Thomas Bach kann heute der mächtigste Funktionär in der Welt des Sports werden: Der 59-Jährige möchte Nachfolger des Belgiers    Jacques Rogge als IOC-Präsident werden. Wer ist dieser Thomas Bach? Und was treibt den Mann eigentlich an?

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Buenos Aires - Als der Tag gekommen war, mit dem alle seit Jahren gerechnet hatten, klang Thomas Bach merkwürdig distanziert. Im Mai saß er in Frankfurt und erklärte, dass er IOC-Präsidenten werden wolle. Er sagte an dem Tag oft „man“.

 

Man will? Nein. Er will! Thomas Bach, 59, will Macht. Aber wofür eigentlich? Macht, um der Macht willen? Als Bestätigung für seine Karriere, für die Fähigkeit, Mehrheiten für sich organisieren zu können? Seit der Mann aus Tauberbischofsheim seine Kandidatur für das Präsidentenamt des Internationalen Olympischen Komitees bekanntgegeben hat, wird er gesucht. Journalisten und die Sportwelt fahnden nach der Agenda des Multifunktionärs, und nach dem Menschen. Wer also ist dieser Mann, der heute zum mächtigsten Weltsport-Funktionär aufsteigen kann?

Er spielt gerne Skat. Er mag Burgunderrotwein. Und liebt Claudia. Seine Frau.

„Mann ohne Eigenschaften“?

Bach hat in Würzburg Jura studiert und zum Thema „Der Einfluss von Prognosen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ promoviert. Er spricht Englisch, Französisch und Spanisch fließend, ist freundlich und charmant im Umgang, auch bei kritischen Fragen. Er ist ein begnadeter Netzwerker und bewegt sich auf dem Parket wie als Fechter auf der Planche. Sicher, zielorientiert, intelligent. Ob beim Essen mit Barack Obama kürzlich in Berlin oder beim Smalltalk mit Athleten. Er kann sich anpassen, und vielleicht ist das eine der wichtigsten Tugenden, um in diesem darwinistischen System nicht auf der Strecke zu bleiben. Es macht ihn als Funktionär erfolgreich, aber auch schwer greifbar.

Bach mit den scheidenden Präsidenten Rogge Foto: dpa
Thomas Bach ist im Wahlkampfmodus. Er agiert, wie Angela Merkel regiert. Nicht mit klarer Kante, sondern fintenreich, manchmal schwammig. „Mann ohne Eigenschaften“, schreibt die „Süddeutsche“.

Das hat auch mit dem Amt zu tun, um das es geht. Es wird nicht auf Marktplätzen oder in Festzelten vergeben, sondern in Hinterzimmern, auf Gartenpartys und in VIP-Logen. Es ist keine Publikumswahl, sondern es gilt allein, einen kleinen Kreis von IOC-Mitgliedern zu überzeugen. Und der muss in bilateralen Gesprächen erobert werden. Gesucht wird kein Volkstribun, sondern ein kluger Stratege, der das IOC zusammenhalten kann. Einer, der die Interessengruppen berücksichtigt und nicht zu viel verändert. Einer, der nicht wehtut.

Ein Systemadministrator.

Einer wie Thomas Bach. Er sagt: „Der IOC-Präsident dient diesem Orchester als Dirigent.“

Er kann IOC-Präsident, ohne Zweifel

Der Sport ist in dieser komplexen Welt nicht einfach zu führen. Thomas Bach kann IOC-Präsident. Daran gibt es keinen Zweifel. Nicht mal bei jenen, die ihm nicht sonderlich wohlgesinnt sind. Er vereint alles, was man in diesem schwierigen Umfeld benötigt, er wird nicht geliebt, aber genießt zumeist Respekt im IOC. Bach ist kein Visionär, sondern ein Pragmatiker. Bach ist ein Kind des Systems, er ist überzeugt davon und will es nicht revolutionieren. Trotz aller auch ihm natürlich bekannten Probleme wie Doping und Korruption hält er es für gut, wie es ist. Bach ist der Anwalt dieses Konstrukts.

