Der Gutachter sieht beim mutmaßlichen Mörder des elfjährigen Tobias eine schwere sexuelle Störung. Kommende Woche wird das Urteil erwartet.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Dieser Fall habe ihn an die Grenzen seiner Belastbarkeit gebracht, sagte der psychiatrische Gutachter Peter Winkler. Er sei krank geworden, nachdem er sich zwischen Weihnachten und Silvester mit dem Mann getroffen habe, der den elfjährigen Tobias aus Weil im Schönbuch im Jahr 2000 ermordet haben soll. „Das kann Zufall sein mit meiner Krankheit. Als Psychiater bin ich aber geneigt, einen Zusammenhang zu erkennen.“

 

Der 48-Jährige Bäcker von den Fildern soll den Jungen an einem Fischweiher angesprochen haben, um ihn zu missbrauchen. Als Tobias sich wehrte, habe er ihn erstochen. Der Angeklagte ist geständig.

Bindungsunfähig und eigenbrötlerisch

Der Gutachter wählte harte Worte: „Er ist kein normaler Mensch“, sagte Winkler am Mittwoch in seinem Bericht. Er habe eine schwere sexuelle Störung festgestellt, die mit Bindungsunfähigkeit und eigenbrötlerischem Wesen einhergehe. Man könne trefflich darüber streiten, was im weiten Feld der Sexualität als gestört gelte und was nicht. „Aber wenn jemand sexuell krank ist, dann der Angeklagte.“

Die Störung habe nach Ansicht des Experten „mit dem Erwachen der Sexualität in der Pubertät“ begonnen. Der Angeklagte sei pädophil und sado-masochistisch veranlagt. Schmerz, den er sich oft selbst zufügte, gehöre zu seinem Lustempfinden dazu. Seine sexuellen Kontakte beschränkten sich auf anonyme homosexuelle Treffen an einem Baggersee bei Tübingen. „Eigentlich sei er nicht homosexuell, aber der Kontakt zu den Männern sei einfacher herzustellen gewesen als zu Frauen“, so Peter Winkler.Das Gutachten des Psychiaters soll den Verfahrensbeteiligten vor ihren Plädoyers helfen, die Schuldfähigkeit des 48-Jährigen zu beurteilen. Peter Winkler kam nach seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte psychisch nicht krank sei und zudem einen hohen Intelligenzquotienten habe. Daher sei er grundsätzlich schuldfähig. Jedoch sei im vorliegenden Fall nicht nur die psychische Gesundheit in Betracht zu ziehen, sondern auch die schwere sexuelle Störung, die er festgestellt habe. Winkler widersprach einem Psychologen, der sich während der Haftzeit mit dem 48-Jährigen befasst hatte, deutlich. Der Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt war zu dem Ergebnis gekommen, der Bäcker sei eigentlich ein ziemlich normaler Mensch, das hatte er am Montag als Zeuge in der Verhandlung ausgesagt.

Mehrere Versionen des Geständnisses

Die sexuelle Störung habe ein Ausmaß, dass ihre Auswirkungen auf das Leben des Mannes ähnlich stark seien wie die einer psychischen Erkrankung, etwa wie „eine 08/15-Schizophrenie“, so der Gutachter. Der Angeklagte sei zwar schuldfähig und könne aufgrund seiner Intelligenz auch erkennen, dass der Missbrauch eines Kindes und der Mord aus Angst, angezeigt zu werden, unrecht seien. Aber die sexuelle Störung habe seine Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt, so dass die Schuldfähigkeit gemindert worden sei, sagte der Psychiater. Für seine Beurteilung analysierte Winkler auch die verschiedenen Versionen des Geständnisses. Zunächst hatte der Angeklagte zugegeben, er habe den Jungen „berühren und streicheln“ wollen, er habe ihn getötet, weil er sich wehrte. In diesem Fall könne man von der Schuldfähigkeit ausgehen, da die sexuelle Störung das Handeln des Täters nicht bestimmt habe. Das würde bei einem Schuldspruch für eine lebenslängliche Haftstrafe mit einer anschließenden Sicherungsverwahrung sprechen.In der letzten Version des Geständnisses habe jedoch die sado-masochistische Neigung eine große Rolle gespielt. Der 48-Jährige habe eingeräumt, dass er den Jungen quälen und verstümmeln wollten. Wenn dies der Wahrheit entspreche – wovon er ausgehe –, habe die sexuelle Störung sein Handeln bestimmt. Dann, so der Gutachter, komme eher eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik infrage, machte Winkler deutlich. Der Gutachter kam zu dem Schluss: „Er ist weiterhin gefährlich.“

Am Montag sollen die Plädoyers gehalten werden. Die Entscheidung der Kammer wird am Mittwoch verkündet.