Es steht sinnbildlich für die Sünden der Stuttgarter Stadtentwicklung: das Kronprinzenpalais. Man hat es abgerissen, um Platz für den Planie­tunnel zu schaffen. Rolf Bidlingmaier hat sich dem Palast und seiner Geschichte angenommen.

Stuttgart - Rolf Bidlingmaier hat in einem Buch die Geschichte des 1963 abgerissenen Kronprinzenpalais in Stuttgart dargestellt. Im Gespräch erzählt er, warum er sich um das Gemäuer kümmert, das längst abgerissen ist und warum der Abriss des Gebäudes der Stadt so eine schmerzhafte Lücke zufügte.

 
Herr Bidlingmaier, warum kümmern Sie sich um ein altes Gemäuer, das längst nicht mehr steht? Nostalgie?
Der Antrieb liegt in der Wiedergewinnung unseres kulturellen Erbes. Unser architektonisches Erbe besteht aus den Gebäuden, die jetzt noch vorhanden sind. Und jenen, die nicht mehr vorhanden sind. Die sollte man wieder erlebbar machen. Das wollte ich mit diesem Buch versuchen.
Warum das Kronprinzenpalais? Haben Sie das selbst noch gesehen?
Ich kenne das Kronprinzenpalais selbst nicht mehr. Es wurde 1963 abgerissen, ich wurde 1964 geboren. Da gibt es zwei Aspekte. Es gab um die Ruine des Kronprinzenpalais heftigen und fast 20 Jahre dauernden Streit, ob man sie abreißen solle oder nicht. Das steht durchaus beispielhaft für einen Umgang in der Nachkriegszeit mit historischen Ruinen, die in den Innenstädten noch standen. Heute würde man sie sicher nicht mehr abreißen. Man baut wieder auf, das kann man am Stadtschloss in Berlin sehen.
Und der zweite Aspekt?
Ein ganz praktischer. Es gibt viele Quellen. Mein Ansatz war: Wenn man das Palais schon nicht wieder aufbauen kann, dann machen wir eine virtuelle Rekonstruktion. Ich führte alle verfügbaren Pläne, Quellen, und Bilder zusammen, um das Gebäude in einem Buch wieder erlebbar zu machen.
Man kann einen Rundgang unternehmen?
Ja. Wenn sie das Buch anschauen, ist das auch so aufgebaut: Vorneweg die Baugeschichte. Da kann man nachvollziehen, wie das Gebäude zwischen den ersten Plänen 1843 und dem Einzug von Kronprinz Karl und Kronprinzessin Olga 1854 entstanden ist. Dann kommt die Nutzungsgeschichte, der Abbruch, die beteiligten Architekten, Künstler und Handwerker. Und ein Abschnitt, in dem die Räume dargestellt werden. Sie besichtigen die Kapelle, die Apartments der Kronprinzen und der Kronprinzessin und die Festräume.
Und den Tanzsaal?
Ja, das stimmt. Darauf bin ich stolz. Der Tanzsaal war der prächtigste Raum des Palais. Da habe ich eine Aufnahme gefunden, die bisher nicht publiziert wurde. Zuerst guckt man: Was gibt es in der Literatur? Was haben die Zeitungen berichtet? Da fand ich diese Abbildung, fünf mal vier Zentimeter, grob gerastert. Aber wo war das Original her? Ich war im Hauptstaatsarchiv, im Landesamt für Denkmalpflege, im Haus der Geschichte, in der Staatsgalerie, im Stadtarchiv, im Landesmedienzentrum, im Landesmuseum – keiner hatte das Bild. Auch die Nachkommen des Redakteurs hatten nichts.
Und dann . . .?
. . . wurde ich fündig im Bestand des Arbeitsministeriums, dem Vorgang über die Handelshof Messegesellschaft. Die hatte kleine Broschüren herausgegeben, da waren Innenräume abgebildet. Da war diese Aufnahme drin. 384 Büschel haben den Krieg überstanden. Im letzten Büschel war es drin.
Was hat eine Messegesellschaft mit dem Palais zu tun?

