Vom Krieg und der Liebe erzählen die Filme im offiziellen Wettbewerb am ersten Wochenende: George Clooney zeigt Heldenkitsch, Lars von Trier provoziert verzweifelt. Und Dominik Graf zeigt die Geschichte einer Ménage-à-trois um Friedrich Schiller.

Berlin - Was machst du da?“ Das fragt in dem Film „’71“ der kleine Billy den britischen Soldaten Hook. Eine Sekunde später ist Billy tot, zerfetzt von einer Bombe. Was von ihm übrig ist, ein Kinderrumpf, nimmt Hook in seine Arme. Der Soldat reißt seine Jungsaugen weit auf, nichts als Entsetzen ist zu sehen. Dasselbe Entsetzen zeichnet bald wieder sein Gesicht, als er zum ersten Mal einen Menschen tötet und ihm beim Sterben die Hand hält.

 

Angeblich erzählt der Filmemacher Yann Demange in „’71“ die Geschichte einer Nacht im Bürgerkrieg in Nordirland im nämlichen Jahr: Der Konflikt eskaliert gerade, als das Milchgesicht Hook zu seinem ersten Einsatz ins zwischen protestantischen „Loyalisten“ und „feindlichen“ Katholiken geteilte Belfast versetzt wird. Hook gerät hinter die feindlichen Linien – aber von wegen Linien: Alles ist unübersichtlich, es gibt Fanatiker und Kollaborateure, Agenten und Verräter, und ganz normale Menschen radikalisieren sich zu Mördern aus Überzeugung, während Männer in Uniform Probleme mit dem Töten haben.

Die wackelige Handkamera zeigt grobkörnige Nachtbilder von Menschenjagden, gefilmtes Trauma. In seiner Geschichte vom Zufall, der die einen in diese, die anderen in jene Ecke des Schlachtfeldes schickt, erzählt Demange alles über die Sinnlosigkeit des Krieges.

In den USA durchgefallen

„’71“ ist ein kleiner Film im Wettbewerb, der an diesem Wochenende sehr laut wurde mit dem Allesüberstrahler George Clooney und dem Dunkeldänen Lars von Trier und deren Schlachtfeldern. Clooneys Kunstthriller „Monuments Men“ erzählt auch vom Krieg – eine „tolle Story“. Sie ist in den USA bereits durchgefallen und läuft bei der Berlinale als Starbringer außer Konkurrenz. Recht hat Clooney, die Geschichte der „Monuments Men“, deren Kern stimmt, wäre wirklich eine, die man gerne erzählt bekommen würde. Mehr als fünf Millionen Werke raubten die Nazis. Als die Alliierten auf dem Vormarsch waren, stellten sie eine internationale Truppe aus Kunsthistorikern zusammen – die „Monuments Men“ –, um die Kunst zurückzubringen.

Wie mag das zugegangen sein in dieser Truppe voller womöglich eitler, neidischer, mit Spezialaufträgen versehener Experten? Gab es eine Konkurrenz zu den Russen? Und wie sind die Freunde der schönen Künste den einfachen Soldaten auf dem Schlachtfeld begegnet mit ihrem Auftrag, Bilder zu retten, statt Menschen zu töten?

Von all dem erfährt man wenig, denn Clooney macht aus der Geschichte eine Art „Ocean’s Eleven“ – nur mit einem Michelangelo in einer Salzmine statt einem Tresor unter dem Hotel Bellagio. An Bord als kauzige Kempen sind unter anderem Bill Murray, Hugh Bonneville und Matt Damon. Zu sehen ist ein vor Patriotismus und Pathos triefender Heldenfilm, mit allen Zutaten für Convenience-Kino: müde Herrenwitze alternder Soldaten, eine bildschöne Französin und eine Mischung aus Kämpferkitsch und wahren Werten.

