In der Mode wiederholt sich die Erfolgsgeschichte der Jeans. Diesmal ist es eine Abstimmung mit den Füßen. Dass sich die Sneaker auf ganzer Breite durchsetzen, hat viele Gründe.

Stuttgart - Sneaker müssen her: zum Plisseerock genauso wie zum Anzug, beim Stadtbummel, auf einer Party, in der Oper. Immer und überall. Spätestens seit man für angesagte Exemplare dieser sportiven Freizeitschuhe tief in den Geldbeutel greifen muss, lassen sich die Leisetreter nicht mehr als minderwertiges Schuhwerk abtun.

 

Das sieht man auch bei der größten Schuhmesse in Deutschland so. Im Saisonbericht der Gallery Shoes heißt es: „Der Sommer 2018 beschert bequeme Momente mit nicht mehr wegzudenkenden und allgegenwärtigen Sneakerformen jeder Art und jeder Couleur.“ Claudia Schulz, Trendexpertin beim Bundesverband der Schuh- und Lederwaren-Industrie, geht davon aus, dass dieser Boom anhält. „Sneaker sind an den Füßen, was Jeans in der Alltagsbekleidung sind, und haben sich als akzeptiertes Schuhwerk etabliert“, sagt sie.

Ein besonderer Kult wird um die hässlichste aller Varianten gemacht – Ugly Sneaker. So werden Modelle mit dicken Sohlen genannt, die überdies durch futuristische Elemente, schrille Farbakzente und Schnellverschlüsse auffallen. Dass die Marke Buffalo sogar die prägnanten Wolkensohlen aus den 1990ern zurückbringt, hält Claudia Schulz für konsequent. „Mein Eindruck ist, dass dicke Sohlen bis hin zu Plateaus immer dann angesagt sind, wenn die Welt aus den Fugen zu geraten droht“, erklärt die Schuhexpertin. „Sie suggerieren festen Boden unter den Füßen und Sicherheit.“

Der Rekordpreis für ein Paar Sneaker liegt bei 11,49 Millionen Euro

Anders als ihre Vorläufer aus vergangenen Jahrzehnte sind diese Treter leicht. Aber sie sind teuer. Modelle aus dem Haus Balenciaga um die 650 Euro. Auch andere Nobelmarken wie Alexander McQueen, Tod’s oder Gucci mischen im Luxussegment mit. Die höchsten Preise erzielen bei E-Bay seltene Sneaker-Paare klassischer Sporthersteller, das sind Sammlerstücke und Spekulationsobjekte.

Der Rekordpreis für ein Paar Sneaker liegt bei 11,49 Millionen Euro für das knöchelhohe Model Nike Air Yeezy 2 Red October. Die Farbgebung, hier ein warmes Rot, kann entscheidend sein, ob ein Modell als hipp gilt oder zur ordinären Massenware zählt.

Aktuell sind Grün-, Rot- und Pastelltöne angesagt, aber auch rein weiße und schwarze Modelle. Insider und Blogger kennen die entscheidenden Details. Ob Mesh-Gewebe, Neopren oder Wildlederbesatz, metallische Beschichtungen, Nieten, Blumenstickereien, Klettverschlüsse oder Zugbänder – Sneaker bestechen mit zahllosen Designelementen. Dazu kommt die Material- und Formenvielfalt der Sohlen.

Mit Stars entwickelte Modelle kommen in begrenzter Stückzahl auf den Markt

Für die Vermarktung spielen die sogenannten Collabos – Kooperationen mit Prominenten – eine entscheidende Rolle. Zu den Aushängeschildern gehören die Sängerin Rihanna, der Designer Raf Simons, der Tennisprofi Stan Smith und die Basketballlegende Michael Jordan, dessen Silhouette zum Markenzeichen wurde. Mit Stars entwickelte Modelle kommen in begrenzter Stückzahl auf den Markt. „Die Leute schlafen vor den Geschäften, um ein solches Modell zu ergattern“, bestätigt Claudia Schulz. „Dieser kalkulierte Run ist von den Herstellern sehr geschickt eingefädelt.“

Dass diese Strategie bei der Jugend verfängt, wundert nicht. Warum aber sind Sneaker auch bei Älteren dermaßen beliebt? Claudia Schulz nennt die Vorteile: „Sneaker sind bequem, passen in unsere mobile, dynamische Zeit, verjüngen ihre Träger und eignen sich, um ein eher klassisches Outfit aufzupeppen.“ Dabei denkt sie etwa an die vielen Hybrid-Modelle für Herren: oben Leder und Budapester-Stil, unten farbig betonte Sneaker-Sohle.

„Zudem sind Sneaker dabei, die früher beigen Gesundheitsschuhe für ältere Kunden überflüssig zu machen“, sagt die Schuhexpertin. Hersteller von Komfortschuhen hätten entdeckt, dass Sneaker viel Platz für Einlagen bei Problemfüße lassen. Und natürlich wollen die neuen Alten möglichst jung auftreten.

Die Entsorgung der mit Plastik vollgestopften Schuhe ist ein Problem

Ohne Nachteile sind die Sneaker aber nicht. Mehr noch als die nicht gerade umweltfreundliche Produktion ist die Entsorgung dieser mit Plastik vollgestopften Schuhe ein Problem. „Während sich Leder gut abbaut, bleiben diese Materialien über lange, lange Zeit erhalten“, bestätigt Claudia Schulz. Sie sieht aber noch eine weitere Gefahr: „Mittlerweile haben wir die Situation, dass eine Frau, die mal wieder Pumps tragen möchte, die Enge eines klassischen Schuhs nicht mehr gewohnt ist.“

Bei den Männern ist das analog zum Lederschuh mit klassischer Sohle kaum anders. Für die Schuhindustrie besteht das Risiko, dass die weichen Leisetreter die Füße so sehr verweichlichen, dass immer weniger festes Schuhwerk gekauft wird. Claudia Schulz sieht’s optimistisch: „Es wird nun darum gehen, den Komfort und die Dynamik der Turnschuhe auf andere Schuhtypen zu übertragen.“

Sneaker-Wissen für Angeber

Aglet:
Bezeichnet das Endstück eines Schnürsenkels aus Plastik oder Metall. Man kann Aglets als Extras kaufen, um Sneaker aufzuwerten.

BNIB:
Abkürzung für „brand new in box“, Schuhe nagelneu und originalverpackt

Camp out
: Campieren vor Läden, um am ersten Verkaufstag eines limitierten Modells unter den Ersten zu sein.

GR
: Die Kurzform von englisch „general release“ bezeichnet Schuhe, die nicht limitiert sind, also Massenware.

High Top:
In Abgrenzung zum Low Top, ein Sneaker mit knöchelhohem Schaft, entwickelt aus dem Basketballschuh, Aktuell sehr angesagt

ID:
Viele Hersteller bieten ihren Kunden individualisierte Sneaker an. Übers Internet können sie die Farben und Materialien eines Modells zusammenstellen und mit Namen oder anderen Kennzeichen versehen.

Mesh:
Atmungsaktives, netzartiges Textilgewebe, meist als Obermaterial verwendet

Outsole:
Der Teil der Sohle, der tatsächlich mit dem Boden in Berührung kommt.

Sizetag:
Im Innenschuh angebrachtes Etikett mit Angaben von Größe, Fertigungsland und Stylecode, gibt Klarheit über die Farbkombibation.