Die Bürgerpauschale wäre eine bessere Bürgerversicherung, schreibt Politikredakteur Willi Reiners in seinen Kommentar.

Stuttgart - Eine Dekade lang war die Bürgerversicherung mausetot. Ein Parteiprogrammzombie, der allenfalls noch an Wahlständen von SPD, Grünen und Linken noch herumgeisterte. Plötzlich reden alle wieder über sie: Sozial bewegte Genossen, die sie als Morgengabe für ein Groko-Revival verlangen wollen, aber auch Ärzte und andere gewinnorientierte Freunde der Privaten Krankenversicherung. Für den Fall, dass die Schwarzen einwilligen, sagen letztere schon den Untergang unseres medizinischen Versorgungssystems voraus.

 

Eine für alle – dieser Ansatz bleibt, allen Nebelkerzen zum Trotz, der leuchtende Kern der Bürgerversicherung. Medizinischer Fortschritt und steigende Lebenserwartung werden das Gesundheitswesen und seine Finanzierung in den kommenden Jahrzehnten an Grenzen bringen. Das bisherige Zwei-Klassen-System wird die bohrenden Gerechtigkeitsfragen, die sich dann stellen werden, nicht beantworten können – mit unabsehbaren Folgen für den Zusammenhalt unseres Gemeinwesens.

Wie kann es sein, dass gesunde Gutverdiener sich in die Private Krankenversicherung verabschieden dürfen, während Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen allein für die relativ gesehen deutlich höhere Zahl sozial schwacher und kranker Menschen im gesetzlichen System einstehen? Und wie werden Kassenpatienten über einen Staat urteilen, der (was er heute schon tut) die Luxusversorgung der Privaten Krankenversicherung durch die Beihilfe für Beamte am Leben erhält, während in der Gesetzlichen Krankenversicherung Leistungen vielleicht rationiert und nur noch auf Zuteilung gewährt werden?

Die Bürgerversicherung ist ideologiegetrieben

Aber die Bürgerversicherung hat eine große Schwäche – sie ist ideologiegetrieben. Für SPD, Grüne und Linke war und ist sie auch ein Instrument, das Umverteilungsfantasien befriedigt. In der radikalsten Form werden neben dem Arbeitsentgelt auch Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie Vermietung und Verpachtung herangezogen, um die Beitragshöhe zu bemessen. Sie würde so zu einem zweiten Finanzamt – ein vollkommen verfehlter Ansatz nach dem Motto: Die Krankenversicherung muss es richten, wenn das Steuersystem in Sachen Gerechtigkeit versagt.

Es gibt eine überzeugende Alternative, die in der öffentlichen Debatte leider kaum eine Rolle spielt – die Bürgerpauschale. Die ideologisch eher unverdächtigen Wirtschaftsweisen haben das Modell 2004 vorgeschlagen. Die Eckpunkte: Im neuen System wäre die gesamte Wohnbevölkerung versicherungspflichtig. Die Beiträge würden als vom Einkommen unabhängige Pauschale erhoben, die bisherigen Arbeitgeberbeiträge als Bruttolohnbestandteil ausgezahlt. Individuelles Krankheitsrisiko, Alter und Geschlecht spielten keine Rolle. Für Menschen mit geringem Einkommen gäbe es einen versicherungsexternen Sozialausgleich aus Steuermitteln, für Krankenkassen mit vielen Kranken einen Ausgleich von der Konkurrenz. Der Leistungskatalog schließlich würde dem des heutigen gesetzlichen Systems entsprechen.

Als Angela Merkel der Mut verließ

Das System wäre in mehrfacher Hinsicht gerecht. Wir alle haben von Geburt an im Prinzip das gleiche Erkrankungsrisiko – ein gutes Argument für eine Pauschale. Zudem würden die Gesundheitskosten von den Arbeitskosten gelöst – ein beschäftigungsförderndes Element. Vor allem aber: Der soziale Ausgleich würde alle Bürger einbeziehen, er wäre zudem zielgenauer und transparenter als heute.

Natürlich, eine solche Reform wäre ein enormer Kraftakt und würde viele Jahre beanspruchen. Aber eine große Koalition könnte es schaffen. Auch deshalb, weil beide Seiten etwas bekämen: die Roten ihr Prinzip eine für alle, die Schwarzen ihre Pauschale, für die Angela Merkel 2003 auf dem Leipziger Parteitag kämpfte. Und die dann mangels Mut von der späteren Kanzlerin fallengelassen wurde.