Das Pariser Museum für Kunstgewerbe zeigt das kreative Spektrum des Modedesigners Marc Jacobs während seiner Arbeit für Louis Vuitton.

Paris - Marc Jacobs, den kennt doch jeder in Paris. Oder zumindest jede. Allgegenwärtig ist der Stardesigner des Hauses Louis Vuitton, der seit 15 Jahren zusammenführt, was nicht zusammengehört: Tradition und Revolution, zeitloses LV-Monogramm und extravaganten Buchstabensalat, klassische Kargheit und dicken Dekor. Eben erst hat der Amerikaner auf den New Yorker Prêt-à-porter-Schauen Aufsehen erregt, wo er dem weiblichen Körper wenig schmeichelhafte Trapezröcke präsentierte, da befeuert er in Paris schon wieder die Gerüchteküche.

 

Geht er nun zum Konkurrenten Dior, der vor einem Jahr seinen pöbelnden Stardesigner John Galliano gefeuert hat, oder nicht? „Ich fühl’ mich wohl bei Louis Vuitton und nirgends sonst“, sagt der Umworbene. Er sagt aber auch: „Morgen sieht das womöglich schon wieder ganz anders aus.“ Auch als Preisträger tut sich der 49-Jährige hervor. Der „Council of Fashion Designers of America“ hat ihm den Spitzencouturiers zur Lebensmitte ehrenden „Half Lifetime Achievement Award“ zuerkannt. Für den sportlich gestählten, sonnengebräunten Mann mit pechschwarzem Haar und silbergrauem Bart war es eine hochwillkommene Gelegenheit, den Gedanken an eine Midlifecrisis öffentlich weit von sich zu weisen.

Der allseits Gefeierte wird noch einmal gefeiert

„Der Karl ist noch immer da, ich kriege das auch hin“, hat Jacobs unter Anspielung auf seinen 78-jährigen Kumpel Lagerfeld gesagt. Und nun feiert Paris den allseits Gefeierten auch noch mit einer Ausstellung. Das Museum für dekorative Künste zeigt sie. Als ob eine Rückschau auf Leben und Werk zu dem ständig vorwärts Strebenden passen würde! „Ich sehe meine Kleider lieber auf der Straße als im Museum“, hatte er gespottet, als er von der Idee Wind bekam.

Wer freilich durch die Säle des in einem Seitenflügel des Louvre untergebrachten Museums flaniert, merkt schnell: Es passt doch. Das ist gar keine Rückschau. Vielmehr zeigt die Konservatorin Pamela Golbin Neues. Sie gewährt Einblicke in Jacobs Innenleben. Oder wie es die Museumssprecherin Marie-Laure Moreau formuliert: „Wir präsentieren das gedankliche Universum, aus dem sich der Designer bedient, wenn er Taschen, Kleider, Schuhe oder Schmuck entwirft, die das Monogramm LV tragen sollen.“ Jacobs‘ Kopf muss ein Kaleidoskop sein.

Lachende Riesenkirschen und anderes Vergnügliches

Ein Bilderchaos empfängt den Besucher. Stierkämpfer, Pina Bausch, Cowboys, Mona Lisa, die Simpsons und Johann Sebastian Bach bevölkern die Vorstellungswelt des Designers. Auch Künstler der Gegenwart tummeln sich darin. Einige haben auf Geheiß des Meisters persönlich mit Hand angelegt. So durfte sich der Graffiti-Sprayer Stephen Sprouse auf Ledertaschen und Luxuskleidern austoben. Seine bonbonfarbenen Buchstaben gefielen Hipstern wie Damen der Pariser Bourgeoisie, denen Sprouse zuvor vermutlich ein schauderhafter Schmierfink gewesen war.

Auch Takashi Murakami kam zum Zug. Der Japaner hinterließ lachende Riesenkirschen und anderes Vergnügliches. Was nicht heißt, dass Jacobs aus einer heilen Vorstellungswelt schöpfen würde. Vis-à-vis von der Mona Lisa quillt der Fettwanst einer unförmigen Frau aus einem Baströckchen. „Ich will respektvoll und zugleich respektlos sein, der Marke Louis Vuitton huldigen und zugleich gegen sie aufbegehren“, hat der Amerikaner gesagt. Der Bilderreichtum erlaubt beides. Wie das allerdings bei einem Universum so ist, es ist nicht abschließend abzubilden.

Jacobs hat schon mal die Orientierung verloren

Schon gar nicht kann dies bei Jacobs gelingen, der ständig in Bewegung ist. Wenn er zum krönenden Schluss seiner Modeschauen selbst den Laufsteg betritt, erinnert er an eine schwer zu kontrollierende Marionette. Die Arme schlenkern, das Winken gerät zum Händezucken. Kaum zu bändigende Bewegungsimpulse scheinen dem Mann zuzusetzen. Und so erlaubt die Ausstellung auch keinerlei Vorhersagen, was er als nächstes ausheckt. Zumal er bei Louis Vuitton „Carte blanche“ hat, wörtlich: eine „weiße Karte“, die er nach Belieben mit seinen Eingebungen füllen darf.

So viel künstlerische Freiheit ist umso bemerkenswerter, als über den Bewegungsdrang bisweilen die Orientierung verloren geht. Schon 1992 war das so gewesen, fünf Jahre bevor er bei Louis Vuitton anheuerte. Der für das Label Perry Ellis arbeitende Designer hatte sich von Altkleidersammlungen inspirieren lassen. Das Ergebnis waren die Karos schäbiger Flanellhemden auf verwaschener Seide, Ringelpullis und Sportschuhe aus Satin. Jacobs wurde gefeuert.

2007 geriet er auch bei Louis Vuitton aus der Bahn. Ein Übermaß an Arbeit, Alkohol und Drogen soll ihm zugesetzt haben. Louis-Vuitton-Chef Yves Carcelle hat freilich nie Anstalten gemacht, Jacobs auf die Straße zu setzen. Nach Entziehungskuren meldete sich der außergewöhnliche Angestellte 2008 zurück. Und wenn er morgen nicht bei Dior anheuert, wird er bei Louis Vuitton womöglich noch so alt wie Lagerfeld.