Gab es Mitwisser, Mittäter, ein Netzwerk? Der Druck zur Aufklärung ist nach dem Mord an Walter Lübcke gewaltig. Viele Bundestagsabgeordneten, die im Innenausschuss zum Fall informiert wurden, machen deutlich: Es muss nun etwas geschehen.

Berlin - Die Erleichterung ist förmlich zu spüren, als Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am frühen Mittwochmorgen vor die Kameras tritt und die Nachricht des Tages verkündet: Der Tatverdächtige im Mordfall Lübcke, Stephan E., hat ein Geständnis abgelegt.

 

„Wir sind froh über diesen schnellen Erfolg“, sagt Seehofer. Aber auch ihm ist klar, was wohl alle Parlamentarier an diesem Morgen im Sitzungssaal des Innenausschusses denken: Das hier ist nicht das Ende, sondern der Beginn der Aufklärung des ersten rechtsextremistisch motivierten Mordes an einem Politiker. Und bisher lässt sich nicht abschätzen wie weit die Kreise sind, die dieses Verbrechen zieht.

Die grüne Innenexpertin Irene Mihalic, die im NSU-Untersuchungsausschuss saß, bringt die schlimmsten Befürchtungen in einer Sitzungspause auf den Punkt: „Meine These ist, dass möglicherweise die Geschichte des NSU umgeschrieben werden muss.“ Die Befürchtung ist nicht aus der Luft gegriffen. Stephan E. war in den Jahren, in denen das Terrortrio mordete, in der Kasseler Neonaziszene aktiv und pflegte Verbindungen in die Szene Dortmunds. An beiden Orten tötete der NSU.

Muss die Geschichte des NSU umgeschrieben werden?

Aber nicht nur die Frage eines Terrornetzwerks ist offen. Generalbundesanwalt Peter Frank informiert die Abgeordneten an diesem Morgen nur in groben Zügen über das Geständnis vom Vortag – in vielen Punkten bleibt er allerdings vage, will nicht zu viel von der laufenden Ermittlung preisgeben. Es seien bei zwei Durchsuchungen viele Asservate gefunden worden, aber die Tatwaffe sei nicht dabei, heißt es. Der Verdächtige schweigt in diesem Punkt. Klar ist, dass Stephan E. behauptet, alleine gehandelt zu haben. Und klar ist auch, dass der oberste Ermittler ihm das nicht glaubt. Die Einzeltäterthese sei von ihm nicht zu hören, soll Frank gesagt haben. Zum Motiv äußert es sich verklausuliert: Durch die Einlassungen des Verdächtigen sei die Zuständigkeit des Generalbundesanwaltes nicht entfallen. Auf deutsch: Die Ermittler gehen davon aus, es mit Terror zu tun zu haben.

Dabei ist eine Kernfrage des Falles noch völlig offen: Weshalb hatten die Behörden den Tatverdächtigen nicht auf dem Schirm? Immerhin handelt es sich um einen gewalttätigen, mehrfach vorbestraften Neonazi mit einer über zwei Jahrzehnte reichenden Karriere. Lebte Stephan E., der zuletzt 2009 aktenkundig wurde, danach apolitisch? War er ein Schläfer? Oder haben die Behörden die Gefahr durch rechten Terror unterschätzt und sich zu unentschieden auf die rasant veränderten Netzwerkstrukturen, auf rasch gewachsene Gewaltbereitschaft eingestellt? Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang wird dazu deutlich. Sein Bundesamt müsse sich für die Bekämpfung des Rechtsextremismus stärker aufstellen, sagt er.

„Das muss ein Wendepunkt werden“

„Horst Seehofer hat immer noch nicht verstanden, welche fundamentale Bedrohung der Rechtsextremismus darstellt“, kritisiert der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Konstantin Kuhle. Er fordert Erklärungen – zum Beispiel zu der Frage, warum für die Neonazigruppe „Combat 18“, einem militanten Zweig der verbotenen Gruppe „Blood and Honour“, nicht ebenfalls ein Vereinsverbot geprüft wurde. Der Innenminister, so sagen Ausschussteilnehmer, habe eine solche Prüfung nun zugesagt.

Der Unions-Innenexperte Armin Schuster verteidigt den Minister gegen den Vorwurf, den Blick nicht genug nach rechts gerichtet zu haben. Er verweist auf 17 Vereinsverbote, das Vorgehen gegen die Gruppe Freital, die Terrorermittlung von Chemnitz, die zu einer Anklage führte.

Aber im Ausschuss wird auch deutlich, welche Brille das BKA zuletzt getragen hat: So haben die Ermittler zwar zusammen mit forensischen Psychologen der Uni Konstanz ein brandneues Risikobewertungsinstrument entwickelt, das Informationen über Gefährder auswertet und eine Prognose erstellen kann. Aber angewendet wurde es nur auf Islamisten, kritisieren Abgeordnete. Die linke Rechtsextremismusexpertin Martina Renner sagt, auch wenn sie islamistische Gefahr nicht kleinreden wolle, frage sie sich, wieso der Einsatz in beiden Feldern so unterschiedlich ausfalle. Von den 1100 Ermittlungsverfahren, die der Generalbundesanwalt 2018 eingeleitet habe, seien sechs aus dem Bereich Rechts. „Wir brauchen eine Neujustierung“, fordert Renner. Die Stimmung unter den Parlamentariern fasst vielleicht am ehesten der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka zusammen. Der Mordfall zeige, wie weit sich „der braune Terror“ ausgebreitet habe, sagt er. Das Attentat müsse „ein Wendepunkt werden“.