Schallplatten sind die Gegenbewegung zum Streaming - und eine Spielwiese für Nerds. Michael Piltz und Andreas Vogel haben am Montagabend in Stuttgart kurioses Vinyl-Wissen geteilt – von Platten-Bügelmaschinen bis zur Frage, ob Musik auf Platte wirklich besser klingt.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Die Montage-Reihe versammelt seit Jahren jeden Montagabend ein treues Publikum, das sich mit popkulturellen Themen auseinandersetzt. Schwerpunktmäßig geht es um Musik. Weil die Organisatoren der Reihe, Michael Piltz und Andreas Vogel, ausgewiesene Schallplattenliebhaber und -verwender sind, war der Abend zum Vinyl-Einmaleins nur eine Frage der Zeit.

 

Gut dreißig Menschen haben die beiden Vortragenden am Montagabend im Theater Rampe mit Fragen gelöchert und Wissenswertes wie Kurioses erfahren. Weil es viel zu schade wäre, das alles im kleinen Kreis der Besucher vom Montagabend zu belassen, haben wir mitgeschrieben. Es ging ums Plattenwaschen, den richtigen Vorverstärker, die Gründe für den Vinylboom – und die Praxis, Platten „nass“ zu hören.

Klingt der erste Song der Platte besser oder der letzte?

Der erste, weil zur Innenseite die sogenannte Bahngeschwindigkeit abnimmt, mit der der Tonabnehmer die Rillen abtastet. Deshalb, so Andreas Vogel, finden sich am Ende einer Plattenseite oft klangtechnisch weniger anspruchsvolle Stücke. Und deshalb klingen Platten, die man mit 45 Umdrehungen pro Minute abspielt, auch besser – sie sind lauter und haben mehr Dynamik. Sogenannte Inside-Out-Platten, die von innen nach außen abzuspielen sind, wurden vor allem in der Klassik verwendet – weil diese Stücke meist leise anfangen und hintenraus laut werden.

Klingen Schallplatten generell besser?

Man müsste schon extrem gute Ohren haben, um überhaupt einen Unterschied zwischen CD und Schallplatte wahrzunehmen, sagen Michael Piltz und Andreas Vogel. Aber sie erzählen, dass Schallplatten einen eher mittenbetonten Klang haben, also weniger spitz klingen als CDs mit ihren brillianten Höhen; „das finden viele angenehm“, sagten die beiden. Interessant auch: wenn man vom selben Album die CD und die Platte hört, ist die Platte oft dynamischer. Zwar können CDs größere Lautstärkeunterschiede abbilden, doch der CD-Klang wird stärker komprimiert, also auf eine eher konstante (und tendenziell höhere) Lautstärke gebracht.

Das gilt übrigens noch stärker im Vergleich zu Songs im MP3-Format. Das Vinyl-Klangideal ist für Piltz und Vogel ein Gegenentwurf zum Musikhören mit Kopfhörern am Handy. Doch nicht zuletzt bei jungen Hörern verschiebt sich das Klangideal hin zu mp3 und Kopfhörer – auch wenn dieser Klang technikbedingt definitiv schlechter ist. Das zeigt: so etwas wie ein Klangideal ist extrem subjektiv.

Wer hört Platten „nass“?

Besonders Klassikfans haben Platten mit einer speziellen Flüssigkeit beträufelt, die das (wegen der starken Lautstärkeunterschiede bei klassischer Musik) störende, von Staub erzeugte Knacken unterdrückt. Allerdings gilt: einmal nass abspielen – immer nass abspielen. Und Michael Piltz warnte auch davor, dass der Plattenspieler auf lange Sicht beschädigt werden kann.

Muss man Schallplatten waschen?

Nein, aber bei Flohmarktware könnte man darüber nachdenken – Platten klingen sauber besser und der Tonabnehmer wird geschont. Maschinen gibt es ab 450 Euro, Michael Piltz hatte seine „Plattenwaschmaschine“ auch dabei (siehe Fotostrecke).

Was hat es mit der „180 Gramm“-Angabe auf sich?

Platten in 180-Gramm-Qualität gelten als besonders wohklingend. Allerdings geht es nicht nur darum, ob die Platte dick oder dünn ist, sondern auch um die Beschaffenheit des Materials. Im Zuge der Ölkrise wurde etwa der Ölanteil im Vinyl reduziert, und bereits 1969 hatte RCA mit Dynaflex eine biegbare Schallplatte vorgestellt (Video hier).

Warum haben Singles unterschiedlich große Löcher in der Mitte?

1949 stellte RCA einen Plattenwechsler mit großem Loch in der Mitte vor. Das war als als Gegenstück zur LP gedacht und dahinter steckte die Idee, dass „Album“ doch auch für eine Sammlung von Singles stehen könnte – die, wenn man sie quasi lückenlos hintereinander abspielt, insgesamt eine lange Spielzeit haben können. Die Idee setzte sich nicht durch, stattdessen kamen die LP für den Hausgebrauch und Singles für die Jukebox.

Reicht ein Plattenspieler?

Für DJs natürlich nicht, aber die Frage zielt auf den normalen Heimverbraucher ab. Antwort: It’s the Tonabnehmer, Stupid. Andreas Vogel erzählte vom Bakersfield Sound, einer kalifornischen Stilrichtung im Country. Neben der Spielweise der Gitarren ging es um den Klang: der war aufs Radio optimiert, mit weniger Bass. Es liegt auf der Hand, dass so ein Sound ganz anders ist als der von Disco-Platten, in denen es ganz häufig um die tiefen Frequenzen geht. Tatsächlich haben Toningenieure ja immer unterschiedliche Hörer mit unterschiedlichen Anlagen im Kopf, wenn sie den Sound einstellen. Wer wirklich mehr als einen Plattenspieler (und ein paar Boxen) haben möchte, könnte beispielsweise eine auf Musik bis Mitte der Siebziger ausgerichtete Anlage mit warmem, mittenbetontem Sound wählen – und eine für neuere Aufnahmen mit mehr Bass und klaren Höhen. Dabei geht es unter anderem um den Schliff der Nadel. Hier helfen Expertenseiten (etwa diese) oder der Gang ins Fachgeschäft weiter.

Wie soll man Platten lagern?

Besser stehend als liegend, und natürlich trocken. Andreas Vogels Tipp für Fortgeschrittene: Bei Singles lohnt sich die Investition in „gefütterte“ Innenhüllen.

Woher kommt der Vinylboom?

Die Frage müsse er oft beantworten, sagt Andreas Vogel. Er sage dann oft etwas in dieser Art: „Die Platte ist der haptische Gegenentwurf zum Streaming. Sie ist wie ein Mensch, sie entwickelt sich über die Jahre mit regelmäßigem Abspielen – will heißen, sie nutzt sich ein wenig ab. Musik auf Schallplatte ist, anders als beim Streaming, limitiert. Und jeder eignet sich Platte anders an.“ Wenn er, Vogel, eine Platte zwanzig Mal abspiele, tue er das anders als sein Kumpel Piltz – das sei anders als bei einer CD, die reibungslos funktioniere oder eben nicht. „Außerdem ist die Platte als Produkt etwas Besonderes und damit das ideale Fanvehikel“. Will heißen: wenn einem ein Album wirklich wichtig ist, kauft man es eben auch auf Vinyl.

Was tun, wenn sich die Platte wellt?

Für wellige Platten gibt es eine Lösung, bei der man die Platte mit Gewichten beschwert, in eine Tasche packt – und die dann in den Backofen schiebt. Siehe Bildergalerie oben oder hier.

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