Die Krise des Formel-1-Rennstalls Mercedes-GP sieht Motorsportchef Norbert Haug gelassen. Er glaubt weiterhin an sein Team.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - Das gute Stück steht im ersten Stock der Motorsportabteilung des Daimler-Konzerns in einer Vitrine. 80 Zentimeter lang, ein Relikt aus besseren Zeiten: der McLaren-Mercedes von Mika Häkkinen. Ein Modell des Rennwagens, mit dem der Finne 1998 Formel-1-Weltmeister wurde. Das Auto hat damals Ferrari und Michael Schumacher besiegt. Damals ließ der Mercedes-Motorsport Norbert Haug nach Häkkinen-Erfolgen im Fahrerlager immer stilsicher guten Rock auflegen. Ab und zu spielte er dazu Luftgitarre.

 

Kaum vorstellbar, dass der 59-Jährige dies heute wieder tun würde. Norbert Haug, der ehemalige Journalist aus Pforzheim, seit 21 Jahren Chef der Rennabteilung, ist ruhiger geworden, abgeklärter. Heute sitzt er in seinem Fellbacher Büro, vierter Stock, es gibt Kaffee aus einer silberfarbenen Thermoskanne. Aus seiner Tasse steigt der Dampf auf. Fernab des kreischenden Formel-1-Wahnsinns kommt Haug am Schreibtisch zu sich, hat Zeit zum Nachdenken, zum Analysieren. Er spricht über Rundenzeiten, über Lichtblicke und Niederlagen - und die ewig quälende Frage nach dem Warum. Woran liegt es, dass sein Rennstall in der Krise steckt. Den letzten WM-Titel fuhr Mercedes als Partner des britischen Formel-1-Teams McLaren im Jahr 2008 ein. Danach kam nichts mehr.

Drei Fahrertitel und eine Konstrukteursweltmeisterschaft gewann Mercedes in dieser Konstellation. Der McLaren-Teamchef Ron Dennis hatte innerhalb der deutsch-britischen Partnerschaft das Sagen, er hat die Stuttgarter mehr benutzt als geschätzt, war auf das Geld aus. Dennis hätte niemals einen deutschen Piloten ins Auto gesetzt, Haug schon. Und so blieb den Stuttgartern nichts anderes übrig, als die Finnen Mika Häkkinen und Kimi Räikkönen oder die Briten David Coulthard und Lewis Hamilton als jeweils exakt die gewünschten Fahrer zu bezeichnen. Der Daimler-Konzern, so hieß es, sei ein Global Player.

Schon die ersten Rennen waren ernüchternd

Nach dem Kauf des Rennstalls Brawn-GP vor fast zwei Jahren ist Norbert Haug endlich Chef der eigenen Formel-1-Mannschaft. Er verpflichtete zwei deutsche Piloten: das Supertalent Nico Rosberg und den Star Michael Schumacher. Der Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche rief damals bei der Präsentation der Fahrer die Geburtsstunde der "deutschen Formel-1-Nationalmannschaft" aus. Premiummarke, Premiumpiloten - was konnte da denn noch schiefgehen?

Schon die ersten Rennen 2010 waren jedoch ernüchternd - und seither hat sich Mercedes-GP nicht wirklich erholt. Stillstand. Platz vier in der Konstrukteurswertung im Jahr 2010, gerade mal Vierter 2011 - mehr war nicht drin. Misserfolge rufen in der geschwätzigen Szene die Spötter auf den Plan. Entweder gefeiert oder verhöhnt, so werden die Leistungen in der Branche nun einmal beurteilt. Ein Reporter beschrieb das Mercedes-Dilemma mit zynischen Worten: "Schumacher ist der einzige Formel-1-Zuschauer der Welt, der so ein Rennen aus dem Cockpit verfolgen darf."

