40 Jahre nach der Entführung und Ermordnung von Hanns Martin Schleyer hat eine Beteiligte den jüngsten Sohn des Opfers um Verzeihung gebeten.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Es ist ein Rendezvous der heiklen Art: Vor einer Woche trafen sich in der mazedonischen Hauptstadt Skopje zwei Menschen, die das spektakulärste Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte verbindet. Ihre Begegnung könnte dazu führen, dass der letzte Akt dieser Tragödie neu geschrieben werden muss. „Es klingt so platt. Aber ich möchte einfach erst mal um Verzeihung bitten“, so eröffnete Silke Maier-Witt das Gespräch. Ihre Bitte richtete sich an den jüngsten Sohn eines Mannes, wegen dessen Ermordung sie 1991 zu zehn Jahren Haft verurteilt worden ist.

 

Maier-Witt war Mitglied des Terrornetzwerks RAF und vor 40 Jahren an der Entführung und Tötung des damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer beteiligt. In Skopje sprach sie mit Jürgen Schleyer (63). Erstmals kamen ihr Worte des Bedauerns über die Lippen. Die „Bild“-Zeitung hat sie protokolliert. Das Boulevardblatt hatte die 67-jährige Exterroristin in ihrem Balkan-Exil aufgesprürt und das Treffen arrangiert.

Der frühere Bundesjustizminister Klaus Kinkel begrüßt die Entschuldigung. Er hatte sich schon in den 1990er Jahren für eine Versöhnung ausgesprochen. Gegenüber dieser Zeitung bewertet er Maier-Witts Bitte um Verzeihung als „bemerkenswerte und wahrscheinlich auch für die Familie Schleyer wichtige Geste“. Kinkel, als ehemaliger Chef des Bundesnachrichtendienstes weltweit auf Jagd nach RAF-Terroristen, wollte frühzeitig einen Ausstieg aus der Gewaltspirale. „Der Staat musste versuchen, eine Exitstrategie aus dem Terror zu finden“, so hat er das in einem StZ-Interview formuliert. Zum 40. Jahrestag der Schleyer-Entführung hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an die Täter appelliert: „Wenn Sie das Rückgrat besitzen, das Sie bei anderen oft bezweifelt haben, dann reden Sie, dann legen Sie die Taten in allen Einzelheiten offen.“

Silke Maier-Witt hat als erste das Schweigen gebrochen. Sie sprach sieben Stunden und 40 Minuten mit dem Schleyer-Sohn. Dabei habe sie ihm auch drei Personen benannt, die zugegen waren, als die tödlichen Schüsse fielen, sagt jener. Wer damals geschossen hat, ist bis heute ungeklärt. Maier-Witt soll das Opfer ausspioniert haben. 1980 tauchte sie in der DDR unter, wurde dort Stasi-Spitzel. 1985 wäre sie beinahe von einem Übersiedler enttarnt worden. Nach dem Fall der Mauer wurde sie in Neubrandenburg verhaftet und in die Bundesrepublik abgeschoben. Vom Oberlandesgericht Stuttgart wurde sie 1991 zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, 1995 aber vorzeitig aus der Haft entlassen. Schon der DDR-Geheimdienst fand, dass sie vorbildlich resozialisiert sein. „Ihr wurden hohe Einsatzbereitschaft, Eigeninitiative und politisches Verantwortungsgefühl bescheinigt“, heißt es in Maier-Witts Stasi-Akte.

Nach der Haft absolvierte die in Nagold geborene Ex-Terroristin ein Psychologie-Studium. Von 2000 bis 2005 arbeitete sie mit Empfehlungsschreiben des Generalbundesanwalts als „Friedensfachkraft“ im Kosovo. Sie tat sich jedoch schwer, die eigene Schuld einzugestehen. „Reue ist schwierig“, sagte sie noch 2007 in einem FAZ-Interview, „ich empfinde eher Scham.“