Der Waldenbucher Kindergarten Im Städtle ist eine von sieben Einrichtungen, die am Modellprojekt „Kita für alle“ teilnimmt. Eine Integrationskraft sorgt dafür, dass Kinder mit erhöhtem Förderbedarf nicht abgehängt werden.

Waldenbuch - Oft hat es an der Zeit gefehlt. Wenn deutlich wurde, dass der Dreijährige das gemeinsame Spielen erst noch lernen muss. Oder wenn sich Defizite im sozialen Verhalten zeigten. Die Erzieherinnen und Erzieher des Waldenbucher Kindergartens Im Städtle unterstützten die Kinder, so gut sie konnten. Häufig aber blieb das Gefühl zurück: Da wäre mehr möglich gewesen. Doch der knappe Personalschlüssel lies das nicht zu.

 

Seit dem 1. März muss sich das Team darüber nicht mehr den Kopf zerbrechen. Die städtische Einrichtung ist Teil eines Modellprojekts, das die pädagogische Arbeit in den Betreuungseinrichtungen weiter entwickeln soll. Unter dem Titel „Kita für alle“ stärkt der Landkreis Böblingen das Miteinander von Kindern mit und ohne Behinderungen sowie jenen, mit besonderem Förderbedarf. Die zusätzliche Integrationskraft ist jetzt jeden Tag vor Ort und die Leiterin der Kita, Erika Dörr, atmet auf: „Die bürokratischen Hürden für die Eingliederungshilfe fallen weg, und wir haben eine erfahrene Kollegin, die fest ins Team eingebunden ist.“

Anfangs waren nicht alle Eltern begeistert

In der Waldenbucher Kita sorgt Birte Nees in den kommenden drei Jahren dafür, dass Jungen und Mädchen mit Startschwierigkeiten schneller an die Gruppe andocken und dort Akzeptanz und Anerkennung finden. Das kann der Junge mit der körperlichen Behinderung sein, oder das Mädchen aus schwierigen Verhältnissen, das schlecht Deutsch spricht und Verhaltensauffälligkeiten zeigt. „Im Moment haben wir kein behindertes Kind, aber viele mit Migrationshintergrund, einem erhöhten Förderbedarf oder schwierigem Umfeld“, erzählt die Kindheitspädagogin.

Mit großem Engagement hat sich Erika Dörr deshalb für die Teilnahme am Modellprojekt beworben. Als die Zusage kam, hat sie festgestellt: Nicht alle Eltern haben ihre Euphorie geteilt. „Zahlreiche Mütter und Väter hatten die Sorge, dass ihr Kind jetzt hinten runterfällt, weil wir uns nur noch um die lauten und auffälligen kümmern“, berichtet sie. Inzwischen sind die Bedenken abgeebbt. „Wir stehen in der Mitte der Gesellschaft und sind für alle da“, betont Dörr.

Die Erzieher werden entlastet

Wie ist Teilhabe möglich und wer braucht welche Unterstützung? Jeden Montag zieht Birte Nees mit den Kolleginnen und Kollegen Bilanz. „Wir beobachten die Kinder, schauen uns die aktuelle Entwicklung an und können flexibel reagieren“, erklärt Erika Dörr. Da die Bezugserzieher in den Gruppen durch die zusätzliche Kraft entlastet werden, würden letztlich alle Kinder von der zusätzlichen Stelle profitieren.

Das sieht auch Birte Nees so: „Wenn ich mich um einen Problemfall kümmere, findet das ja nicht im luftleeren Raum statt. Wenn ein Kind zum Beispiel nicht spielen kann, bilde ich eine kleine Gruppe mit einem anderen Kind und wir lösen gemeinsam eine Aufgabe. Hinterher sagen dann beide: Das haben wir geschafft.“ Auch der Kontakt zu den Eltern ist ihr wichtig. „Wir müssen ihr Vertrauen gewinnen. Denn viele befürchten, ihr Kind würde durch die Unterstützung stigmatisiert “, sagt sie.

Wegen Corona brauchen mehr Kinder Hilfe

Für Erika Dörr kommt die Teilnahme am Modellprojekt „Kita für alle“ gerade zur rechten Zeit. Durch die langen Schließzeiten wegen Corona sei die Liste derer, die Hilfen benötigen, noch länger geworden. Sie findet deutliche Worte: „Familien mit Kindern sind die Verlierer der Pandemie. Viele Dreijährige, die wir jetzt sehen, haben durch Corona keine Spielpartner gehabt. Manche kommen zurück und können ihre Schuhe nicht mehr binden, andere haben sprachliche Rückschritte gemacht.“

Die Leiterin des Städtle-Kindergartens sieht einen großen Nachholbedarf: „Ich denke, wir brauchen jetzt ein Jahr, in dem wir alle wieder richtig arbeiten können, um die Defizite auszugleichen.“ Wenn das Modellprojekt im August 2023 ausläuft und bewertet wird, hofft die Kita-Chefin auf positive Ergebnisse. „Was Birte jetzt macht, wünsche ich mir schon seit 40 Jahren. Es wäre toll, wenn das Projekt weitergehen könnte“, sagt Erika Dörr. Denn sie ist überzeugt davon, dass die Arbeit nicht einfacher wird: „Ich erwarte, dass der Anteil von Kindern mit erhöhtem Förderbedarf weiter zunimmt.“