Häme, Spott, Kritik - Norbert Haug kann inzwischen damit leben. "Die, die am meisten leiden, die sitzen in Fellbach, Brackley und Brixworth, denn wenn man weiß, wie es sich anfühlt, ein Sieger zu sein, tut man alles dafür, dort wieder hinzukommen", sagt der Sportchef. Unruhe will er nicht aufkommen lassen. Sebastian Vettels Red-Bull-Team habe erst im sechsten Jahr den Titel gewonnen, im fünften gelang Schumacher der erste Erfolg bei Ferrari. "Wer sich in diesem Geschäft nicht in Geduld übt und nervös wird, weil alles noch nicht so weit ist, der arbeitet gegen sich und für den Gegner", sagt Haug und mahnt zur Gelassenheit. Von außen sei es sicherlich leicht zu sagen, man habe mehr erwartet. "Aber wir müssen uns das erarbeiten", weiß Haug. Sein Team liege nicht weit weg vom Spitzenteam Red Bull, und doch ist der Unterschied am Ende der gut 300 Kilometer beträchtlich. Zuletzt beim Großen Preis von Indien kam Michael Schumacher als Fünfter eine Minute und fünf Sekunden hinter dem Sieger Sebastian Vettel ins Ziel. Er wurde aber auch schon überrundet.

An Schumacher liegt es nicht

Dass Michael Schumacher so etwas einmal passieren würde - er selbst hätte das wohl am wenigsten geglaubt. Er kann es aber nicht ändern. An ihm liegt es nicht. Immer wieder findet der schon 42 Jahre alte Rennfahrer zur Spitzenform zurück. In Spa und Monza zog er im September mit exzellenten Rennen eine Show ab, die die Fachwelt verzückte: Der alte Schumi ist wieder da, hieß es. Doch das Problem lässt sich nicht ausblenden: Red Bull, McLaren und Ferrari fahren vorneweg, dahinter dreht Mercedes einsam seine Kreise.

Haug spricht von einem "Siegerhaus", ein vierter Platz kann deshalb nicht der Anspruch sein. Die Erwartungen nicht zu erfüllen belastet also doppelt schwer. Vor wenigen Jahren beklagte sich mal der Betriebsrat über das kostspielige Formel-1-Engagement. Nur Siege können in den eigenen Reihen die Wogen glätten. Der Trend führt vor dem vorletzten Saisonrennen am Sonntag in Abu Dhabi zwar leicht nach oben, doch das Grundproblem hat das junge Team in seinen ersten beiden Jahren nicht in den Griff bekommen. Schuld ist nicht der Motor, schuld ist das Chassis.

Der Radstand ist zu kurz, dadurch liegt der Schwerpunkt des Autos höher - so sind die hohen Kurvengeschwindigkeiten der Konkurrenten nicht möglich. Hat eine Rennstrecke 15 Kurven, muss ein Mercedes-Pilot also 15-mal ein bisschen früher bremsen, das macht pro Biege einen Verlust von einer Zehntelsekunde aus. Auf der ganzen Runde verlieren Schumacher und Rosberg auf diese Weise im Vergleich zu Sebastian Vettel also 1,5 Sekunden - eine Ewigkeit ist das in der Rennbranche. Nach einer Stunde ist das Team überrundet.

Haug will deutsche Formel-1-Familie zusammenhalten

"Wir waren vor allem in schnellen Kurven nicht ganz so gut, um es mal auf einen konkreten Fakt runterzubrechen", sagt Michael Schumacher ziemlich gelassen, "doch wir arbeiten daran." Er hat den Glauben an bessere Zeiten noch nicht verloren. "Sowohl in England als auch im Daimler-Konzern haben sie so viel Knowhow und Passion, dass ich sehr zuversichtlich in die Zukunft schaue."

Norbert Haug hört solche Sätze gerne. Auf zwei wichtigen Ingenieursposten hat sich das Team verstärkt, mit Nico Rosberg wurde der Vertrag bis 2013 verlängert - doch was wird aus Schumacher? Im nächsten Jahr gilt es. Nur wenn der Rekordweltmeister wieder Podestplätze einnehmen kann, wird er seinen 2012 auslaufenden Vertrag vielleicht verlängern.

"Podestplätze wären ein Schritt in die richtige Richtung und eine Bestätigung unseres Kurses", sagt der Pilot. Er will zunächst den ersten Schritt machen, bevor er über einen neuen Vertrag nachdenkt. Frontmann Haug möchte derweil die deutsche Formel-1-Familie unbedingt zusammenhalten - doch dazu muss der Schwabe dem Rheinländer erst einmal das richtige Auto hinstellen.