Ein junger Mann wurde im Heimatort des Opfers irrtümlichdes Mordes verdächtigt. Jetzt ist der wahre Täter nach elf Jahren endlich überführt.

Böblingen - Am Donnerstagmittag senkt sich die Sommerhitze über den Dörschachsee. Der Weiler liegt südlich von Weil im Schönbuch im Landkreis Böblingen, der örtliche Fischereiverein hat am Ufer eine massive Blockhütte gebaut. Dort fanden seine Eltern und Polizisten im Oktober 2000 den elfjährigen Tobias, der mit zahlreichen Messerstichen getötet worden war. Am Donnerstag hat die Polizei bekanntgegeben, dass sie den Mörder gefunden hat: einen unauffälligen, 47-jährigen Mann aus dem Landkreis Esslingen. Er hat die Tat auch bereits gestanden.

 

Am See selbst erinnert heute kaum noch etwas an den grausigen Mord vor fast elf Jahren. Ein Gedenkkreuz gibt es nicht; nur an die Fischerhütte hat jemand einige Plastikrosen gesteckt.

Wolfgang Lahl war noch nicht Bürgermeister von Weil im Schönbuch, als der Elfjährige ermordet wurde. Am Mittwoch erhielt der 42-Jährige die Nachricht während seines Urlaubs in den Vereinigten Arabischen Emiraten. "Das ist eine Befreiung für die Gemeinde", sagt er. "Und für die Eltern ist es eine Chance, den Tod ihres Sohnes zu verarbeiten." Doch der Mord an Tobias hat nicht nur das Leben seiner Eltern und Angehörigen aus den Fugen geraten lassen. Wenige Tage nach dem Mord wurde ein geistig zurückgebliebener 16-Jähriger verhaftet, der bei der Polizei die Tat gestand. Doch die fremden DNA-Spuren an der Kleidung von Tobias stimmten nicht mit denen des Jugendlichen überein, er zog sein Geständnis wieder zurück und wurde freigelassen.

Doch der Verdacht in Weil im Schönbuch blieb. Nicht nur Tobias' Familie hatte Zweifel an seiner Unschuld. Fast alle Weilemer kennen den jungen Mann, der immer noch in der Gemeinde wohnt- und sie alle wissen, dass er mehrere Wochen als Tatverdächtiger im Gefängnis saß. Der heute 26-Jährige wohnt nur wenige Straßenzüge von dem Haus von Tobias' Familie entfernt.

Wer die Nachricht gehört hat, wirkt erleichtert

"Solange nicht bewiesen war, dass er nicht der Mörder ist, konnte der sich hier im Ort nicht frei bewegen", sagt Hans-Jürgen Dittmar, der lange in Weil im Schönbuch gewohnt hat und gerade zu Besuch ist. Der ungelöste Mord an Tobias sei in der Gemeinde nie in Vergessenheit geraten, erzählt der blonde Mittvierziger. Kaum mehr als 10000 Menschen leben hier, viele kennen die Familie des getöteten Jungen zumindest vom Sehen. Wie der Bürgermeister hoffen sie, dass die Verhaftung des Mörders den Eltern und dem heute 20-jährigen Bruder von Tobias hilft, Frieden zu finden - und dass der neuerliche Trubel im Dorf keine alten Wunden aufreißt. Denn am Donnerstag fuhren die ersten Fernsehteams am Weiler Marktplatz und am Tatort am See vor.

Trotz allem verbreitet sich die Nachricht von der Verhaftung am Donnerstag nur langsam in Weil. Wer sie gehört hat, wirkt erleichtert. Auch Constanze Hildebrand atmet auf. Sie hat zur Tatzeit noch nicht in Weil gewohnt, doch aus Erzählungen kennt die 38-Jährige die damalige Stimmung. "Beim Waldkindergarten, wo die Kleinen oft in der Nähe des Dörschachsees unterwegs sind, hat monatelang der Mann einer Erzieherin die Gruppe begleitet", erzählt sie; so groß war die Angst, dass der Mörder noch einmal zuschlägt. Eine 18-jährige Auszubildende, die mit einer Freundin über den Marktplatz spaziert, kann sich noch genau daran erinnern, wie panisch ihre Eltern damals reagierten. "Meine Mutter hat mich zum Spielen nicht mehr nach draußen gelassen."

Auch die Ermittlungen beschäftigen die Weilemer bis heute. Manche fühlten sich zu Unrecht verdächtigt, so wie der heute 63-jährige Karl Dettinger. Er geriet ins Visier der Polizei, weil er in der Nähe des Tatortes ein Grundstück besaß. "Ich musste mich fotografieren lassen wie ein Krimineller", empört er sich noch heute. Doch bei allen herrscht Erleichterung.