Die Regierungschefs von Deutschland und Russland gedenken in Moskau gemeinsam der Opfer des Krieges. Ihre Meinungsverschiedenheiten in der Ukraine-Krise bleiben allerdings bestehen.

Moskau - Blumen schon an der Gangway, als Angela Merkel auf dem Regierungsflughafen Wnukowo in Moskau landet. Mit leichter Verspätung, die Kolonne setzt sich daher zügig in Bewegung Richtung Kreml. Denn dort harrt Gastgeber Wladimir Putin, um gemeinsam mit der Kanzlerin am Grabmal des Unbekannten Soldaten Blumen niederzulegen.   Die Bilder vom gemeinsamen Weg zum Kreml, wo beide sich mit Schülern ablichten ließen, wirken wie Fotos einer intakten Großfamilie. Die Realität ist eine andere.

 

Merkel kam nicht zu den eigentlichen Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des Sieges, denen fast alle westlichen Regierungschefs fernblieben. Weil Moskau aus ihrer Sicht Stärke mit der bisher größten Militärparade demonstrieren wollte. Neben dem „derzeitigen Aggressor“ zu stehen, sei doppelbödig hatte Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk mit Blick auf die Ukraine-Krise erklärt. Vor allem um sie ging es auch beim anschließenden Gespräch. Nach dem Dank für Merkels Worte der Reue kam der Kremlchef schnell zum Hier und Heute. Es gebe „bestimmte Probleme“ in den deutsch-russischen Beziehungen und in den Beziehungen zu Europa im Allgemeinen. Je schneller ihre negativen Auswirkungen beseitigt würden, desto besser sei es. Russland werde sich darum bemühen.

Die Kanzlerin ist die wichtigste Gesprächspartnerin

Die Kanzlerin ist derzeit Moskaus wichtigste Gesprächspartnerin im Westen. Das russische Staatsfernsehen hatte sogar versucht, den Merkel-Besuch zu einer Geste gegen den Rest Europas umzudeuten. Andere Beobachter sahen in der Reise eine Art Befreiungsschlag angesichts wachsenden Drucks wegen der NSA-Affäre und durch die deutsche Wirtschaft. Immerhin sank das Volumen des gegenseitigen Handelsaustausches durch Sanktionen und Gegensanktionen allein im ersten Quartal um über 35 Prozent. Vor dem Hintergrund einer zunehmend engen Kooperation zwischen Moskau und Peking sollte Europa vorsichtig sein, um den russischen Markt nicht zu verlieren, warnen auch Analysten. Doch Merkel machte Hoffnungen auf einen deutschen Sonderweg in der Ukraine-Krise im Kreml mit einem einzigen Satz zunichte: Thema sei auch die territoriale Integrität der Ukraine. Ohne deren Erhalt aber ist eine auch von Europa akzeptierte politische Lösung des Konflikts undenkbar.

Wie sie aussehen könnte – und das war auch gestern das eigentliche Problem – regelt das Minsker Protokoll, auf dessen strikte Einhaltung Moskau wie Berlin bestehen, nicht einmal in Ansätzen. Kiew und die pro-russischen Separatisten in der Ostukraine hatten es nach Verhandlungen der Präsidenten Russlands, Frankreichs und der Ukraine sowie der deutschen Bundeskanzlerin im Februar in der weißrussischen Hauptstadt unterzeichnet. Es sieht eine Waffenruhe und den Abzug der schweren Technik von der Front vor. Beide Seiten warfen der jeweils anderen hernach mehrfach Vertragsbruch vor.

Merkel kritisiert die Annexion der Krim

Annäherung wurde auch gestern, wenn überhaupt, nur im Millimeterbereich erzielt. Merkel wirkte müde und enttäuscht auf der anschließenden Pressekonferenz: sie sei in einer „nicht einfachen Phase“ der deutsch-russischen Beziehungen gekommen, um sich vor den Millionen Opfern zu verneigen. Sowjetunion und Rote Armee hätten die Hauptlast bei der Zerschlagung des Faschismus getragen. Der Sieg habe jedoch nicht allen Freiheit gebracht. Erst 40 Jahre später sei die Teilung Europas überwunden worden. Das Erreichte hätte jedoch durch die Annexion der Krim einen „schweren Schlag“ erlitten. Der Zweite Weltkrieg lehre aber auch, dass nur eine politische Lösung möglich ist. Man werde zusammen mit der OSZE daran arbeiten. Bei der Realisierung der Minsker Protokolle, so Merkel, müssten Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine erhalten werden. Es gebe keine Erfolgsgarantie für Minsk aber etwas Besseres habe man derzeit nicht. Trotz aller Probleme habe man auch über die „Annäherung der Wirtschaftsräume“ EU-Russland gesprochen. Die Idee dazu hatte einst Russland. Putin indes zitierte ausführlich aus einer Mitteilung, die seine Presseleute vorab an die in Moskau akkreditierten Auslandskorrespondenten verschickten und hatte wenig Neues zu bieten. Er verteidigte aber dafür den Hitler-Stalin-Pakt, der wegen der Quasi-Teilung Polens das Verhältnis Osteuropas zu Russland bis heute belastet. Moskau habe ihn nur geschlossen, weil der Westen sowjetische Versuche zur Schaffung einer antifaschistischen Koalition ablehnte. Um Ängste vor Russland abzustreifen, sollte Europa den Blick nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft richten.