Das Gericht gibt dem verunglücktem Motorradfahrer die Schuld für den Unfall. Er war mit seiner frisierten Maschine doppelt so schnell wie erlaubt unterwegs.

Leonberg - Es war ein richtiges Splitterfeld, das sich den Rettungskräften auf der B 295 geboten hatte. Ein Motorradfahrer war von Leonberg kommend in Richtung Ditzingen unterwegs, als er ungebremst in das Heck eines Fiats krachte. Für den 34-Jährigen kam jede Hilfe zu spät, er erlag noch an der Unfallstelle seinen schweren Kopfverletzungen. Der Autofahrer musste sich jetzt am Leonberger Amtsgericht wegen fahrlässiger Tötung verantworten und wurde freigesprochen.

 

Als die Richterin ihn von dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung freisprach, ließ der angeklagte Mann aus Schwetzingen seinen Gefühlen freien Lauf und brach in Tränen aus, dann fiel er seinen Eltern, die der Verhandlung beigewohnt hatten, in die Arme. Auch wenn dies am Tod des Motorradfahrers aus Leonberg freilich nichts änderte, fiel dem Angeklagten eine Riesenlast von den Schultern, war doch nicht er für den folgenschweren Zusammenprall im Mai vor einem Jahr verantwortlich.

165 km/h statt der erlaubten 80 km/h

Der 25-jährige Student hatte damals einen Bekannten besucht und war mit dem Auto seiner Mutter auf dem Heimweg nach Schwetzingen, da merkte er auf der B 295 in Richtung Leonberg, dass er sich verfahren hatte. Er bog in den Tilgshäuslesweg ein, um zu wenden. Und just als er wieder auf die Straße kam, knallte ihm der Motorradfahrer ins Autoheck hinein. Nur einen Schlag wollte er damals vernommen haben, ließ der Mann über seinen Anwalt verlesen, gesehen habe er das Motorrad nicht.

Aber wie auch, war dies doch dem technischen Sachverständigen zufolge kaum möglich. Laut seinen Berechnungen war der verunglückte 34-Jährige mit einer Mindestgeschwindigkeit von 165 Stundenkilometern aus Leonberg unterwegs – erlaubt waren auf der Strecke 80. Wie der Fachmann für Unfallanalyse ausführte, war die Rennmaschine zudem auch noch „technisch manipuliert“. Ein sogenannter Dezibelkiller, der zur Geräuschreduktion dient, wurde entfernt – damit war das Motorrad nicht für den Straßenverkehr zugelassen. „Durch den Aufprall wurde der Kleinstwagen bis zur Kopfstütze des Fahrersitzes eingedrückt und 50 Meter nach vorne katapultiert“, sagte der Dekra-Experte.

Laut dem Sachverständigen hatte der Biker noch versucht, abzubremsen – ohne ABS per Vorderradbremse. „Bei dieser Geschwindigkeit trat aber die Blockierung nicht ein, das Motorrad ging senkrecht hoch und flog dann in dieser Position ins Heck des Autos“, berichtete der Gutachter. Der Fahrer habe nur 3,6 Sekunden Zeit gehabt, um zu reagieren, als der Fiat etwa 130 Meter vor ihm aufgetaucht sei. „Hätte er sich an die zulässige Geschwindigkeit gehalten, dann hätte es ausgereicht, dass er nur vom Gas geht, um den Sicherheitsabstand nicht zu unterschreiten“, sagte der Sachverständige und betonte: „Der Zweiradfahrer hat nur durch seine extrem überhöhte Geschwindigkeit den Unfall verursacht.“

Gericht sieht die Sorgfaltspflicht nicht verletzt

Hätte der Autofahrer das Motorrad aber vielleicht doch sehen müssen? „Es lässt sich nicht ausschließen, dass mit dem letzten Pkw der Kolonne, die an dem im Tilgshäuslesweg wartenden Angeklagten vorbeigefahren war, die Sicht eingeschränkt wurde“, erklärte der Fachmann. Doch darin sah das Gericht keine Verletzung der Sorgfaltspflicht. „Bei einer Sichtweite von 130 Metern kann man Ihnen diese nicht vorwerfen, Sie konnten mit dem Motorrad nicht rechnen“, sagte Richterin Jasmin Steinhart und konstatierte: „Der Unfall war für Sie nicht vermeidbar.“ Mit ihrem Urteil schloss sie sich auch der Forderung der Oberstaatsanwältin an.

Der Schwetzinger, der den schweren Unfall damals mit einem Schleudertrauma glimpflich überstand, leidet eigener Aussage nach bis heute an den psychischen Folgen. Wie dieser erklärte, sei er wegen Depressionen krankgeschrieben, weshalb er auch seinen Studentenjob aufgeben musste. Um seine Probleme in den Griff zu bekommen, sei er dabei, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. „Seit dem Unfall versuche ich, den Straßenverkehr zu meiden“, hatte der 25-Jährige unter Tränen in der Verhandlung gesagt.