Fatale Übersetzungsfehler in einem Interview haben Asli Erdogan zum Mittelpunkt eines in der Türkei tobenden Shitstorms gemacht. Der deutsche PEN appelliert an den deutschen Außenminister.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Die in Deutschland lebende türkische Exilschriftstellerin Asli Erdogan ist zum Ziel einer hasserfüllten Kampagne in türkischen Medien und sozialen Netzwerken geworden. Der Anlass ist ein fehlerhaft wiedergegebenes Interview in der Italienischen Zeitung „La Repubblica“, das anschließend in einer entstellenden Übersetzung von der belgischen Tageszeitung „Le Soir“ in Umlauf gebracht worden ist. Asli Erdogan äußert sich darin zur politischen Erziehung türkischer Kinder. Laut der italienischen Version des Interviews sagte die Schriftstellerin, schon in der Grundschule beginne die nationalistische und militärische Indoktrination. An einer anderen Stelle antwortete sie auf eine entsprechende Frage, alle Parteien im türkischen Parlament außer der HDP tendierten dazu, kurdische Organisationen in die Nähe von Terroristen zu rücken.

 

Der italienische Redakteur setzte darüber die Überschrift: „Wir werden indoktriniert, die Kurden als unsere Feinde zu sehen.“ Diese vom Wortlaut nicht gedeckte Aussage wiederum wurde acht Tage später in der belgischen Version des Interviews weiter zugespitzt. Nun hieß es: „Wir lernen von der Grundschule an, Kurden zu hassen.“ Völlig sinnentstellend wurde ihre andere Antwort wiedergegeben: „Alle politischen Kräfte im Parlament sind Terroristen, außer die HDP.“

Makabre Art der Stillen Post

Die Zeitung „Le Soir“, die das Interview ohne Rücksprache mit der Autorin ins Französische übersetzte, hat inzwischen die Fehler eingeräumt und sich bei Asli Erdogan entschuldigt. Trotzdem brachte die russische Agentur Sputnik in englischer Übersetzung die entstellte belgische Version in Umlauf. Türkische Medien griffen sie auf und entfesselten eine Kampagne, die sich in den Sozialen Medien zu einem Shitstorm auswuchs. Asli Erdogan sieht sich von einem aufgepeitschten Lynchmob schwersten Beleidigungen bis hin zu Mordaufrufen ausgesetzt.

Der deutsche PEN, an dessen Writers-in-Exile-Programm Asli Erdogan derzeit teilnimmt, äußert sich besorgt und appelliert an den deutschen Außenminister, sich der Sache anzunehmen. Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei wurde die 1967 in Istanbul geborene Asli Erdogan im August 2016 willkürlich festgenommen. Sie gehörte schon damals zu den profiliertesten Romanautorinnen des Landes und schrieb für regimekritische Zeitungen, unter anderem für die kurdisch-türkische „Özgür Gündem“, die nach der Niederschlagung des Putsches verboten worden war. 132 Tage lang hielt man Asli Erdogan im Istanbuler Frauengefängnis Bakirköy unter desaströsen Bedingungen fest, worüber sie in ihrem Roman „Haus aus Stein“ Rechenschaft ablegt hat. Als Symbolfigur der Meinungsfreiheit wurde sie 2017 mit dem Stuttgarter Friedenspreis ausgezeichnet.

Journalistischer Leichtsinn, Übersetzungsschwächen und obskure Interessen der russischen Agentur verdichten sich im gegenwärtigen Fall zu einer makabren Art der stillen Post. Wobei offenbar bestimmte Kreise bewusst heraushören, was sie wollen.