Im Modellprojekt „Early Intervention“ wird gut ausgebildeten Flüchtlingen mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit der Weg in Arbeit erleichtert. Im kommenden Jahr mündet das Pilotprogramm in die landesweite Frühförderung.

Stuttgart - In ihrer Heimat waren sie Chemielaboranten und IT-Fachkräfte, Verkäufer und Kinderärzte, Maler und Kfz-Mechaniker. Jetzt sind sie Flüchtlinge, Asylbewerber oder schlicht qualifizierte Einwanderer, die der deutsche Arbeitsmarkt gut gebrauchen kann – aber vor einem Engagement stehen einige Hürden. Das Modellprojekt „Early Intervention“ (auf Deutsch: Frühförderung), eine Initiative von Bundesagentur für Arbeit (BA) und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), soll Migranten den Berufseinstieg erleichtern. Im April 2014 war das Projekt zunächst bundesweit in sechs Städten gestartet, darunter auch Freiburg, mittlerweile sind drei weitere hinzugekommen.

 

Statt abzuwarten, bis über einen Asylantrag entschieden ist, werden die Flüchtlinge schon kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland angesprochen. Die Vermittler gehen gezielt auf mögliche Bewerber zu, um zu klären, welche Kenntnisse und Qualifikationen sie haben und auf welchem Stand ihre Sprachkenntnisse sind, um sie direkt in einen passenden Deutschkurs zu schicken. Oft bekommen die Vermittler vorher einen Tipp aus dem Kreis der Bleiberechtsnetzwerke oder Hilfsorganisationen wie Diakonie, Caritas und Rotes Kreuz, deren Mitarbeiter die Flüchtlinge in den Aufnahmeeinrichtungen persönlich kennengelernt haben. Für das Programm kommen Flüchtlinge mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit und mit in der jeweiligen Region gefragten Qualifikationen in Frage.

Sprache und die Anerkennung der Abschlüsse sind wichtig

Nachweise für Schul- oder Studienabschlüsse haben nur die allerwenigsten vorzuweisen: „Wer vor dem Krieg aus Aleppo flüchtet, denkt an vieles, aber nicht daran, seine Zeugnisse mitzunehmen“, sagt Christian Ramm, der Geschäftsführer der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Freiburg. Neben fehlenden Sprachkenntnissen ist die Anerkennung der Abschlüsse das größte Hindernis. Je nach Beruf müssen unterschiedliche Behörden oder Institutionen prüfen, erklärt Ramm: bei einem Maurer die Handwerkskammer Freiburg, bei einer Hotelfachfrau die Industrie- und Handelskammer (IHK) in Nürnberg, für Pflegeberufe ist das Regierungspräsidium Stuttgart zuständig, für akademische Abschlüsse der jeweilige Fachbereich an einer Hochschule. Die neuen Welcome-Center des Landes unterstützten die Flüchtlinge zwar bereits dabei. „Besser wäre allerdings eine zentrale Anerkennungsstelle“, sagt Ramm.

Freiburg ist der einzige Standort für das Frühförderprojekt in Baden-Württemberg. Das heißt allerdings nicht, dass es anderenorts keine Angebote gebe, betont Christian Rauch, der Chef der Bundesagentur im Südwesten: „Early Intervention war der Anfang, mittlerweile haben wir vergleichbare Angebote nahezu flächendeckend im Land“, sagt Rauch. Zu Beginn des Jahres hat die Landesregierung das Projekt „Stella“ (Schnelle Integration von Flüchtlingen und Asylbewerbern) ins Leben gerufen. In den vier Landkreisen Ludwigsburg, Tübingen, Reutlingen und Ortenaukreis zielt es ebenfalls auf die frühzeitige Arbeitsmarktintegration von Asylbewerbern, Geduldeten und anerkannten Flüchtlingen ab.

Die Arbeitsagenturen stellen weitere Vermittler ein

Die Verantwortlichen profitierten von den Erfahrungen von Early Intervention, eine Reihe von Vermittlern wurden beispielsweise in Freiburg geschult. Insgesamt hat die BA im Land 27,5 zusätzliche Vermittlerstellen geschaffen. Acht sollen bis zum Jahresbeginn 2016 hinzukommen. Gesucht werden Personen, die selbst einen Migrationshintergrund haben oder spezielle Sprachkenntnisse besitzen.