Eine der Wurzeln der Messegesellschaft liegt im Kronprinzenpalais. Das Gebäude liegt ja super, an einer der meistbenutzten Kreuzungen der Stadt. Das war übrigens der Grund, warum das Kronprinzenpaar lieber in der Villa Berg gewohnt hat, im Grünen, als mitten in der Stadt an einer belebten Kreuzung. Kurz nachdem nebenan der Königsbau errichtet worden war, gab es übrigens eine Regulierung, das auf der südlichen Seite des Königsbaus nach 22 Uhr nicht mehr mit der Kutsche angefahren werden durfte. Gegenüber schlief nämlich das Kronprinzenpaar.

Nach 1918 wurde aus dem Palast ein Messegebäude. Eine sehr schwäbische Lösung.
Wie gesagt, das Gebäude lag sehr günstig. Und die Räume waren prächtig und hatten einen großen Werbewert. Das Mobiliar hat man versteigert. Anhand einer Inventarliste kann man sehen, dass 1918 noch vieles da war. Aber ich habe kein einziges Stück mehr auftreiben können. Angefangen hat man mit einer Juwelen-Gold-Silber-Edelmesse. 1929 zog die Staatsgalerie ein – bis zu den Luftangriffen 1944.
War das Palais völlig zerstört?
Die qualitätvolle Fassade stand noch, vom Inneren war so gut wie nichts mehr übrig.
Also war der Abriss doch logisch?
Wenn man schaut, was in München wiederaufgebaut wurde, kann man deutlich erkennen, dass es auch andere Wege gab. Das Neue Schloss ist ja auch nur um Haaresbreite dem Abriss entgangen. Da ging es ums Prinzip. Das war Politik. Und die treibende Kraft war Generalbaudirektor Walther Hoss.
Sie gehen im Buch hart mit ihm ins Gericht.
Er ist einer derjenigen, wegen denen das Gebäude nicht mehr steht. Der Herr Hoss hatte kein Verständnis für historische Bauten, er hat sie als Gebäude der Verfallszeit angesehen. Seine Meinung war, die er mit vielen jungen Architekten teilte: Was willst du mit dem alten Krust, der kann weg, wir machen da was viel Besseres hin.
Aber ist das nicht verständlich? Diese Gebäude waren auch Sinnbilder der Monarchie und der Nazizeit.
Das spielte sicher mit hinein. Aber der Herr Hoss arbeitete ja an der autogerechten Stadt, er wollte unbedingt den Planiedurchbruch. Man hätte seinen Durchbruch auch unter dem Palais machen können. Aber das wollte er partout nicht. Und bescherte der Stadt so eine schmerzhafte Lücke.
Inwiefern?
Diese Stelle ist eine neuralgische Stelle in der Innenstadt. Deshalb hatte dieser Ausbruch auch so eine große Wirkung. Das Pendant zum Wilhelmspalais ist weggefallen, die Platzfront war nicht mehr geschlossen. In der Königstraße stehen mehrere große Baukörper, das war entsprechend abgestuft.
Mit dem Kleinen Schlossplatz wurde ja dann auch keiner glücklich.
Wenn diese Stelle an einem Platz gewesen wäre, der städtebaulich belanglos gewesen wäre, dann hätte sich keiner über den Kleinen Schlossplatz aufgeregt: dann hätte man gesagt, da hinten stört es keinen. Aber es war halt nicht da hinten, sondern da vorne. Deshalb ist ja auch dauernd einer gekommen und hat gesagt: Das sieht unmöglich aus.
Gab es keine Kämpfer wider den Abriss?
Die Länge der Diskussion zeigt ja, dass heftig gestritten wurde. Im Kronprinzenpalais hatten sich ja wieder Geschäfte eingerichtet. Man hätte wie im Königsbau die Fassade erhalten und dahinter neu aufbauen können. Doch dann passierte zweierlei gleichzeitig: der Denkmalschutz zog aus welchen Gründen auch immer seine Einsprüche zurück. Und die Ministerpräsidenten wechselten. der Stuttgarter Reinhold Maier hatte für das Kronprinzenpalais gekämpft, dem Oberschwaben Gebhard Müller war es egal.
Ein bisschen was hat ja überlebt.
Ein Torbogen ist im Lapidarium zu sehen. Er stand ja lange als Stachel im Fleisch auf dem Kleinen Schlossplatz, mittlerweile hat man ihn weggeräumt. Den Altan wollte man ja zum Birkenkopf bringen, er sollte dort als Eingang zum Trümmerberg dienen. Hoss hat das verhindert, 18 000 Mark für das Versetzen waren ihm zuviel. Er wollte offenbar das Kronprinzenpalais ganz beseitigen.