Der erste Tag im Mordprozess gegen Paralympics-Sieger Oscar Pistorius dauert nur wenige Minuten. Der Angeklagte tritt demütig auf. Seine Botschaft ist eindeutig.

Pretoria/Südafrika - Im Raum C im ersten Stock des Magistrats-Gerichtes von Pretoria steht die Zeit still. Die gerichtliche Wanduhr blieb vermutlich schon vor Wochen auf halb neun Uhr hängen, in Wahrheit ist es kurz vor acht. Mehr als ein halbes Hundert Journalisten aus aller Welt konnte sich einen Platz in dem verblüffend engen Saal ergattern und vertreibt sich nun mit der gleichen Zahl an Fotografen und Kameraleuten die stillgestandene Zeit. Auf den für die Familie des Angeklagten frei gehaltenen Bankreihen sitzt indessen einsam Oscar Pistorius’ Schwester Aimee: Um nicht reden oder traurig in die Kameralinsen blicken zu müssen, hackt sie eine um die andere Textmessage in ihr Handy.

 

Aimee Pistorius soll dafür sorgen, dass neben den zwei Pistorius-Bankreihen auch eine für die Hinterbliebenen von Reeva Steenkamp frei bleibt: eine eher symbolische Geste, denn jeder weiß, dass die Eltern des am Valentinstag absichtlich oder versehentlich erschossenen Models noch immer viel zu mitgenommen sind, um sich einem derartigen Trubel auszusetzen. Sie werden nicht kommen. Es gebe auch nichts, was sie der „anderen Seite“ zu sagen habe, teilte Reevas Mutter in einem Interview mit. Schließlich wird auch die dritte Reihe von Pistorius’ Angehörigen in Beschlag genommen: Die große Familie des gefallenen Sportidols hat Heimvorteil.

„Es tut mir leid“ – das ist Pistorius’ Botschaft

Dann hat sich die Zeit doch fortbewegt. Uhren, die gehen, stehen inzwischen auf fünf vor neun: Der Aufsehen erregendste Prozess am Kap der Guten Hoffnung seit der Verurteilung Nelson Mandelas in den sechziger Jahren kann beginnen. Nach den zwei Anwälten betritt der 26-jährige Ausnahmeathlet den Raum: ernster Blick, frisch rasiert, wie bereits während der Kautionsverhandlung Ende Februar in edelstes Tuch gehüllt. Die Kleiderwahl ist wieder klassisch: dunkelgrauer Anzug, hellblaues Hemd, schwarz-weiß karierte Krawatte. Der Blade Runner wird von einem Blitzlichtgewitter empfangen, das er halb souverän, halb demütig über sich ergehen lässt: Nur wenige Zentimeter von den Linsen der unverfrorensten Fotografen entfernt steht er mehrere Minuten lang mit gesenktem Kopf still, Reue signalisierend. Er hat Reeva aus Versehen umgebracht, und es tut ihm leid – das ist die Botschaft, die alle Welt sehen soll.

Es folgt ein für Südafrika nicht ganz ungewöhnlicher Blitzprozessauftakt: Tag eins des mit Hochspannung erwarteten Verfahrens dauert gerade mal 16 Minuten. Die Staatsanwältin Andrea Johnson trägt dem Richter Daniel Thulare vor, was sie mit der Verteidigung zuvor vereinbart hat: einen Antrag auf Vertagung, um den Ermittlern Zeit zur Vollendung ihrer Arbeit zu lassen. Warum diese noch länger als die bereits verstrichenen drei Monate brauchen, braucht die Staatsanwältin gar nicht zu sagen: Am Kap der Guten Hoffnung fangen Verfahren oft erst ein Jahr nach der Tat an.

Der Prozess wird an Reevas Geburtstag fortgesetzt

Dafür ergreift der Richter noch die Gelegenheit, seinem Unmut über jüngste Veröffentlichungen zum Ausdruck zu bringen. Wenige Tage vor dem Prozessauftakt hatte ein britischer Sender Fotos von der blutverschmierten Toilette am Tatort publiziert, die eigentlich nur von den Ermittlern stammen können: Versuchten sie auf diese Weise ihr Salär aufzubessern? Thulare fordert die Polizei auf, der Sache nachzugehen: Die Integrität des Rechtswesens der Republik stehe auf dem Spiel.

Dann, um 9 Uhr 16, ist der Tag auch schon zu Ende. Thulare ordnet die Vertagung auf den 19. August an, bis dahin muss sich Pistorius an die inzwischen stark gelockerten Auflagen halten. Ob er alles verstanden habe, fragt der Richter noch. „Ja, euer Ehren“, sind die einzigen drei Worte, die Oscar Pistorius an diesem Morgen von sich gibt. Als er in das vor dem Gebäude wartende Auto steigt, das ihn zurück in die Villa seines Onkels bringt, stolpern die ihn verfolgenden Fotografen übereinander und klatschen auf den Asphalt.

Der 19. August, stellt sich später heraus, wäre Reeva Steenkamps 30. Geburtstag gewesen. Vielleicht hätten ihre Eltern das Terrain doch nicht allein den anderen überlassen sollen.