In den 80ern hat Chase Carey den TV-Sender Fox in den USA zu einem führenden Sportkanal entwickelt. Eine ähnliche Strategie will der Manager nun auch bei der Formel 1 anwenden. Wichtigstes Ziel ist, junges Publikum für die Motorsport-Königsklasse zu gewinnen.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Stuttgart - Bernie Ecclestone hätte es ahnen können. „Ich bin ein bisschen zu alt, um ein Lehrling zu sein“, sagte Chase Carey, als sich im Herbst 2016 abzeichnete, dass er für Liberty Media die Macht in der Formel 1 übernehmen würde. Chase Carey ist kein Azubi, auch wenn der Medienmensch wenig bis nichts von Motorsport versteht, vom DRS (Drag Reduction System = klappbarer Heckflügel) nichts weiß und die Aerodynamikgesetze nicht kennt – weshalb es Ecclestone hätte dämmern können, dass seine Tage auf dem Thron des Formel-1-Schlaraffenlandes gezählt sind. Schon in Singapur 2016, als Carey erstmals im PS-Zirkus auftrat, prügelten sich die TV-Teams um die Pole-Position beim US-Amerikaner, Ecclestone wurde dabei fast umgerannt. Es war erwartbar, dass Liberty Media und Carey den 86 Jahre alten Zampano als Geschäftsführer absetzen würden – als Trostpflaster wurden ihm der Posten des Seniorberaters sowie der Titel des Ehrenpräsidenten verpasst.

 

Charles G. Carey, der von seinen Gesprächspartnern nur Chase genannt werden möchte und um seinen Geburtsort ein Geheimnis macht, ist mit seinen 62 Jahren im Geschäftsleben erfahren. In Verhandlungen kann er sich so hart verhalten wie ein vier Wochen altes Brot, an dem man sich die Zähne ausbeißt. Vielleicht hängt diese Zähigkeit mit dem Unfall zusammen, in den er in seiner Studentenzeit verwickelt war. Carey flog durch die Frontscheibe und blieb irgendwie am Leben, der Kommilitone, der am Steuer saß, hatte weniger Glück. Der gezwirbelte Schnauzer von Carey, so wird tuschelnd kolportiert, verdecke eine Narbe, die von diesem Crash herrühre. Offiziell bestätigt hat der Manager diese Gerüchte nie.

Erfolg ist der stetige Begleiter von Chase Carey

„Der Lebenslauf von Chase ist beeindruckend“, meinte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff, kurz nachdem Liberty Media die FOG (Formula One Group) für geschätzte acht Milliarden Euro übernommen hatte. Harvard-Absolvent Carey stieg 1988 ins Medienimperium von Rupert Murdoch ein und mehrte die Millionen sowie den gesellschaftlichen Einfluss des TV-Konglomerats. Carey machte vor allem den Sender Fox im Sport salonfähig, indem er sich die Rechte der Football-Liga NFL für 1,6 Milliarden Dollar sicherte. Erfolg war sein stetiger Begleiter, schließlich galt Carey als engster Vertrauter von Murdoch, mit dem er nicht blutsverwandt ist. „Wenn mir etwas zustoßen würde, könnte er sofort übernehmen“, sagte Murdoch vor fünf Jahren einmal.

Im Motorsport ist Chase Carey im Auftrag von John Malone unterwegs, dem Präsidenten von Liberty Media, an der der 76-Jährige 32 Prozent der Anteile hält. Die Strategie, mit der Carey seinerzeit Murdochs Fernsehsender mit Sportrechten aufgepeppt und für jüngere Menschen attraktiv gemacht hat, könnte ihm als Blaupause dienen. Schließlich will er nun auch der Formel 1 einen Jugendstil verpassen. „Die Probleme sind überall“, kritisierte er gleich nach seiner Machtübernahme Ecclestones Geschäftspolitik, „wir vermarkten den Sport nicht, wir ermöglichen es den Fans nicht, sich auf den verfügbaren Plattformen mit dem Sport zu verbinden. Unsere Sponsorenbeziehungen sind eindimensional, die Events fühlen sich altmodisch an.“

Spätestens damit war jedem klar, dass Carey kein unsicherer Lehrling ist, der sich von Seniorberater Ecclestone noch irgendwelche Tipps holen müsste. Er weiß die Zahlen in den Geschäftsbüchern richtig zu interpretieren und hat schnell erkannt, dass die Formel 1 seit fünf Jahren nicht mehr gewachsen ist. „Das volle Potenzial wird nicht ausgeschöpft“, betonte er, „wir müssen gemeinsam mit unseren Partnern das Bestmögliche aus dem Sport herausholen.“ Mit Partnern meint der neue Chefvermarkter der Königsklasse: Teams, Sponsoren, Rennstreckenbetreiber und alle Motorsport-Fans.

Es wird keine Autokratie mehr geben wie in der Ära von Mister E., als jeder Deal hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde. Carey schwebt eine fruchtbare Symbiose mit allen Beteiligten und größtmöglicher Transparenz vor. Die Großen Preise sollen Events mit viel Drumherum werden, über Antrittsgagen und Einnahmenverteilung soll neu diskutiert sowie die Vermarktungskanäle neu strukturiert werden. Die Aufgabenliste für Carey ist mindestens so umfangreich wie das technische Reglement der Formel 1, das auf 104 Seiten niedergeschrieben steht. Und auch garantiert so verzwickt.

Auf Showbusiness verstehen sich die neuen Bosse

Vor 2020, bevor die aktuelle (mit Ecclestone geschlossene) Vereinbarung ausläuft, dürfte es Casey schwerfallen, den Rückwärtsgang einzulegen – alle Beteiligten müssten Änderungen zustimmen. Da ist es wahrscheinlicher, dass Mercedes den Stern vom Silberpfeil entfernt. Dennoch sind Optimismus und Aufbruchstimmung in der Szene groß. „Ich denke“, sagt der zurückgetretene Weltmeister Nico Rosberg, „Liberty Media kann ein wenig Würze hineinbringen . Vielleicht können sie das Ganze ja sogar ein bisschen amerikanisieren – auf Showbusiness verstehen sie sich.“

Das nötige Spezialwerkzeug, um die zeitweiligen Aussetzer und kleinen Beulen der Rennserie wieder zu richten und den Motor dann schließlich auf höhere Touren zu frisieren, hat der neue Meister im Gepäck. Ratschläge von seinem Vorgänger über die Art der Reparatur dürften ihm so wichtig sein wie Wollhandschuhe in der Sauna, Charles G. Carey dürfte wissen, was er zu tun und zu lassen hat – auch wenn sein Blut keine 98 Oktan hat. „Die Liebe zum Rennsport ist das Letzte, was man für diesen Job braucht. Du brauchst Geschäftssinn. Nur darum geht es“, sagte ein fähiger Promoter einst. Er hieß Bernie Ecclestone.