Early Intervention läuft zum Jahresende aus. „Das Modellprojekt wird dann in den Regelbetrieb überführt“, kündigt BA-Geschäftsführer Rauch an. Dann gebe es in jeder der 19 Arbeitsagenturen im Südwesten ein bis zwei Spezialisten für die Frühintegration von Flüchtlingen. Der BA-Verwaltungsrat hat dafür bundesweit rund 60 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, davon entfallen etwa fünf Millionen Euro auf das Land. Kritischer als im Bereich der Agenturen sieht Rauch die Situation der Jobcenter: „Sie müssen die zusätzlichen Belastungen bisher aus ihren vorhandenen Budgets schultern“, so Rauch. Eine Entscheidung über zusätzliche Mittel vom Bund stehe noch aus. Die Arbeitsagenturen sind zwar die Erstanlaufstelle, aber über kurz oder lang werden laut dem BA-Vorstand in Nürnberg etwa 90 Prozent der Asylbewerber in den Bereich Grundsicherung (Hartz IV) fallen und damit von den Jobcentern betreut werden müssen.

800 Flüchtlinge werden bundesweit in dem Projekt betreut

Von 137 jungen Männern und Frauen, die seit April 2014 in Freiburg an dem Programm teilgenommen haben, konnten bisher 28 erfolgreich vermittelt werden; sechs in eine Ausbildung, die anderen direkt in eine Arbeitsstelle. 82 befinden sich noch im Projekt, bundesweit sind es mehr als 800. Die meisten Teilnehmer kommen aus Syrien, danach folgen Iran, Irak, Pakistan, Gambia, Somalia und Afghanistan.

Die Betriebe seien viel offener, als man denke, wenn es darum gehe, Flüchtlingen eine Chance zu geben, sagt Ramm. Besonders hilfreich sei, wenn es einen „Kümmerer“ im Betrieb gebe, der den Menschen zuhört, auch über die beruflichen Belange hinaus. „Die Menschen haben Erfahrungen auf ihrer Flucht gemacht, die wir uns gar nicht vorstellen können“, so der Behördenleiter. Selbst wenn es sprachlich noch holpert, seien viele Firmen gewillt, die Flüchtlinge nach einem zwei- bis sechswöchigen Praktikum einzustellen. Das gelte besonders für Betriebe aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe, aber auch für kleinere Handwerksbetriebe, die händeringend nach Personal suchen, sagt der Agenturchef und berichtet von einer jungen Syrerin, Mitte zwanzig, die genau vor einem Jahr eine Ausbildung zur Friseurin begonnen hat. Sie habe gar nicht an einem Integrationsprojekt teilgenommen, sondern sei regulär zur Berufsberatung gekommen.

Der mitgebrachte Beruf wird oft nicht anerkannt

Wie umständlich der Weg in den deutschen Arbeitsmarkt sein kann, zeigen die Fälle eines Gambiers und eines Pakistaners. Beide haben über das Early-Intervention-Projekt in Freiburg Arbeit gefunden.

Maschinenbauer
Raymond Dione* ging zunächst zum Studium nach Großbritannien und kehrte mit einem Maschinenbau-Diplom in der Tasche zurück in seine Heimat Gambia. Weil er als Parteifunktionär politisch verfolgt wurde – das westafrikanische Land wird seit 1994 von Diktator Yahya Jamme mit harter Hand regiert –, floh der junge Mann im vergangenen Jahr, versteckt auf einem Frachter, zurück nach Europa. Nach seiner Ankunft in Hamburg ging es weiter über die Erstaufnahmeeinrichtung in Karlsruhe nach Freiburg. Christian Ramm, Geschäftsführer der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Freiburg, erinnert sich an die erste Begegnung mit dem jungen Gambier: „Er sprach hervorragend Englisch, hatte auch schon erste Brocken Deutsch gelernt, aber null Zertifikate über seine Qualifaktion in der Tasche.“ Dione wurde zunächst als Helfer von einem Metallbaubetrieb eingestellt. „Das Unternehmen hat sofort zugesagt und garantiert, dass er eine bessere Position bekommt, wenn er sich bewährt hat“, sagt Ramm.

Architekt
Tariq Nahawaz* musste sich ein Zimmer in einer Asylbewerberunterkunft mit vier anderen jungen Männern teilen. Erst der Einstieg in Arbeit ermöglichte es dem 25-jährigen Pakistaner, in eine eigene kleine Bleibe zu ziehen. Ein Architekturbüro aus Kenzingen (Landkreis Emmendingen), das ihn zunächst für ein Jahr eingestellt hat, stellt ihm eine Wohnung. Nahawaz hat in seiner Heimat einen Bachelor in Architektur gemacht, der in Deutschland allerdings nur als ein dem Abitur gleichwertiger Abschluss anerkannt wurde. Weil seine Deutschkenntnisse noch zu schlecht sind, hat er am 1. August zunächst eine einjährige Einstiegsqualifizierung begonnen, die von der Arbeitsagentur gefördert wird. Dafür erhält er 216 Euro monatlich über die BA, der Arbeitgeber stockt diesen Betrag auf, sagt Simone Vogt, die Projektleiterin des Early-Intervention-Programms in Freiburg. Nun hat er zumindest die Aussicht auf eine Stelle.

* Namen geändert