In „Der Bote“ von Dieter Paul Rudolph ist das Deutschland der Zukunft ins 19. Jahrhundert zurückgefallen und hat kaum noch Wasser. Gemordet wird aber noch.

Stuttgart - Der betagte Herr Magister geht gern in der Natur spazieren. „Zum Wellen, verstehen Sie? Zum Fitten, gelt?“ Der Kriminalrichter, dem er das erläutert, ist an solchen Begründungen nicht interessiert. Zum einen kann er mit den Vokabeln nicht viel anfangen, die der Alte da verwendet. Zum anderen bringen ihn harmlose Erklärungen für außergewöhnliches Verhalten nicht weiter. Der Ermittlungsbeamte ist in Dieter Paul Rudolphs Roman „Der Bote“ aus der Stadt in den abgelegenen Weiler Bannkies gekommen, weil der Magister beim Spaziergang auf die Leiche eines dem Augenschein nach Erschlagenen gestoßen ist. Niemand in Bannkies will diesen Mann kennen, nirgends ringsum ist ein ähnlicher Mensch als vermisst gemeldet.

 

Wir befinden uns in „Der Bote“ aber nicht auf dem vertrauten Boden des Provinzkrimis. Dass der Kriminalrichter mit den krummhobligen Eindeutschungen Wellen und Fitten nichts anfangen kann, liegt daran, dass der Magister Sprachreste einer versunkenen Epoche verwendet. Der Kriminalrichter ist im Jahre 2168 nach Bannkies gekommen, wo man, wie überall im Lande, die kargen Wasservorräte als größten Schatz der Gemeinde hütet.

Erwärmung und Verdummung

Die heftig erwärmte Welt scheint große Umwälzungen hinter sich zu haben. Die Gesellschaft befindet sich sprachlich, gedanklich und technisch auf dem Stand eines deutschen Provinzwinkels des frühen 19. Jahrhunderts. Erinnerungsreste an andere Epochen und deren Errungenschaften werden zwar in Märchenform weitergegeben, aber seriöse Menschen wie der Kriminalrichter halten derlei Geschichten für Volksverdummung.

So ernst es Rudolph mit der Frage nach der Genauigkeit unserer Geschichtsbilder sein mag, so wenig ernst nimmt er den Leserwunsch nach Fiktionen, die in Realismusanspruch einlullen. Rudolph, der das Genre-Blog „watching the detectives“ führt, reibt sich schon lange an den Konventionen und Gefälligkeiten gängiger Krimis. Zudem zieht er als Literaturhistoriker gegen den Irrglauben zu Felde, Deutschland besitze keine Tradition der Kriminalliteratur. Als Herausgeber macht er in Buchform und im Netz vergessene Krimis des 19. Jahrhunderts wieder zugänglich, und in „Der Bote“ stichelt er nun, diese alten Krimis könnten so sehr aus unserer Zukunft wie aus unserer Vergangenheit erzählen.

Science Fiction und Provinz

Aber Rudolph hält nicht nur ein Kabel der historischen Kriminalerzählung an ein Kabel der Science-Fiction und freut sich über den Funkenflug. Er stellt noch einen anderen literarischen Kurzschluss her. „Der Bote“ ist wohl die bisher konsequenteste Hommage an die Provinzgeschichten Arno Schmidts diesseits der Satire.

Die Sprache ist bei Rudolph zwar zurückgenommener als bei Schmidt. Zwei ineinandergeschobene Ich-Erzählungen, die des distanziert korrekten Kriminalrichters und die eines zunächst namenlos bleibenden Beobachters, schildern uns aber exakt jene Konfrontation gebildeter Außenseiter mit der Ländlichkeit, die wir von Schmidt kennen.

Dass der Ruppigere der beiden Erzähler nicht ins rustikale Szenario einer zurückgefallenen Welt passt, dass er im Versteck von einem Computer aus E-Mails sendet, bleibt dabei nicht die einzige Erschütterung der fiktiven Welt. Rudolph unterminiert die Gewissheit, ein Krimi bewege sich vom Rätsel zur Aufklärung. Je mehr er aufklärt, desto rätselhafter wird alles, bis die Erzählung im Surrealen angekommen ist, als sei diese einfache Welt die Schleife eines Computerspiels. Was nun abstrakt klingen mag, aber höchst vergnüglich zu lesen ist.

Dieter Paul Rudolph: Der Bote. Conte Verlag, Saarbrücken. 170 Seiten, 11,90 Euro.