Im Mordfall Anja Aichele hat die Polizei einen Massen-Gentest bei mehreren hundert Männern veranlasst. Fast alle haben dabei mitgemacht.

Stuttgart - Schon eine halbe Stunde bevor die Stuttgarter Kriminalpolizei am Samstagvormittag offiziell mit ihrer DNA-Reihenuntersuchung begonnen hat, haben ein Dutzend Männer vor der Kindertageseinrichtung im Wohngebiet Muckensturm in Bad Cannstatt auf den Beginn des Tests gewartet. Denn um den Tod der im Jahr 1987 ermordeten Anja Aichele endlich aufklären zu können, hatten die Staatsanwaltschaft und die Kripo mehr als 700 Männer zum Gen-Abgleich geladen. Knapp 400 davon wurden aufgefordert, am Samstag oder Sonntag in Bad Cannstatt eine Speichelprobe abzugeben. Die restlichen 300 sind mittlerweile verzogen. Sie sollen nun von den Polizeidienststellen ihres Wohnorts kontaktiert und um einen Test gebeten werden.

 

Wie berichtet, hatte die Polizei bereits im Jahr 2008 aus den sichergestellten Gegenständen vom Fundort der 1987 erwürgten Anja Aichele eine genetische Spur herausgefiltert, die auf den möglichen Täter hindeuten könnte. Einen ersten Anlauf, damit den Mörder zu suchen, unternahmen die Ermittler im vergangenen Frühjahr. Sie verglichen die Spur mit dem Erbgut von mehr als 500 Männern, die nach der Tat befragt worden waren, darunter Freunde, Nachbarn und Bekannte der Eltern des damals 17-jährigen Mordopfers. Doch die Suche blieb ergebnislos. Um die Ermittlungen fortzusetzen, wurden nun auch Männer zur Speichelprobe ins Wohngebiet Muckensturm geladen, die zur Tatzeit im näheren Tatortbereich gewohnt haben und damals zwischen 16 und 60 Jahre alt waren.

Daten werden später nicht gespeichert

Schon die ersten Herren, die am Samstag zum freiwilligen Gen-Abgleich gekommen waren, mussten sich in eine Warteschlange eingliedern – so groß war der Andrang bereits am Vormittag. Nachdem die Polizei ihre Personalien aufgenommen und ihnen den Ablauf der Speichelprobenentnahme geschildert hatte, wurden sie schließlich nacheinander in eines von drei Untersuchungszimmer gebeten. „Dann müssen sie eine Einwilligungserklärung unterschreiben, wir gleichen ihre Daten noch mal mit dem Personalausweis ab und weisen die Leute darauf hin, was mit ihren Daten passiert“, so der Kriminalhauptkommissar Frank Tischner. „Denn weil es hier ja um einen Direktvergleich mit einer DNA-Spur geht, werden die Daten später nicht gespeichert.“ Anschließend, ergänzte der Polizeihauptkommissar Bernd Sander, gehe es für die Männer weiter „wie beim Zahnarzt“. Sie müssten den Mund weit öffnen, und mit einem Wattestäbchen werde dann eine Speichelprobe entnommen. „Der so gewonnene Abstrich kommt in einen verschlossenen Umschlag, wird ins Labor des Landeskriminalamts geschickt und dort ausgewertet“, erklärte Sander. Bis die Ergebnisse der Tests vorliegen, wird es laut dem Leiter des Arbeitsbereichs Tötungsdelikte im Polizeipräsidium Stuttgart, Steffen Gottmann, wohl Sommer werden. Erst dann, so Gottmann, wisse man unter Umständen mehr über den Mörder von Anja Aichele.

„Das ist doch das Mindeste, was man tun kann“

Gerade einmal zwei Minuten mussten die Teilnehmer jeweils investieren, um ihre Probe am Wochenende abzugeben. Doch nicht nur deshalb war das Verständnis der meisten Männer für die polizeiliche Maßnahme groß. Der 72-jährige Wolfgang Ingo Christiansen fragte sich vielmehr, „weshalb ein solcher Test nicht schon früher gemacht wurde“. Er habe die Eltern der ermordeten Anja Aichele seinerzeit persönlich kennengelernt, erzählte er im Rahmen der Untersuchung. Weil seine Tochter fast zur selben Zeit wie Anja Aichele bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen sei, so Christiansen, sei er Anjas Eltern bei einem Trauerkreis für Hinterbliebene begegnet. „Auch deshalb ist es für mich selbstverständlich, dass ich heute hier bin“, so der 72-Jährige. „Das ist doch das Mindeste, was man tun kann, und ich wünsche der Polizei viel Erfolg.“ Ein weiterer Teilnehmer, der nicht namentlich genannt werden möchte, erklärte ebenfalls, dass er gerne dazu beitrage, die Ermittlungen zu unterstützen. Schließlich sei dies „eine Chance, den Täter doch noch zu finden“.

Fast alle der insgesamt 381 Männer, die zur Speichelprobe nach Bad Cannstatt geladen wurden, zeigten sich ähnlich kooperativ. So sind laut einem Sprecher der Polizei mehr als 90 Prozent von ihnen bis Sonntagabend zum Test erschienen. Die restlichen rund 30 Männer werden nun noch einmal von den Beamten kontaktiert und um eine Speichelprobe gebeten. Dazu zwingen darf die Polizei zwar niemanden. Doch der genetische Test, so Hauptkommissar Steffen Gottmann, sei nun mal „die Ultima Ratio“, womöglich auch die letzte Chance für die Polizeibeamten, den Mord an Anja Aichele nach so langer Zeit aufzuklären. „Das Amtsgericht hat genehmigt, dass die Ermittler ein weiteres Mal Erbmaterial erheben, um es abzugleichen“, so Gottmann. „Das geht aber natürlich nur auf freiwilliger Basis.“