Der Maichinger Rennfahrer Hans Herrmann hat schwere Unfälle und eine Entführung überlebt – auch das hat ihn neben großen Siegen zur Legende gemacht. Am Freitag feiert „Hans im Glück“ seinen 90. Geburtstag.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - Hereinspaziert in die gute Stube! Am Esszimmertisch seines Bungalows am Ortsrand von Maichingen sitzt Hans Herrmann bereits am Kopfende. Die große Scheibe in seinem Rücken lässt einen Blick in den üppigen und mit Hingabe gepflegten Garten zu. Durch das Tor in der Hecke entwischt Herrmann manchmal und schnappt im Wald ein bisschen nach frischer Luft. Links vom Esszimmer befindet sich die Halle mit dem Swimmingpool. So haben sie in den sechziger und siebziger Jahren nun einmal die Eigenheime der Besserverdienenden konzipiert. „Ich ziehe im Schwimmbecken noch jeden Tag meine Bahnen“, sagt der Gastgeber, „denn wir wollen hier noch eine Weile bleiben.“

 

Wir, das sind er und seine Frau Madeleine, und das Hier ist die Erde. Hans Herrmann feiert am Freitag seinen 90. Geburtstag – und er sitzt immer noch bester Dinge in seiner geräumigen, sehr gemütlichen Bleibe. Andere Weggefährten leben nicht mehr, wieder andere sind in Pflegeheimen untergebracht – Hans Herrmann klagt allenfalls über Hüftprobleme. Doch dieser Glückspilz des Lebens hockt irgendwie immer noch an seinem angestammten Platz im Esszimmer – sozusagen als Herr im Haus. Wenn seine zehn Jahre jüngere Frau Madeleine mal kurz nach dem Rechten schaut, dann bittet der Göttergatte sie in dieser unnachahmlich schwäbischen Art, mit freundlichen Worten am Ende dann doch sehr deutliche Ansagen zu machen, seinen Erzählfluss jetzt bitte nicht zu stören.

Siege und Dramen

Augenzwinkernd zieht sich Madeleine zurück, denn sie kennt ihren Hans, weil sie sich vor 60 Jahren innenander verliebten – und immer noch zusammenhalten wie am ersten Tag. Er hat ja auch viel zu erzählen, dieser größte Rennfahrer, den Baden-Württemberg vorzuweisen hat: Siege, Dramen – aber vor allem das Spiel mit dem Tod.

Der Tod, er spielt tatsächlich chronisch eine Rolle im Leben von Hans Herrmann. Das hat nur wenig mit seinem stolzen Alter zu tun („Ich weiß, es geht nicht mehr lange, deshalb bin ich für jeden Tag froh“), aber er hat sehr viel zu tun mit seiner bewegten Vita. „Hans im Glück“ nennen sie ihn noch heute. Weil er 1959 auf der Avus in Berlin beinahe von seinem Rennwagen erschlagen worden wäre – das ist nur eine von zahlreichen kritischen Situationen in seinem Rennfahrerleben. Und entführt, das haben sie ihn auch.

In Maichingen holten ihn 1991 Verbrecher aus seinem Haus heraus. „Mann, hatte ich Angst“, erinnert sich Herrmann und ist überzeugt davon, dass die Situation kurz vor der Eskalation stand. „Gott sei Dank habe ich den beiden Männern, die auf mich losgegangen sind, in dem Gerangel nicht die Masken heruntergerissen“, sagt die Rennfahrerlegende, „sonst würden wir hier heute nicht am Tisch sitzen.“ Die Peiniger hätten mit ihm womöglich kurzen Prozess gemacht. Gegen ein Lösegeld kam Herrmann später wieder frei.

Viel zu holen gab es nicht

So wirklich viel zu holen gab es bei dem Ex-Piloten nicht. Zu Wohlstand brachte er es durch seine rasanten, teils halsbrecherischen Fahrten ganz sicher nicht, eher schon nach der PS-Karriere als Verkäufer von Autozubehör. In der Formel 1 war Herrmann in den 50-er Jahren Teamgefährte des argentinischen Ausnahme-Fahrers Juan Manuel Fangio bei Mercedes. 1970 gewann der Schwabe im berühmten, rot-weiß-lackierten Porsche 917 die 24 Stunden von Le Mans. Das sind nur zwei der zahlreichen sportlichen Stationen, die den vielseitigen Piloten Herrmann zum PS-Helden machten – in Zeiten, in denen Rennen wie Mille Miglia, Targa Florio und Carrera Panamericana, die er alle gewann, zu den herausragenden Veranstaltungen des Motorsports gehörten.

Viele Freunde sind verunglückt

Hans Herrmann ist einer dieser echten Kerle gewesen, die in dem Bewusstsein ins Auto kletterten, die Rennstrecke womöglich im Leichenwagen zu verlassen. In seiner aktiven Zeit sind jedes Jahr ein oder zwei Kollegen und Freunde tödlich verunglückt. Wolfgang Graf Berghe von Trips, Ricardo Rodriguez, Lorenzo Bandini, Jim Clark oder Jo Siffert, um nur einige zu nennen, sie alle kamen auf der Piste um. „Ich habe schon ein saumäßiges Glück gehabt“, sagt Herrmann und klopft beherzt auf den Tisch – während im Garten ein paar Vögel nahrhaftes unter der Schneedecke suchen.

Heldentaten am Lenkrad

Für seine Heldentaten am Lenkrad gab es Ruhm und Ehre, aber auch die heute noch bestehenden Verpflichtungen als Markenbotschafter bei Mercedes und Porsche. Die Konzerne richten oft die Feierlichkeiten für die großen Geburtstage ihres „Schwabenpfeils“ aus, am Freitagabend sind im Fellbacher Klassik-Zentrum die Mercedes-Leute dran. Hans Herrmann würde nie in die Falle tappen, die sich auftut, wen er gefragt wird, welches Auto denn das Bessere sei. Sein Urteil würde bei Porsche oder Mercedes niemanden verstimmen. „Ich wusste da immer, dass ich mit soliden Autos unterwegs war“, sagt er und hält die Fahnen beider Fabrikate gleich hoch. Taktisch clever verrät er nur das: „Die Autos von Maserati und Lotus waren im Hinblick auf die Technik anfälliger.“

Hans Herrmann ist einer der berühmtesten Formel-1-Piloten, die nie Weltmeister wurden, doch aber galt er als Hochbegabung in zahlreichen Disziplinen des Rennsports. Ganz dicke Kumpels des gebürtigen Stuttgarters wie etwa Harry Valérien oder „Blacky“ Fuchsberger leben nicht mehr – doch Herrmann wird jetzt 90. Noch heute hat er einen sehr guten Draht zu Wolfgang Porsche, und die ehemaligen Ski-Größen Rosi Mittermaier und Christian Neureuther stehen auf der Gästeliste für den runden Geburtstag am Freitagabend. Sogar die schwedische Schlagersängerin Bibi Johns hat ihr Kommen zugesagt. Sie und Herrmann waren mal ein Paar.

„Bum-Budi-Bum, das kann gefährlich sein“ hatte Johns 1961 gesungen – und damit ihrem Freund ganz wunderbar aus der Seele gesprochen. Wenn sie diesen Song bei der großen Party nochmal anstimmt, dann ist der Hans im Glück – und zwar total.