Matthias Behr ist ein Freund von Bach. Die beiden kennen sich seit Kindertagen aus dem Fechtclub Tauberbischofsheim. Sie sind 1976 in Montreal Olympiasieger mit der Florett-Mannschaft geworden, im folgenden Jahr Weltmeister – in Buenos Aires. Dort, wo heute Bach den Olymp des Sports erklimmen will. Matthias Behr: „Ich sage immer: Zeige mir, wie du fechtest, und ich sage dir, wie du bist.“ Bach war körperlich im Nachteil. Zu klein, zu wenig Reichweite. Er musste mit Fleiß seinen eigenen Stil entwickeln, den Nachteil zum Vorteil machen. Bach hatte immer einen Plan auf der Planche. Er war präzise, er war schnell, er machte keine Fehler. „Thomas hat immer das Ziel getroffen“, sagt Behr.

Nun steht er kurz vor dem größten Ziel.

Thomas Bach sagt, dass er dies alles nie so geplant hat. Er wehrt sich gegen das Image des karrieregeilen Postenstrebers.

Und doch scheint es im Rückblick so, als wäre sein Leben nie auf etwas anderes ausgerichtet gewesen als dieses Amt.

Ein Leben für dieses Amt

Es begann 1981, als Bach vom damaligen IOC-Präsidenten Juan-Antonio Samaranch in die IOC-Athletenkommission berufen wurde. Der Spanier erkannte die Talente des jungen Mannes. Er sah in ihm einen künftigen Präsidenten. Bach wurde der Zögling des umstrittenen Patrons, manche sagen sogar, Samaranch sei so etwas wie ein väterlicher Freund gewesen. Seinen Vater hat Thomas Bach verloren, als er erst 14 war. Das sportpolitische Geschäft mit all seinen Verstrickungen lernte der Jurist in der Firma des Übervaters dieser Disziplin, Horst Dassler. Der Adidas-Chef hatte den Weltsport mit einem System aus Geben und Nehmen überzogen, das bis heute nachwirkt. Bach leitete im Hauptquartier in Herzogenaurach von 1985 bis 1987 die sportpolitische Abteilung für internationale Beziehungen. Seit 1991 hat Bach einen festen Sitz im IOC. Er war von 2000 bis 2004 Vizepräsident, ist seit 2006 wieder einer der vier Stellvertreter des scheidenden Jacques Rogge.

Anfang Oktober 2012 ist Thomas Bach in   Stuttgart. Die Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) findet in der Liederhalle statt. Am Vorabend trifft sich die nationale Funktionärsgilde im Weißen Saal des Neuen Schlosses. Ein Raum aus Marmor, wuchtig, spektakulär, beeindruckend. Thomas Bach, dieser gedrungene Mann, wirkt klein, wie er da vorne steht. Wie erdrückt von der Repräsentanz dieses Saales. Gleich wird er eine Rede halten. Es ist nicht immer ein Genuss, Bach zuzuhören. Ziemlich viele „ähs“ zerschneiden ziemlich oft seine Sätze. Heute nicht. Er trifft jeden Ton. Er spricht über Charlotte Knobloch, die wegen ihres Einsatzes für den Sport und ihrer Verdienste um die Versöhnung zwischen Juden und Deutschen geehrt wird. Es wird eine große Rede werden. Ergreifend, voller Leidenschaft und Gefühl. Charlotte Knobloch kämpft mit den Tränen. Bach zeigte damals eine andere Seite.

Natürlich hat er die, sagt Matthias Behr. Den Kumpel stört das negative Gerede in Deutschland von den Miesmachern in den Medien. „In Frankreich wäre man stolz auf einen wie Bach“, sagt er. Ja, es sei sogar eine Unverschämtheit, was aktuell passiere. Eine typisch deutsche Debatte voller Missgunst statt Respekt für dessen Lebenswerk? Behr zeichnet ein anderes Bild von Bach, nicht das eines gerissenen Technokraten der Macht, sondern eines Mannes, der unterhaltsam sein kann und nicht entrückt sei. „Thomas ist ein Mensch, der sich Menschlichkeit bewahrt hat.“ Behr erzählt, wie Bach weiter die Jugend des Fechtclubs Tauberbischofsheim unterstützt. Kürzlich hat er einem Burschen aus bescheidenen Verhältnissen ein teures Florett finanziert. Bis heute lädt Bach zu Feierlichkeiten seine ehemaligen Teamkollegen ein. „Er hat für jeden ein offenes Ohr“, sagt Behr. Bodenständig sei er. In der Welt zu Gast. In Tauberbischofsheim zu Hause.

