Sozialbürgermeister Werner Wölfle und Carola Hägele vom Generationenhaus Heslach ziehen Bilanz über die Tagung „Glück im Quartier“ und sprechen über ihre Pläne für Stuttgarts Stadtviertel.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)
Herr Wölfle, was ist Ihre persönliche Bilanz der Tagung „Glück im Quartier“? Was haben Sie für Stuttgart mitgenommen?
Wölfle: Als ich das erste Mal von dem Namen der Tagung gehört hatte, war ich zunächst skeptisch. „Glück im Quartier“, das klingt ja doch sehr emotional. Glück definieren wir hier ja immer noch als eine individuelle Angelegenheit und nicht als einen Gemeinschaftsprozess. Aber ich habe mich auf den Prozess eingelassen und war auch lange bei der Veranstaltung anwesend. Nach der Veranstaltung war ich richtig begeistert.
Was nehmen Sie aus dem Vortrag des Glücksforschers Dr. Tho Ha Vinh für Ihren Alltag mit?
Wölfle: Ich bin ja gelernter Sozialarbeiter, und wenn man dann als Bürgermeister hört, dass die eigenen Ansätze aus den 70er Jahren wieder aktuell sind, macht das auch glücklich. Was Dr. Tho aus Bhutan erzählt hat, war aber eine neue Definition von „Glück im Quartier“. Wobei ich Glück lieber mit Zufriedenheit übersetze. Die Frage ist, wie zufrieden lebe ich in meinem Quartier? Und kann und muss die öffentliche Hand hier zur Unterstützung in dem einen oder anderen Lebensbereich eine Rolle spielen?
Wo sehen Sie Ihre Rolle da als Sozialbürgermeister?
Wölfle: Wenn ich die These teile, dass sich Zufriedenheit durch das private, räumliche und gesellschaftliche Umfeld beeinflussen lässt, dann habe ich die Aufgabe als Sozialbürgermeister, dies zu fördern. Unsere Sozialsysteme sind bisher sehr stark auf das Individuum ausgerichtet. Alle Sicherungssysteme, die wir im Staat haben, haben die materielle Absicherung des Einzelnen im Fokus. Wenn jemand einen Job hat, fühlt er sich auch wohler, das ist das eine. Aber trotz guter Beschäftigungslage – wir hatten ja noch nie ein so hohes Bruttosozialprodukt – steigt der gefühlte Grad der Unzufriedenheit.
Wie erklären Sie sich das? Auch in Stuttgart.
Wölfle: Die Formen der Veränderung werden immer schneller. Die Zusammenhänge eines Wohnquartiers wechseln viel, viel schneller als früher. Die konstante Kernbewohnerschaft, die ein Quartier dominiert hat, wird immer kleiner. Glück hängt sehr stark von der positiven Beantwortung der Frage ab, wer hilft mir, oder wem kann ich helfen? Eine Bestätigung meiner eigenen Wahrnehmung war auch, dass Dr. Tho darauf hingewiesen hat, dass Unzufriedenheit durch starke Ungleichheit entsteht. Diese Ungleichheit wird es immer geben, aber es müssen offensichtlich immer mehr Menschen das Gefühl haben, „der Wohlstand kommt bei allen an, nur nicht bei mir“.
Und wo wollen Sie da nun genau in den Stuttgarter Stadtteilen in Zukunft ansetzen?
Wölfle: Unser Ansatz ist nun, dass wir sowohl Räume brauchen als auch Anlässe für Begegnungen, um dies auszugleichen. Wir haben im Sozialausschuss beschlossen, dass wir uns an dem Bundesprogramm Mehrgenerationenhäuser beteiligen. Wir haben das „Willkommensräume“ genannt und beginnen mit dem Generationenhaus in Heslach und dem Familienzentrum Nord. Das sind so kleine Beispiele, wo wir die Förderung eines Quartiers in Angriff nehmen.
Wie geht es da konkret weiter?
Wölfle: Ich habe erst vor Kurzem mit den Amtsleitern in meinem neuen Referatszuschnitt gesprochen, dass wir uns gemäß Sozialdatenatlas Stadtquartiere aussuchen mit stärkeren sozial-negativen Daten und dort, wo wir schon Ressourcen haben, Gelegenheiten und Räume bieten. Einfach auch, wo man vielleicht mal eine Geburtstags- oder Familienfeier machen kann. Ich kenne viele Familien hier in Stuttgart, die haben zu Hause keinen Platz, um jemanden einzuladen, um zum Beispiel Kindergeburtstage zu feiern.
