Eine Wirtschaft ohne moralische Werte und ethische Regeln erstickt an sich selber und dem Egoismus ihrer Profiteure, meint der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Stuttgart - Dürfen wir alles, was wir können? Gibt es ethische Grenzen des Machbaren? Ohne jeden Zweifel, werden die meisten sagen. Wohin grenzenloser Fortschritt und unbegrenztes Wachstum führen, ist für jeden, der nicht seine Augen vor der Realität verschließt, unverkennbar – in den Abgrund. Ein Gespräch mit dem katholischen Sozialethiker, Ökonomen und Jesuiten Friedhelm Hengsbach.

 

„Es gibt nicht das freie Spiel der Kräfte“

Herr Professor Hengsbach, braucht die Wirtschaft moralische Prinzipien oder arbeitet es sich ohne ethische Maßstäbe nicht effektiver und gewinnmaximierter?
Der Meinungsstreit hat eine lange Geschichte. Die einen sagen, dass die Wirtschaft wie ein System funktioniert, in dem die Moral möglichst ausgeschaltet sein sollte. Moralische Interaktionen würden das Wirtschaftsleben nur unnötig stören. Die Welt der ökonomischen Tatsachen sei das eine, das Universum der Werte das andere. Beide haben nach dieser Theorie nichts oder nur wenig miteinander zu tun.
Die Wirtschaft als Realität „sui generis“ – als eine eigene, abgeschlossene, wertfreie Zone. Kann das funktionieren?
Der Markt wird in dieser Theorie als ein evolutionäres System verstanden, das sich wie die Natur entwickelt und in dem die Interessen der Beteiligten ausgeglichen werden
Evolution bedeutet in der Biologie: „Survival of the Fittest“ – Überleben werden nur die am besten angepassten Individuen. In diesem Sinne hat der britische Sozialphilosoph Herbert Spencer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Darwinsche Evolutionstheorie für das Gesellschaftsleben umgedeutet.
Eine andere Theorie sagt das genaue Gegenteil: Es gibt nicht das freie Spiel der Kräfte. Wenn jeder nur seinen eigenen Nutzen sucht, kommt das Gemeinwohl irgendwann unter die Räder.
Gibt es angesichts der Wirtschafts- und Finanzskandale der letzten Jahre eine Rückbesinnung auf die Ethik?
Im zunehmenden Maße werden in den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten Lehrstühle für Wirtschaftsethik eingerichtet. Auch immer mehr Unternehmen sind stark daran interessiert, dass ethische Leitbilder in ihre Unternehmensphilosophie und praktischen Entscheidungsprozesse eingebunden werden.
Kann es, um einen Slogan des Ökonomen Horst Albach zu verwenden, eine „Betriebswirtschaftslehre ohne Unternehmensethik“ geben? Ist der Glaube an die reinigenden Marktkräfte eine ökonomistische Fiktion? Anders gefragt: Ist eine Wirtschaft ohne ethisch agierende Individuen haltbar und wünschenswert?
Nein. In Deutschland wird für das Konzept der sozialen Marktwirtschaft geworben. Der Wettbewerb soll dafür sorgen, dass sich die Preise frei bilden. Aber der Wettbewerb allein würde sich selbst aufheben, es käme sehr schnell zu einer Vermachtung der Wirtschaft, so dass am Ende ein Monopol übrigbleibt. Damit dieser Wettbewerb überhaupt funktioniert, braucht es eine rechtliche und politische Regulierung.