Morbus Bechterew Bürokratie macht Selbsthilfegruppe das Leben schwer
Betroffene von der Wirbelsäulenerkrankung Morbus Bechterew finden Hilfe in einer Sindelfinger Selbsthilfegruppe. Doch diese muss um ihre Zukunft bangen.
Betroffene von der Wirbelsäulenerkrankung Morbus Bechterew finden Hilfe in einer Sindelfinger Selbsthilfegruppe. Doch diese muss um ihre Zukunft bangen.
Als Heidi Michalke 1976 wegen Rückenschmerzen einen Arzt aufsucht, winkt dieser ab. Volkskrankheit. Nichts Besonderes. Eine junge, zierliche Frau, damals mit Haushalt und Kindern beschäftigt, da seien Rückenschmerzen programmiert, sagen die Ärzte damals. Doch die Schmerzen werden nicht besser. Sieben Jahre später folgt dann die Diagnose: Morbus Bechterew, eine Wirbelsäulenerkrankung. Anschluss findet die heute 76-Jährige damals in einer Selbsthilfegruppe, die sich in Sindelfingen gegründet hatte. Heute steht genau diese Gruppe vor großen Problemen.
Die Wirbelsäulenerkrankung beginnt meist mit Entzündungen in den Iliosakralgelenken, die dann auf die Wirbelsäule übergreifen und Knochenwucherungen auslösen, die dazu führen, dass die Wirbelsäule versteift. Betroffene erkennt man oft an der vornübergebeugten Schonhaltung. Vor 20 Jahren sah Heidi Michalke genau so aus: „Ich konnte Menschen nicht mehr in die Augen schauen“, erzählt die 76-Jährige, die mittlerweile in Herrenberg lebt. Der Boden war das einzige, das noch in ihrem Blickfeld lag.
Im Jahr 2004 entschloss sie sich schließlich zu einer Operation, mit der sie sich aufrichten ließ. „Dazu braucht es viel Mut“, sagt Heidi Michalke. Denn bei der Operation an der Wirbelsäule besteht das Risiko, später im Rollstuhl zu sitzen. Doch Heidi Michalke kam irgendwann an den Punkt, an dem es keine Alternative mehr zur Operation gab. Heute ist sie froh, den Schritt gegangen zu sein. Sie kann sich aufrichten, hat keine Schmerzen mehr.
Ein wichtiger Begleiter auf ihrem Weg zur Besserung ist seit Jahrzehnten die Sindelfinger Selbsthilfegruppe Morbus Bechterew. Bereits in den 80er Jahren wurde diese gegründet, seit 26 Jahren ist Svend Wiening aus Weil der Stadt der Gruppensprecher. In der Gruppe können sich Betroffene informieren, Kontakt suchen, sich austauschen und gemeinsam Gymnastik machen. „Bewegung ist das A und O“, sagt Wiening. Schmerzen entstehen meist in den Ruhephasen. Betroffene wachen beispielsweise nachts von den Schmerzen auf. Deshalb sei das Training so wichtig – nur durch regelmäßige Bewegung kann gegen die Steifheit angegangen werden, die durch die Krankheit entsteht.
Auch dabei hilft die Selbsthilfegruppe: Einmal in der Woche treffen sich die rund 20 Betroffenen in Sindelfingen, um gemeinsam Gymnastik zu machen. Beim VfL Sindelfingen können sie dafür einen Raum anmieten. 28 Jahre lang lief dies ohne Probleme: Eine Physiotherapeutin aus Aidlingen unterrichtete die Betroffenen regelmäßig und verlässlich, erzählt Svend Wiening. Doch seit die Therapeutin vor rund zehn Jahren mit ihrer Familie weggezogen ist, steht die Gruppe immer wieder vor der Herausforderung, geeignete Physiotherapeuten zu finden, die sich der Gruppe annehmen. Eine Aufgabe, die immer schwieriger wird.
Immer wieder haben in den vergangenen Jahren die Therapeuten gewechselt, in naher Zukunft steht die Gruppe wieder ohne Therapeuten da. Und nicht nur das: Während die Krankenkasse zwar grundsätzlich das Training der Erkrankten unterstütze, sei über die Jahre der Bürokratieaufwand so gestiegen, dass die Hürden kaum mehr zu bewältigen seien, sagt Wiening. Das Fass zum Überlaufen bringt nun eine neue Anforderung der Krankenkasse: Ein Therapeut brauche nun eine extra Schulung, damit er die Gruppe anleiten darf.
In einer Situation, in der es sowieso schon schwierig sei, eine geeignete Fachkraft zu finden, sei dies eine weitere Hürde, die ihnen das Leben schwer mache. „Ich fürchte, wir bekommen das nicht bewerkstelligt“, sagt Svend Wiening. Auch Heidi Michalke ist als jahrzehntelanges Mitglied daran gelegen, dass es die Gruppe in Zukunft noch gibt.
Denn über die Jahre hinweg ist die Gruppe nicht nur zu einem Ort des Austausches und Trainings geworden, sondern auch zu einem Ort der Gemeinschaft. Mit den „Bechti-Mädels“ – so nennen sich die Frauen aus der Selbsthilfegruppe – geht sie beispielsweise immer wieder auf Ausflüge. Die präventive Arbeit leiste einen entscheidenden Beitrag, dass die Menschen, die an der Krankheit leiden, ihr Leben weiterleben könnten, sagt Svend Wiening.
Die Krankheit
Morbus Bechterew zählt zu den Autoimmunkrankheiten. Über Jahre hinweg verknöchern Bandscheiben und Bänder – eine wuchernde Knochenbildung, mit der der Körper auf die Entzündungsherde reagiert.
Diagnose
Die Erkrankung erstreckt sich oftmals über Jahrzehnte und hat einen schleichenden Verlauf. Früher hat die Krankheit lange Zeit als „Männerkrankheit“ gegolten. Mit neuen Forschungsmöglichkeiten wird die Krankheit heute aber sowohl bei Frauen als auch bei Männern festgestellt. Der Weg zur Diagnose beträgt aber meist immer noch bis zu sieben Jahre.