Boiler Suit, Utility Wear, Worker’s Clothes: was hip klingt, war ursprünglich das Gegenteil. Arbeitskleidung ist angesagt – von der Handwerkerhose bis zum Blaumann.

Stuttgart - Arbeit ist das halbe Leben. Kein Wunder, dass sich das auch in der Mode widerspiegelt. Ob Doc-Martens-Schuhe, Bomberjacke oder Jeans – alles war ursprünglich einmal Arbeitsbekleidung. Die Älteren erinnern sich vielleicht an die kastenförmige Hose mit verstärkter Kniepartie und praktischer (aber vollkommen unnützer) Zollstocktasche der Detroiter Firma Carhartt oder die Elwood-Jeans des niederländischen Labels G-Star aus den Achtzigerjahren.

 

Jetzt erfährt die „Worker’s Couture“ oder „Utility Wear“, wie es in Kennerkreisen heißt, einen neuen Boom. Outdoor war gestern, heute sieht der trendige Großstädter so aus als sei er gerade vom Baugerüst gestiegen: Handwerkerhose oder Funktionsjacke – auch bekannte Modedesignerinnen wie Stella McCartney und Vivienne Westwood haben den Trend entdeckt. In New York hat sich der Blaumann oder Boiler Suit, wie er auf Englisch und im Fachjargon heißt, zur hippen Uniform der Werber, Filmer und Designer entwickelt.

Das Neue: Berufsbekleidungsfirmen wie Engelbert Strauss, Baumaschinenhersteller wie Caterpillar, das Elektrowerkzeugunternehmen Stihl oder der Montage- und Befestigungsspezialist Würth springen auf den Zug auf. So hat sich beispielsweise das hessische Unternehmen Engelbert Strauss in den vergangenen Jahren vom klassischen Hersteller von Arbeitsschutz- und Berufsbekleidung zu einem Lifestyle-Ausrüster gewandelt. Der Hochglanzkatalog ist ein dickes Buch mit mehreren hundert Seiten. Das, was einmal schlichte Funktionskleidung war, wird möglichst modisch präsentiert.

Band-Shirts mit Kult-Faktor

Es gibt auch eine Kinderkollektion, die den Nachwuchs auf den Geschmack des (Hobby-)Handwerks bringen soll oder einfach nur auf den Geschmack von Engelbert Strauss. Strapazierfähige Klamotten wie an den Knien verstärkte Jeanshosen werden unter manchen Kindergartenmüttern als It-Pieces gehandelt. Das Familienunternehmen denkt sich ungewöhnliche Marketingstrategien aus. So gab es zum Beispiel vergangenen Sommer eine Kooperation mit der Metal-Band Metallica. Band-Shirts mit dem Firmen-Logo haben Engelbert Strauss endgültig den Anstrich des Cool-Kids-Ausstatters gegeben. Handwerker werden äußerlich zu Szeneleuten und anders herum.

Auch der Waiblinger Motorsägenhersteller Stihl hat sein Sortiment an Bekleidung und Accessoires in den vergangenen Jahren erweitert. Kapuzenpullover oder Baseballkappen mit dem Stihl-Logo sieht man immer öfter auf der Straße, in Kneipen oder auf Konzerten. Der Schlagzeuger der deutschen Band Tokio Hotel, Gustav Schäfer (31), posiert auf Instagram in einem solchen Pullover und schreibt dazu: „Verliebt in meinen neuen Stihl-Hoodie“.

Der Markenshop des Unternehmens bietet Freunden des zünftigen Looks alles, was über die normale Arbeitsbekleidung hinaus geht und trotzdem irgendwie schaffig aussieht – vom tailliert geschnittenen Damen-Shirt mit dem Firmenlogo auf der Brust bis zum Jackenreißverschluss in Form einer Motorsäge. Unterteilt sind die Kollektionen in verschiedene Themenwelten, wie es im Marketing-Deutsch heißt. So richtet sich beispielsweise die Linie „Urban“, eine Streetwear-Kollektion mit besagten Hoodies, Baseballkappen oder Shirts, an eine junge Zielgruppe.

Außerdem gibt es „Heritage“ (deutsch: „Erbe“), eine eher gediegene Kollektion mit hochwertigen Materialien und „Nature“ für den Holzhackerbuam-Look. „Wir haben ein Team an Designern und Stylisten, die in Großstädten wie Kapstadt oder München Trends aufspüren und Input für unsere Kollektionen liefern“, sagt Paul Sumalowitsch, Marketingchef bei Stihl. Er glaubt, dass einige der Stihl-Artikel, die nicht originär zum Maschinensortiment zählen, Kult werden könnten. „Unser Unternehmen ist sehr bekannt und hat ein positives Image. Das übertragen wir auch auf unsere Textilien.“

Der Nützlichkeitsgedanke steht im Vordergrund

„Utility-Wear“ oder „Worker’s Couture“ will vor allem eines sein: praktisch. Zwar sind die Designerstücke wie zum Beispiel die aktuellen Tarnhosen mit großen Seitentaschen der Schweizer Luxusmarke Vetements alles andere als günstig.

Trotzdem steht bei dem Trend der Nützlichkeitsgedanke im Vordergrund, zu dem man in wirtschaftlich schlechten Zeiten gezwungen war. Mehr Einfachheit, Abkehr von der Überfrachtung, zurück zu den Wurzeln – in politisch aufgeheizten Zeiten tarnen sich die Hipster mit Arbeitskleidung, um sich gegen „die da oben“ zu positionieren und sich mit „denen da unten“ zu solidarisieren.