Welche Stadtbezirke wären das zum Beispiel?
Wölfle: Wir haben seit vielen Jahren den Sozialdatenatlas, der uns gute Aufschlüsse gibt, wo sozialpolitische Aktivitäten verstärkt werden müssen. Wir müssen dort gezielt Arbeitslose oder Hartz-IV-Empfänger ansprechen, die am ehesten in Isolation geraten, und diese rausholen. Wenn wir diese Menschen dafür gewinnen, sich in einem Quartier zu beteiligen, dann können wir sie aus ihrer Passivität holen, in die sie vielleicht gefallen sind. Das gelingt eher, wenn sie in einem Umfeld eingebettet sind. Solche Sachen wollen wir ausprobieren, mit dem Jobcenter zum Beispiel.
Frau Hägele, wie ist da Ihr Eindruck aus dem Generationenhaus Heslach, wie funktioniert da die Integration von Menschen, die eher am Rande der Gesellschaft stehen?
Hägele: Bei uns ist das ja schon so: Wir haben viele Obdachlose und Leistungsbezieher, die bei uns im Haus und im Café Nachbarschafft mithelfen und sich einsetzen. Wenn die sich aktiv einsetzen, erhalten sie eine ganz andere Haltung, eine ganz andere Wertschätzung. Das ist etwas, was wir brauchen, dass die Menschen wieder Anerkennung haben, nicht nur auf dem materiellen Sektor, sondern durch Teilhabe.
Wie haben Sie die Gruppen, die sich im Generationenhaus treffen, erreicht?
Hägele: Wir haben durch den Erwin-Schoettle-Platz viele Obdachlose direkt nebenan. Wir haben viele Flüchtlinge, dafür haben wir seit Oktober 2015 ein Flüchtlingscafé. Durch den Freundeskreis Flüchtlinge sind sehr viel mehr aus der Mittelschicht hinzugekommen. Das war für mich sehr schön zu sehen, dass die bürgerliche Gesellschaft dazukommt und so untereinander Freundschaften entstehen. Durch gemeinsames Schachspielen vor dem Haus haben auch viele Obdachlose enge Kontakte zu Flüchtlingen geknüpft. Sie spielen jetzt regelmäßig, vorher haben sie nie miteinander geredet. So funktioniert gutes Miteinander im Quartier.
Was haben Sie für Ihre tägliche Arbeit aus der Tagung mitnehmen können?
Hägele: Für uns war es viel Inspiration, weil es auch darum geht, uns fortzubilden, uns mit anderen zu vernetzen. Es waren ja viele Profis aus Stadtteil- und Familienzentren, aber auch viele Bürger anwesend. Das war wirklich schön, mit den Bürgern etwas gemeinsam zu haben. Für die war wichtig, dass sie Werkzeuge an die Hand bekommen, wie sie sich in ihrer Nachbarschaft einbringen können. Wie wir das zum Beispiel bei dem städtischen Projekt „Salz und Suppe“ letztes Jahr gemacht haben, dass man so eine Art Bauchladen bekommt. Es müssen ja nicht immer große Räume sein, es reichen oft kleine Orte oder Plätze. Das Schlimmste ist für die Leute, wenn sie zu Hause keinen Platz haben, dass ihr Kind niemand nach Hause einladen kann. Da brauchen wir die Möglichkeit, sich im Quartier zu begegnen. In kleinen Gemeinschaftsräumen. Das ist das Tolle an Gemeinschaftswohnprojekten.
Ist da der Neubau der Stadtbücherei und des Jugendhauses eine gute Ergänzung zu Ihrer bisherigen Arbeit?
Hägele: Das ist eine sehr gute und wichtige Ergänzung – dass wir verschiedene Institutionen haben, die miteinander arbeiten, etwas für die ganze Gemeinschaft machen und das allen im Viertel zur Verfügung stellen.
Wölfle: Damit setzen wir stadtpolitisch auch einen Maßstab. Ich habe als Stadt die Aufgabe, für eine gute Infrastruktur zu sorgen. Davon profitieren alle Bevölkerungsschichten.