Kunstvolle Dreiecksgeschichte

Spannender ging es im Wettbewerb zu, wo am Wochenende gleich zwei weitere deutsche Beiträge ins Rennen um den Goldenen Bären gingen. In seinem 170 Minuten dauernden Liebesfilm „Die geliebten Schwestern“ erzählt Dominik Graf kunstvoll, fein und bisweilen langatmig-instruktiv eine Dreiecksgeschichte – als Liebende treffen sich Friedrich Schiller (Florian Stetter) und die beiden Schwestern Charlotte von Lengefeld (Henriette Confurius) und Caroline von Beulwitz (Hannah Herzsprung). Letztere hat die Familie durch eine reiche Heirat ohne Gefühl vor dem Niedergang bewahrt – und aus dieser Zeit stammt ein schwesterlicher Schwur, alles miteinander zu teilen: auch den feuerköpfischen „Räuber“-Autor.

Als gleichschenkliges Dreieck stellen sich die drei im magischen, die Revolution schon ahnen lassenden Sommer 1788 ihre Ménage-à-trois vor. Graf erzählt davon mal mit einer Distanz, als betrachte man Scherenschnittfiguren zu einer Rezitation, mal so nah, dass man die Sehnsucht seiner Charaktere noch als zitternde Härchen auf den Unterarmen zu sehen meint. Das fragile Gleichgewicht dieser Liebe ist nicht zu halten. Aber, so erfährt man: der Mut zum Sprechen und Schreiben über Gefühle verspricht ein wenig Heilung.

Noch begeisterter als Grafs Werk wurde Dietrich Brüggemanns Film „Kreuzweg“ aufgenommen, der die Geschichte eines 14-jährigen Mädchens erzählt, das emotional zerrieben wird zwischen den Anforderungen eines fundamentalistisch katholischen Elternhauses und der ganz normalen, ziemlich braven, aber in den Augen der Gemeinde verderbten Welt um sie herum.

Skandalmaschine im Vorfeld

In 14 Bildern, benannt nach den Stationen des Kreuzwegs, wird die Geschichte Marias erzählt – dass sie mit dem Tod des Mädchens enden wird, ist daher schon zu Beginn offensichtlich und quälend in seiner Unausweichlichkeit. Maria (bravourös: Lea van Acken) will eine gute Christin sein – und gerät, immer auf der Suche nach der Liebe ihrer Mutter, mit ihren Gefühlen und Zweifeln so sehr in Konflikt, dass sie glaubt, nur durch ein Opfer ihre Schuld gutmachen zu können. Die Gesellschaft, die Lars von Trier in „Nymphomaniac Vol I.“ skizziert und kritisiert, scheint vor allem daran zu kranken, dass jeder eben jeden Wert infrage stellen kann. Der Film, der in einer kürzeren Fassung seit Wochen in Dänemark läuft, ist in Berlin außer Konkurrenz zu sehen. Auch wenn in den 145 Minuten mit expliziten Sexszenen nicht gespart wird und die Trier’sche Skandalmaschine im Vorfeld vor Geschichten über Vaginalprothesen und andere uninteressante Details nur so rauchte, ist dieser Film kein Porno. Er ist viel eher eine bitterböse, todtraurige und bisweilen extrem komische Erzählung über Liebe und ihre Verbannung und den emotionalen Schmerz, den beides verursachen kann. Joe (Charlotte Gainsbourg) erzählt als Sexsüchtige einer Zufallsbekanntschaft – einem gebildeten Juden namens Seligman – ihre Geschichte.

Erklärten wollte sich Lars von Trier in Berlin nicht. Er gab keine Interviews und kam nicht zur Pressekonferenz. Beim Fototermin trug der Filmemacher ein T-Shirt, auf dem das Symbol des Filmfestivals Cannes, eine stilisierte Palme, zu sehen war und unter der „Persona non grata“ stand. Von Trier spielte damit darauf an, dass das Filmfest ihn 2011 nach Nazi-Äußerungen zur unerwünschten Person erklärt hatte. Provokation funktioniert eben am besten, wenn man nur Botschaften sendet und keine Fragen beantworten muss.