Die Freilassung des angeklagten Jugendlichen im Fall um den getöteten Joel sorgt beim Bürgermeister in der Gemeinde Pragsdorf für Entsetzen. Die Staatsanwaltschaft prüft, eine Beschwerde einzulegen.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Der Bürgermeister von Pragsdorf, Ralf Opitz, hat sich entsetzt über die Entscheidung des Landgerichts Neubrandenburg gezeigt, den angeklagten Jugendlichen im Fall um den getöteten Joel aus der Untersuchungshaft zu entlassen. "Ich kann das nicht verstehen", sagte Opitz am Freitag (16. Februar).

 

Er habe von der Entlassung von einem Bürger erfahren, der Kontakt zur Familie von Joel habe. Die Staatsanwaltschaft prüft derweil nach eigenen Angaben, "«gegen die Entscheidung über die Aufhebung des Haftbefehls" Beschwerde einzulegen.

Teenager soll sechsjährigen Joel erstochen haben

Im vergangenen September soll der damals 14-Jährige in Pragsdorf bei Neubrandenburg Joel geschlagen und erstochen haben. Der Jugendliche muss sich deshalb vor dem Landgericht Neubrandenburg wegen Totschlags verantworten. Ihm droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren. 

Die Kammer habe nach Prüfung des Haftbefehls keinen Haftgrund mehr erkannt, hatte ein Sprecher des Landgerichts Neubrandenburg am Donnerstagabend (15. Februar) erklärt. "Der Haftgrund war die Wiederholungsgefahr." Das Gericht ist nach Aussage des Sprechers jederzeit verpflichtet, während des Verfahrens zu prüfen, ob Gründe für eine Untersuchungshaft bestehen. Diese seien nach der Vernehmung von Zeugen am zweiten Prozesstag am Donnerstag nicht mehr festgestellt worden. Mit der Schuldfrage habe die Entscheidung nichts zu tun.

"Man kann nicht in seinen Kopf reingucken, was da vorgeht" 

Nachdem der Jugendliche verdächtigt wurde, war die Familie des Angeklagten aus Pragsdorf weggezogen. Wo die Familie nun lebt, ist nicht bekannt. Auch Pragsdorfs Bürgermeister Opitz sagte, er wisse es nicht. Durch die Entscheidung des Landgerichts, den Jugendlichen wieder freizulassen, werde das Sicherheitsgefühl in dem Dorf nicht gesteigert, so Opitz. "Man kann nicht in seinen Kopf reingucken, was da vorgeht." Es sei eine 24-Stunden-Überwachung nötig, um sicherzustellen, dass keine Wiederholungsgefahr bestehe. 

Der Fall um den getöteten Joel hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt. In dem Prozess fanden bislang zwei Verhandlungstage statt. Für den 27. Februar ist der nächste Termin angesetzt. Danach sind bis Ende März noch vier weitere Termine vorgesehen. Dann könnte es auch ein Urteil geben. Im Zusammenhang mit dem Fall ermittelt die Staatsanwaltschaft außerdem gegen den 17 Jahre alten Bruder des Angeklagten. "Die Ermittlungen dauern an", teilte die Staatsanwaltschaft am Freitag mit.

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Angeklagter war zum Tatzeitpunkt 14 Jahre alt

Das Ortseingangsschild der Gemeinde Pragsdorf im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte befindet sich an einer Straße. Foto: dpa/Christian Johner

Der Prozess findet wegen des jugendlichen Alters des Angeklagten unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Er war zum Tatzeitpunkt 14 Jahre alt. Ihm droht nun eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren. Zum Prozessauftakt sollten fünf Zeugen befragt werden - nach Angaben einer Sprecherin des Landgerichts aus dem Umfeld von Joel.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Jugendlichen vor, Joel am 14. September des vergangenen Jahres in der Gemeinde Pragsdorf bei Neubrandenburg mehrmals ins Gesicht geschlagen und mit einem Messer mit einer Klingenlänge von circa 15 Zentimetern siebenmal auf ihn eingestochen zu haben. Der Junge starb, was der Angeklagte zumindest billigend in Kauf genommen habe, so die Staatsanwaltschaft.

Seit dem 26. September 2023 sitzt der Verdächtige laut Landgericht in Untersuchungshaft. Er hatte sich in Widersprüche verstrickt, zudem wurde seine DNA-Spur am Tatmesser gefunden. Während der Zeit in der Untersuchungshaft zog die Familie des Teenagers nach Angaben der Polizei aus Pragsdorf weg.

Fragen, die vielleicht nie beantwortet werden können

Nach der Tat kamen viele Fragen auf. Fragen, die vielleicht nie beantwortet werden: Wie kann ein junger Mensch eine solch brutale Tat verüben? Wie kann jemand, der selbst noch im Jugendalter ist, ein Kind töten? Was ist das Motiv? Wo sind die Ursachen zu suchen? Im familiären oder sonstigen Umfeld? In der psychischen Entwicklung und Persönlichkeit des Tatverdächtigen? Lässt sich ein so extremes kriminelles Verhalten überhaupt rational erklären?

Über ein Motiv ist bislang immer noch nichts bekannt. Ob sich der Angeklagte im Verlauf des Prozesses zu den Vorwürfen äußern wird, bleibt abzuwarten. Er sitzt seit dem 26. September in Untersuchungshaft. Nach dem Auftakt sind in dem Prozess zunächst sechs weitere Fortsetzungstermine vorgesehen.

Einem Gutachten zufolge ist der Jugendliche schuldfähig. „Nach dem Ergebnis der forensisch-psychiatrischen und entwicklungspsychologischen Begutachtung des Angeschuldigten ist die Staatsanwaltschaft von seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit überzeugt“, heißt vor wenigen Wochen in einer Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft.

Wenn Kinder töten

Bei schweren Gewalttaten wie Mord und Totschlag sind Jugendliche vergleichsweise selten Tatverdächtige.

  • 206 Personen im Alter von 14 bis 17 Jahren werden für das Jahr 2022 in der Polizeilichen Kriminalstatistik mit sogenannten Straftaten gegen das Leben in Verbindung gebracht.
  • 19 Kinder unter 14 Jahren waren außerdem tatverdächtig bei solchen Straftaten.
  • Zum Vergleich: Insgesamt verzeichnet die Statistik im vergangenen Jahr 3539 tatverdächtige Personen aus allen Altersgruppen bei Straftaten gegen das Leben, zu denen auch fahrlässige Tötung oder nicht erlaubte Schwangerschaftsabbrüche zählen.

Schwere Gewalttaten von Jugendlichen

Bundesweit für Schlagzeilen haben in diesem Jahr aber einige Fälle gesorgt, bei denen Teenager ebenfalls Minderjährige getötet haben sollen:

  • Ein 14-Jähriger soll im September 2023 im fränkischen Lohr am Main einen Gleichaltrigen erschossen haben.
  • Eine 12-jährige aus Freudenberg in Nordrhein-Westfalen wurde im März 2023 durch zahlreiche Messerstiche getötet. Zwei Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren haben die Tat gestanden.
  • Ein 14-Jähriger soll im Januar 2023 einen gleichaltrigen Jungen in Wunstorf bei Hannover erschlagen haben.
  • Ein 17-Jähriger soll ebenfalls im Januar 2023 in Weisendorf nahe Mittelfranken seine jüngere Schwester mit einem Messer getötet und seine Mutter schwer verletzt haben.