Am Dienstag beginnt in Pretoria der Mordprozess gegen Oscar Pistorius – und damit ein beispielloser Medienzirkus. Angehörige des Paralympics-Siegers, aber auch die Eltern des Opfers Reeva Steenkamp versuchen schon jetzt, die Öffentlichkeit für sich einzunehmen.

Pretoria – Mehr als drei Monate lang ist er in der Versenkung verschwunden, gab sich im goldenen Käfig – der „Bateleur“ (Gaukler) genannten Villa seines Onkels in Pretoria – düsteren Gedanken hin und ließ Fremde, vor allem wenn es sich um Journalisten handelte, bereits durch einen auf der Straße postierten Sicherheitsmann abwimmeln.

 

Doch am Dienstag wird die selbst auferlegte Isolation Oscar Pistorius’ zumindest kurzzeitig unterbrochen werden: Dann muss der beinamputierte Kurzstreckenläufer, dem der Mord an seiner Freundin Reeva Steenkamp vorgeworfen wird, vor dem Amtsgericht in Pretoria erscheinen. Schaulustige werden sich mit aus aller Welt herbeigeeilten Reportern um Plätze im Gerichtssaal balgen, Fans ihrem gestolperten Idol aufmunternde Worte zurufen, Horden von Fotografen jede Regung in seinem Gesicht zu bannen suchen. Tag eins im Verfahren „Blade Runner“ gegen den Staat Südafrika: Der Zirkus hat begonnen.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird der Prozess am Dienstag allerdings schon nach wenigen Minuten wieder vertagt. Die Staatsanwaltschaft braucht noch mehr Zeit, um ihre Ermittlungen zu Ende führen zu können, wogegen die Verteidigung offenbar nichts einzuwenden hat. So wird der 26-jährige Angeklagte wohl gleich wieder in der Versenkung verschwinden: Über sein ursprüngliches Statement hinaus, wonach er seine Freundin in der Nacht zum Valentinstag aus Versehen erschossen hat, weil er sie für einen Einbrecher hielt, hat er derzeit nichts zu sagen.

Bilder zeigen Blutlachen und Einschusslöcher

Seine Anwälte gaben am Freitag ein Lebenszeichen von sich: Sie empörten sich darüber, dass der britische Fernsehsender Sky News Aufnahmen aus Pistorius’ Haus gezeigt hatte. Auf den Bildern vom Badezimmer waren Blutlachen und Einschusslöcher an der Toilettentür zu sehen.

Nach einer Flut von „Erkenntnissen“, mit der die Ermittler zunächst die Presse versorgt hatten, ist es inzwischen auch auf der Gegenseite ruhig geworden. Weitere Details über die letzten Stunden des vermeintlichen Traumpaares wurden nicht bekannt: Weder die entscheidende Frage, ob Oscar beim Abfeuern seiner Schüsse seine Prothesen trug, noch ob und wen Reeva mit ihrem Handy noch zu erreichen suchte, hat bisher eine Antwort gefunden. So ist die Presse auf Enthüllungen anderer Art angewiesen – auf Nachforschungen in der Vergangenheit des Angeklagten oder auf Studien seiner psychischen Konstitution. Dabei kommen immer deutlicher die Schattenseiten des vergötterten Ausnahmeathleten zum Vorschein: Seine schon zuvor bekannte Schießlust wurde kürzlich noch von einer Anekdote untermauert, wie Pistorius einem von ihm angefahrenen Hund einst bedenkenlos den Gnadenschuss verpasste. In der Kategorie der Psychostudien stehen Geschichten im Vordergrund, die die Zerrissenheit des Sportlers zwischen Krüppeldasein und Größenwahn nach seiner durch Medien und Werbung gepuschten Erhöhung zum Halbgott beschreiben: „Ich wusste, dass etwas bersten wird“, zitiert „Vanity Fair“ den italienischen Journalisten Gianni Merlo, der Pistorius beim Schreiben seiner Autobiografie geholfen hat: „Haben wir unbeabsichtigt ein Monster geschaffen?“

Jetzt heißt es: Star-Verteidiger gegen Star-Staatsanwalt

Eine entscheidende Rolle wird bei dem Verfahren auch die Frage spielen, ob die junge Liebe zwischen Reeva und Oscar tatsächlich so harmonisch war, wie die Pistorius-Familie sie darzustellen pflegt, oder ob die beiden vielmehr, wie Reevas Mutter dem britischen Channel 5 erzählte, „eine Menge Streit“ hatten. Das Interview, in dem sie sagt, sie habe Angst um das Leben ihrer Tochter gehabt, soll am Montagabend ausgestrahlt werden. Das Gericht wird sich mit Indizien, Zeugenaussagen und Expertenmeinungen befassen müssen – eine Schlacht, in der die Kompetenz der juristischen Kontrahenten von entscheidender Bedeutung sein wird. Mit dem Staatsanwalt Gerrie Nel wird der südafrikanische Staat eines seiner schwerste Geschütze aufgefahren, mit dem Advokaten Barry Roux vermochte Pistorius einen der Staranwälte am Kap der Guten Hoffnung anzuheuern. Mit 50 000 Rand (rund 4000 Euro am Tag) verlangt der Promi-Anwalt allerdings auch seinen Preis: Pistorius musste bereits ein Pferd verkaufen und sucht – bisher vergeblich – einen Käufer für sein Haus (in dem die Tat geschah), um die Kosten für das Verfahren aufzubringen. Zu allem Übel meldete sich auch noch das Finanzamt, das von Pistorius Steuernachzahlungen in Höhe von einer Million Rand (mehr als 80 000 Euro) verlangt: Hätte Pistorius nicht eine wohlhabende Familie, müsste der Olympionike wohl den Bankrott anmelden. Denn eigene Einnahmen hat er derzeit nicht.

Der Prozess ist so teuer, dass er seine Villa verkaufen muss

Längst haben die Sponsoren ihre Verträge storniert. Auch wird der doppelamputierte Läufer zumindest in diesem Jahr kein Rennen mehr bestreiten, wie sein Trainer kürzlich bekannt gab: Oscar sei vom bevorstehenden Prozess viel zu sehr in Beschlag genommen. Vor allem aber scheint er seine Siegesgewissheit verloren zu haben. Laut der BBC hatte der Mann, der schon sieben Mal einen Weltrekord aufgestellt hat, noch kurz nach der Tat gesagt: „Ich werde das überleben. Ich gewinne immer.“ Doch inzwischen zitiert ihn sein enger Freund Mike Azzie mit ganz anderen Worten: „Ich bin ein gebrochener Mann“, soll ihm die einstige Ikone anvertraut haben. Und Pistorius’ Onkel Arnold sagte dem US-Sender CNN, Oscar sei „todunglücklich“ angesichts der Tatsache, dass er „die Liebe seines Lebens“ getötet habe.