Wer von der „Parsifal“-Oper des Berliner Provokateurs Jonathan Meese eine Abrechnung mit den Bayreuther Festspielen erwartet hat, wird in Wien angenehm enttäuscht: Die Musik verarbeitet intelligent Wagners Leitmotive – und bei Meese spürt man unter bunten Bildern ein Anliegen.

Stuttgart - Ist das nun die Rache? „Los, entgralt alles!“ fordert Jonathan Meese im Programmheft zu der einzigen Musiktheaterproduktion, die Thomas Zierhofer-Kin als neuer Intendant der Wiener Festwochen in sein Programm genommen hat – und überhaupt besteht dieses Programmheft fast ausschließlich aus Zeichnungen, Skizzen und gekritzelten Parolen des Berliner Künstlers. 2016 sollte Meese Wagners „Parsifal“ in Bayreuth inszenieren, aber dann kündigte die Festspielleitung die geplante Zusammenarbeit (offiziell aus finanziellen Gründen) auf. Nun hat der Mann, der malt, zeichnet, Skulpturen und Installationen schafft und in eigenen Performances auftritt, im Theater an der Wien seine eigene Version jenes „Bühnenweihfestspiels“ erarbeitet, das Wagnerianern als das heiligste unter Wagners Werken gilt. „Mondparsifal Alpha 1-8 (Erzmutterz der Abwehrz)“ lautet der volle Titel des Stücks, dem bei den Berliner Festspielen im Oktober der zweite Teil folgen soll.

 

Ein Akt der Rache gegen die Bayreuther Abweisung ist der erste Teil des „ParZeFool“-Projekts aber mitnichten. Das liegt auch am Komponisten des Abends, Bernhard Lang, der Motive aus „Parsifal“, aber auch aus „Lohengrin“ und dem „Ring“ mit Eigenem mixt, in Loops verarbeitet, mit Schlagzeugbeats in Richtung Rock treibt oder auch mal mithilfe des virtuosen Saxofonisten Gerald Preinfalk jazzig-groovig wirken lässt. Im deutschen Südwesten ist der sechzigjährige Österreicher bei Opern in Schwetzingen („Reigen“) und Mannheim („Montezuma“, „Der Golem“) mit einer sehr eigenen Musik der Wiederholungen aufgefallen – und diese Musik, die in ihrer tonalen Grundierung etwas Bewahrenwollendes hat, wirkt hier als plausible Übersetzung von Wagners Leitmotivtechnik ins Heute.

„High Noon“ mit Parsifal und Kundry

Unter Simone Youngs Anleitung und mithilfe dreier Synthesizer montieren die Musiker des Klangforums Wien Langs musikalische Sequenzen mit Lust und Präzision aneinander. Den Charakter einer Collage hat auch das Libretto, das der Komponist selbst vornehmlich aus Textfetzen des „Parsifal“ zusammensetzte. Als „Überschreibung“ bezeichnet Lang das Stück, und diese Bezeichnung trifft grundsätzlich für den ganzen Abend zu. Wagners „Parsifal“ scheint hinter fast jedem Bühnenmoment von „Mondparsifal“ hindurch. Die Handlung des Originals bleibt als Folie erhalten, wir sehen alle wichtigen Personen. Allerdings hat Jonathan Meese, der als Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner fungiert, sie ebenfalls „überschrieben“. So wandeln sich Amfortas (mit rotierender Pappscheibe auf dem Herzen), Gurnemanz (der in der Mondlandschaft des ersten Akts einen überdimensionalen Kühlschrank bewohnt), Parsifal (erst mit rotem Lederhöschen, dann in goldglänzender Ritterrüstung mit Wagner-Konterfei), Kundry (anfangs verkleidet als Richard Wagner), Klingsor (der sich als Elvis vorstellt) und vier mangamäßig gestylte Blumenmädchen zu allerlei Figuren der Filmgeschichte und der Popkultur. Die Sängerdarsteller sind allesamt exzellent, und der Stuttgarter Countertenor Daniel Gloger gibt sich in der Titelpartie als Sänger sowie als sehr körperlicher Darsteller auf hinreißende Weise hin. Der Arnold-Schönberg-Chor formiert sich zu einer Schar der („Star Trek“-)Vulkanier, und die Begegnung von Parsifal und Kundry findet in der Art des legendären Duells von „High Noon“ statt: Rücken an Rücken, Schritte auseinander, umdrehen, dann wird geschossen.

Es ist ein Füllhorn der Assoziationen, mit denen Meese die Zuschauer auf der Bühne überschüttet. Dazu zeigen Schrifttafeln links und rechts nicht den Text, sondern zusätzlich noch Kommentare des Künstlers. Nicht alle muss und kann man verstehen. Klartext reden vor allem Definitionen von Kunst („Kunst ist der ideologieloseste Raum“, „Kunst ist angstfreier Raum“ oder, schick und eigen: „Nur Kunst zukunftet Freiheit“). Andere Parolen sind lustig, manche sogar ironisch. Wobei die Forderung „Demut“, die im ersten Akt auf einer Säule zu lesen ist, wohl ausschließlich an Wagner gerichtet ist. Dabei teilt Meese mit diesem nicht nur den Hang zu Gesamtkunstwerken, sondern auch die Neigung zu Egozentrik und Hybris.

Reise im „Raumsiff“

Der gut vierstündige Abend bietet vom „Raumsiff“, in dem Parsifal auf dem Mond landet, über einen Zaubergarten im zweiten Akt, in dem es Klingsor als „Dr. No“ mit einem Teddybären treibt, während Kundry als Squaw im Indianerfloß paddelt, bis zum finalen Triumphzug der Kunst, den die Blumenmädchen als „höchster Narrheit Wunder!“ besingen, einen Overkill an Bildern – einschließlich live übertragenem Action Painting von Meese aus einer Loge. „Mondparsifal“ ist eine große szenische Überforderung, ganz besonders im dritten Akt, wenn hinter der bunt bewegten Szene auch noch (obendrein in falscher Reihenfolge abgespielte) Bilder aus Fritz Langs „Nibelungen“-Stummfilm ablaufen, sodass Parsifal plötzlich Züge Siegfrieds annimmt.

Spätestens wenn das Orchester das große Wagner-Pandämonium, das bei dessen filmischem Tod zu sehen ist, durch einen verzerrten Walzer mit harmonischer „Tristan“-Anmutung ergänzt, spürt man, dass „Mondparsifal“ keineswegs nur eine Reihung zufälliger bildlicher und gedanklicher Assoziationen ist. Nein: Dieses Stück ist das Ergebnis harter Arbeit, und sein Ansinnen ist ehrlich. Es geht um die Kunst, und es geht mitten im medialen Zuviel um die Sehnsucht nach einer neuen Naivität, für die hier Parsifal steht, das zappelnde ewige Kind, der reine Tor.

„Erlösung von Erlösern!“: Diese Forderung steht am Ende im Raum. Logischerweise müsste sie Meese als den selbsternannten Erlöser von allen Erlösern mit einschließen, aber so eng darf man das wohl nicht sehen. Schließlich endet der Abend mit einem Witz: Zu einem gemeinsam von Parsifal und Kundry gesungenen „Du weißt, wo du mich finden kannst!“ senkt sich ein Vorhang mit den Worten „Ruf mich an!“ vom Schnürboden, und Titurel kippt das eiförmige Pappschild an der Rampe um, auf dem das Gesicht von Meeses Mama mit großem Ernst über den Abend gewacht hat.

Termin Eine weitere Aufführung im Theater an der Wien läuft am Freitag, 8. Juni.