2000 Trauernde ehren die Opfer des tragischen Unfalls mit einem Müllwagen. Sie waren Zirkusleute.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Mötzingen - Am Ende steht Stille. 2000 Menschen schweigen auf einem Platz, in dessen Zentrum fünf Kerzen brennen. „Geht mit Gott“, sagt der Pfarrer Johannes Bräuchle. Die Gemeinde nimmt Abschied von fünf Menschen.

 

Aber es ist nicht die Gemeinde Mötzingen, in der vier von ihnen lebten. Es ist die Gemeinde der Schausteller und Zirkusleute, die, in der sie arbeiteten. Dies ist die Trauerfeier für jene fünf Menschen, zwei Kinder, zwei Frauen, ein Mann, die ums Leben kamen, weil in der vergangenen Woche in Nagold ein Müllwagen umkippte und ihren grünen VW Golf zerquetschte.

3700 Einwohner hat Mötzingen, ein Ort am Rand des Landkreises Böblingen. Einen Andrang wie an diesem Tag wird er schwerlich nochmals erleben. Vor dem Friedhof stehen Autos mit Kennzeichen aus ganz Deutschland. Die meisten parken nicht hier, sondern auf dem Parkplatz eines Möbelhauses. Ein Shuttle-Bus bringt die Gäste zum Friedhof am Waldrand. 2000 Besucher waren angekündigt. Die tatsächliche Zahl wird niemand erfassen.

Die Polizei hat das Filmen und Fotografieren verboten

„Zirkusfamilien sind international engstens vernetzt“, hatte Bräuchle vorab gesagt, der als Zirkusseelsorger arbeitet. Vorhin hat er vor der Fernsehkamera ein Interview gegeben, draußen, am Straßenrand. Auf dem Friedhof ist das Filmen und Fotografieren verboten. Aber mutmaßlich würden in dieser Menschenmenge nicht einmal die Paparazzi der Regenbogenpresse dem Gedanken verfallen, mit dem Klicken von Kameras die Trauer zu stören.

Die Gemeinde Mötzingen wollte die Namen der betroffenen Familien geheim halten. Bräuchle ist von ihnen gebeten worden, den Abschieds-Gottesdienst zu halten und hatte zumindest einen bekannt gegeben. Die beiden getöteten Schwestern stammen aus der zweitgrößten deutschen Zirkusfamilie Frank. Sie betrieb einst den Zirkus Charles Monti.

Hunderte von Blumengestecken säumen die Wege und Wiesen

In jedem Fall sind Zirkusfamilien einander eng verbunden. „Es gehört zu unserem Wesen, dass wir in der Not zusammenstehen“, sagt der Pfarrer, unübersehbar: Hunderte von Blumengestecken säumen die Wege des Friedhofs, eines in Form einer Marlboro-Schachtel, ein anderes in Form einer Rolex-Uhr. Auf dem Platz der Zeremonie parken ein Motorrad und ein Quad.

Der im Alter von 22 Jahren getötete Mann und Vater der beiden Kinder betrieb eine Monstertruck-Show. Seine 25-jährige Lebensgefährtin und ihre 17-jährige Schwester arbeiteten in ihr als Stuntgirls. Ausgebildet war die eine als Luftakrobatin, die andere als Fakirfrau und Messerwerferin. Die getötete Tochter war zwei Jahre alt, der Sohn erst wenige Wochen. Der Unfall geschah auf einem Weg für die Vorbereitungen zu seiner Taufe. „Ohne Worte“, steht auf einem der Blumengestecke.

„Ihre Show ist vorbei“, sagt Bräuchle. „Der letzte Vorhang ist gefallen.“ Er fordert einen letzten Applaus. Die Trauernden klatschen, einen Applaus für jeden Toten.

Der Pfarrer predigt, dass Gott die Artisten zu sich geholt habe, zu einer ewigen Show, der himmlischen. „Ihr dürft dem Tod nicht das letzte Wort überlassen.“ Das ist Bräuchles Schlusswort. Danach folgt die Stille. Dann ein letztes Amen.