunde weiß das auch. Er will sich ein bisschen betrügen lassen.“ Er sonnt sich in der trügerischen Hoffnung, dass das jugendliche Image einer Marke auf ihn abstrahle.

Es gibt seit einiger Zeit auch einen umgekehrten Trend, eine Art Opamode bei den Jungen. Da sind zum einen grau gefärbte Haare. Zum anderen lässt sich ein gewisser Konservatismus beobachten, der beispielsweise in Dreiteiler, Kostüm oder Strickwesten daherkommt. Er stellt keineswegs ein losgelöstes Modephänomen dar, sondern schlägt sich in anderen gesellschaftlichen Bereichen nieder – etwa in dem Trend, den Bund der Ehe zu schließen und als Frau den Namen des Mannes anzunehmen. Der Modedozent Herzog deutet dies als eine Form der Rebellion: „Ich war Posthippie, Punker, Waver und Popper. Alle diese Bilder habe ich schon besetzt. Welcher Stil bleibt meinen beiden Söhne da noch als Protestform übrig? Doch bloß der Konservatismus der Großväter!“