Bach und die Doping-Frage

Es waren unruhige Tage für den Globetrotter. In der Frage eines Antidopinggesetzes verkämpft sich Bach mit seinem DOSB für die Autonomie des Sports, wobei er mehr und mehr Verbündete verliert. Von den Parteien im Bundestag wehrt sich einzig die FDP mit Bach gegen ein entsprechendes Gesetz. Er ist FDP-Mitglied. Mehrere Anfragen von Journalisten zur westdeutschen Dopingvergangenheit und was er damals als Athlet mitbekommen habe, ließ er von dem Medienanwalt Christian Schertz beantworten. Der teilte mit, dass man nichts beantworten werde. Man wehre sich gegen tendenziöse Fragestellungen und eine Verdachtsberichterstattung.

2008 machte Bachs Tätigkeit bei Siemens Wirbel. Für 400 000 Euro war er für den Konzern beratend tätig, was anrüchig wirkte, da Siemens bei Großprojekten im Rahmen von Olympischen Spielen oft zum Zuge kommt, etwa beim Bau des Flughafens in Peking 2008. Der Vertrag wurde aufgelöst, es sei aber nie zur Verquickung von Ehrenamt und Beruf gekommen, so Bach, der den Ausdruck der „vielfältigen Lebenssachverhalte“ für seine Ämter prägte.

Wirtschaftsanwalt Bach mit Kanzlei in Tauberbischofsheim ist heute noch Aufsichtsratsvorsitzender der Weinig AG aus seiner Heimatstadt. Es ist der weltweit größte Hersteller von Maschinen zur Holzverarbeitung und ist in kuwaitischer Hand. Bach verfügt nicht nur dank dieser Position über wichtige Kontakte in die auch sportpolitisch einflussreichen arabischen Kreise. Er ist seit 2006 auch Präsident der arabisch-deutschen Handelsorganisation Ghorfa, deren Tätigkeit von israelischen Vertretern zuletzt scharf kritisiert wurde. „Der Strohmann“, schrieb der „Spiegel“ vergangene Woche in Anspielung auf Bachs Unterstützer aus dem arabischen Raum.

Sport und Politik

Wie eng Sport und Politik verzahnt sind, weiß kaum einer besser als Bach. Er war Athletensprecher, als der Kalte Krieg die Olympischen Spiele oktroyierte. Olympia drohte zwischen den Blöcken zerrieben zu werden. 1980 boykottierten große Teile der westlichen Welt die Spiele in Moskau. Es kostete Karrieren. Athleten, die sich jahrelang darauf vorbereitet hatten, waren nur Figuren im Spiel der Supermächte. Bach intervenierte bei Bundeskanzler Helmut Schmidt. Er wollte nach Moskau, viele wollten nach Moskau. Er sprach im Kanzleramt vor. Schmidt hatte eine Landkarte aufgespannt, auf der russische Panzer und Raketen zu sehen waren. Und blieb hart.

Schmidt habe die Argumente der Athleten „abgebügelt in einer Art und Weise, die hart an der Grenze des Erträglichen war“, hat Bach mal erzählt. Er empfand es als Demütigung. Mit einem zweiwöchigen Urlaub in Alexandria sollten die Fechter später entschädigt werden. Seit 33 Jahren sprechen Thomas Bach und Helmut Schmidt nicht miteinander. Dieser Konflikt hat ihn geprägt. Er wollte, so sagen Freunde, als Funktionär dafür sorgen, dass Sportler nie wieder so etwas erleben müssen.

Kurz vor den Spielen 2008 in Peking hat Thomas Bach im StZ-Interview gesagt: „Olympische Spiele können nicht apolitisch sein, aber sie müssen politisch neutral sein, um überleben zu können. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass Entscheidungen in der Dimension der Vergabe Olympischer Spiele mit Politik oder Wirtschaft nichts zu tun haben. Aber wenn die olympische Bewegung die politische Neutralität nicht wahrt, wird sie von politischen Krisen zerrissen – so wie es im Kalten Krieg fast der Fall war.“ Es ist sein Manifest.