Das Mörike-Gymnasium Ludwigsburg gehört zu einer von 15 Schulen, die an einem Projekt teilnehmen, das den kulturellen Austausch fördern soll. Beim Besuch auf dem Freudentaler Friedhof widmen sie sich ihrer gemeinsamen Vergangenheit.

Ludwigsburg : Anna-Sophie Kächele (ask)

Es ist windig und kalt an dem Montagmorgen. Durch die hohen Baumkronen fällt die Sonne auf den moosbewachsenen Waldboden, im Hintergrund liegt die Gemeinde Freudental. Zwischen den Gräbern auf dem jüdischen Friedhof stehen Jugendliche in einem Halbkreis um eine Freiwillige des Pädagogisch-Kulturellen Centrums (PKC). Die junge Frau liest das Gedicht „Mein kleines Dorf“ von Julius Marx vor – eine Hommage an seine Heimat Freudental. Der jüdische Schriftsteller wurde 1970 auf dem Friedhof beigesetzt. „Wo fühlt ihr euch zuhause? Verbindet ihr damit ein Land, eine Stadt, eure Familie oder Freunde?“, fragt der Leiter des PKC Michael Volz auf Englisch.

 

Kultureller Austausch gegen Rassismus und Antisemitismus

22 deutsche und 22 israelische Schülerinnen und Schüler im Alter von 16 Jahren werden die Frage auf dem Rückweg zur ehemaligen Synagoge beantworten. Die Jugendlichen des Mörike-Gymnasiums Ludwigsburg und der Hartuv High School aus dem Kibbutz Tsora sind Teil des Scora twin Projekts – Schools Opposing Racism and Antisemitism, übersetzt in Schule gegen Rassismus und Antisemitismus. Das Mörike-Gymnasium ist eine der 15 Schulen aus dem Regierungsbezirk Stuttgart, die an dem Projekt des Landes Baden-Württemberg teilnehmen. Das Ziel: dem zunehmendem Rassismus und Antisemitismus in der Gesellschaft begegnen, Brücken bauen, Vorurteile abbauen.

Rassismus in den sozialen Medien

Schaut man sich die Schüler an, ist nicht auszumachen, wer von welcher Schule kommt. „Trotz der kulturellen Unterschiede und ihrer Geschichte sind sie irgendwie gleich, teilen Interessen und werden vielleicht Freunde“, sagt Alexander Schikowski, Kunstlehrer und Teil des Projekt-Teams. Insgesamt zehn Tage sind die israelischen Jugendlichen bei ihren deutschen Austauschschülern, im April folgt der Gegenbesuch. „Es ist toll. Das ist eine Erfahrung, die hat man nicht jeden Tag. Man lernt so viel über die andere Kultur“, sagt die israelische Schülerin Tomer. Rassismus und Antisemitismus habe sie bisher nur in den Sozialen Medien erlebt. Es sei wichtig, dass man sich mit anderen Kulturen befasse. „Es ist unfair, sich für die Vergangenheit der eigenen Länder zu verurteilen“, sagt ihre Freundin Leshem. Manche Schüler würden bei dem Austausch, mitmachen, weil ihre Familien Verbindungen zu Deutschland haben, andere würden gerade deshalb nicht teilnehmen. Die beiden Schülerinnen teilen das Interesse für die Geschichte ihres Landes und die Neugier auf das Leben in Deutschland.

Israel neu kennenlernen

Ihre Lehrerin Dina Ben-Tora ist überrascht, wie schnell sich die Gruppen in kürzester Zeit durchmischt haben. „Am Flughafen waren die Schüler kurz nervös, aber wir wurden ganz herzlich begrüßt.“ Nach einer halben Stunde seien die Aufregung und die Schüchternheit verflogen gewesen.

Eva Compan-Mimran hat schon mehrere Schulaustausche begleitet. „Für mich war es wichtig, dass meine Schüler ein anderes Bild von Israel bekommen“, sagt die Englisch- und Französisch-Lehrerin des Mörike-Gymnasiums. Durch die Medien bekomme man teilweise ein negatives Bild von Israel vermittelt. Nach dem Austausch, werden die Schüler die Nachrichten mit anderen Augen sehen, so hofft sie.

Vorfreude auf den Besuch in Israel

Auch ihr Kollege Alexander Schikowski sieht in dem Austausch eine große Chance. „Solche Austausche sind die Zukunft der Völkerverständigung.“ Kinder und Jugendliche seien nicht rassistisch, erst durch das eigene Umfeld entwickle man Vorurteile. Es sei deshalb wichtig, so früh wie möglich zu zeigen, dass alle Menschen gleich seien.

Auf dem Weg in die ehemalige Synagoge sind einige der Jugendliche in einen Baum geklettert und unterhalten sich von den niedrigen Zweigen aus mit den Mitschülern am Boden. Durch die kalte Luft wehen englische, israelische, deutsche Wortfetzen, Gelächter. Es scheint, als würde sich die Gruppe schon länger kennen als sieben Tage. „Ich war schon sehr nervös vor dem ersten Kennenlernen, aber ich und meine Austauschschülerin haben uns direkt gut verstanden“, erzählt die deutsche Schülerin Marilena. Sie und ihre Mitschülerin Paula blicken voller Vorfreude auf ihren Gegenbesuch. „Wir freuen uns auf die touristischen Sehenswürdigkeiten, von denen uns schon viel erzählt wurde, aber auch darauf, die andere Kultur kennenzulernen“, erzählt Paula.

Schüleraustausch für mehr Toleranz im eigenen Land

Offen sein für andere Kulturen, die Unterschiede wertschätzen, anstatt sie zu verurteilen. Dina Ben-Tora hofft darauf, dass ihre Schüler diese Toleranz mit nach Hause nehmen. „Wenn die Schüler merken, dass die Menschen von so weit weg freundlich und menschlich sind, dann können es auch die Leute im eigenen Land sein“, sagt sie.

Die Demonstrationen in Israel, der eigene Musikgeschmack, Computerspiele – die Gesprächsthemen sind breit gefächert. Aber eines stellen die Schüler fest: „Unsere Leben sind eigentlich gar nicht so unterschiedlich“, sagt die Israelin Leshem. Nur die kühlen Temperaturen an diesem Montagmorgen, die seien im Vergleich zu den 25 Grad Zuhause gewöhnungsbedürftig.

Deutsch-israelische Partnerschaft

Partner und Förderer
Unterstützt wird das Projekt „Scora twin“ von der Landtagspräsidentin und Schirmherrin Muhterem Aras, dem Beauftragten gegen Antisemitismus Michael Blume, sowie von der israelischen Generalkonsulin Carmela Shamir mit ihrer Repräsentantin in Baden-Württemberg Maren Steege.

Leitkonzept
 Seit 40 Jahren besteht die Partnerschaft zwischen dem Landkreis Ludwigsburg und der Region Oberes Galiläa in Israel. 2019 kam die Idee auf, neue Schulpartnerschaften mit einem gemeinsamen pädagogischen Konzept, das die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Menschen begrüßt, ins Leben zu rufen. Mit der Unterzeichnung der Memorandums of Understanding am 3. November 2022 haben sich die neuen Scora twin-Schulen unter anderem dazu verpflichtet, nach Israel zu reisen, Gäste zu empfangen, aktiv an einer diversitätsfreundlichen Schulkultur zu arbeiten und sich mit dem jüdischen Leben zu beschäftigen.