MT Melsungen bei SG BBM Bietigheim Taktik-Tüftler Parrondo und seine Triple-Jäger sind wieder da

Der spanische Trainer Roberto Garcia Parrondo gibt seinen Spielern Dainis Kristopans, Erik Balenciaga und Nikolaj Enderleit (v. li.) Anweisungen. Foto: www.imago-images.de/IMAGO/Eibner-Pressefoto / Roland Sippel

Die MT Melsungen hat vor dem Spiel gegen die SG BBM Bietigheim in der Liga, im DHB-Pokal und in der European League noch Titelchancen. Entscheidender Erfolgsbaustein ist Trainer Roberto Garcia Parrondo. Wie tickt der spanische Taktik-Tüftler?

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Es war eine Abreibung der allerübelsten Sorte. Nach dem 32:42 am 21. März beim HSV Hamburg war nicht nur die Bundesliga-Tabellenführung der MT Melsungen futsch. Manche in der Handballszene begannen schon wieder zu spotten über die „Geldverbrenner“ aus Nordhessen und prognostizierten dem von den Millionen des ortsansässigen Pharmariesen B. Braun unterstützten Handball-Unternehmen wieder einmal ein Abrutschen Richtung Grauzone.

 

Samstag bei der SG BBM

Doch weit gefehlt. Zwei Wochen später ist die MT wieder da. Und wie! Nach der Schmach von Hamburg folgte in der Liga ein 27:22 gegen den deutschen Rekordmeister THW Kiel, und am vergangenen Dienstag gelang durch ein 29:25 im Rückspiel gegen den VfL Gummersbach das Weiterkommen auf der internationalen Bühne. Nun ist vor dem Spiel an diesem Samstag (19 Uhr/Ege-Trans-Arena) bei Aufsteiger SG BBM Bietigheim wieder alles drin. „Das zeigt ganz deutlich, wie gefestigt diese Mannschaft geworden ist, wie dieses System inzwischen greift“, sagt Bietigheims Sportlicher Leiter Jochen Zürn vor dem ungleichen Duell.

Im Pokal-Halbfinale gegen HBW

In der Liga steht die MT als Tabellendritter nur einen Punkt hinter Spitzenreiter Füchse Berlin. Im DHB-Pokal winkt beim Final Four in Köln am 12./13. April das Endspiel (im Halbfinale geht’s gegen Zweitligist HBW Balingen-Weilstetten), und im European-League-Viertelfinale steht Ende April das Duell gegen Bidasoa Irun an, den Tabellendritten der spanischen Liga.

Deutsche Meisterschaft? Double? Triple? Gar nichts? Möglich ist alles. Aber eines steht fest: Aus einem lange Zeit fehlgeleiteten Projekt mit utopischen Gehältern und unglaublichen Fehlgriffen, in dem Starspieler die Erwartungen konsequent untererfüllten, wurde ein Spitzenteam geformt. Der entscheidende Erfolgsfaktor bei diesem beeindruckenden Wandel ist der Trainer: Roberto Garcia Parrondo. Der Spanier hat mit Vardar Skopje schon die Champions League gewonnen, die ägyptische Nationalmannschaft führte er zweimal zur Afrikameisterschaft und zu WM-Platz vier (2021).

Schrittweiser Umbau

Im Sommer 2021 nahm der 45-Jährige dann seinen bisher schwersten Job an. Mit Ehefrau Maria del Carmen, genannt Mamen, und den Töchtern Leyre und Ainhoa zog er in die Provinz, räumte mit der Unterstützung von Sportvorstand Michael Allendorf den Kader auf. Er bekam das Vertrauen, den Kader nach seinen Vorstellungen umzubauen. Der gebürtige Madrilene warf dabei nicht von jetzt auf nachher alles über den Haufen. Schritt für Schritt bastelte sich der spanische Taktik-Tüftler sein Team zusammen.

Zwei Spieler stechen dabei hervor. Parrondos nur 1,69 Meter großer Landsmann Erik Balenciaga steuert als verlängerter Arm des Trainers das Spiel, der lettische Linkshänder Dainis Kristopans (2,15 Meter) zieht die Gegenspieler auf sich, bringt trotz seiner riesenhaften Länge Tempo und Beweglichkeiten mit, sorgt für Räume für seine Mitspieler und schließt auch selbst diszipliniert ab. Groß und klein – das passt fein! Weil sie nicht nur Parrondos Ideen, sondern auch das spanische System bereits kannten.

Ganz anderer Typ als Romero

„Die spanische Handballschule braucht Zeit, bis man sie verinnerlicht hat, weil grundsätzliche Dinge, etwa in der 6:0-Abwehr, komplett anders sind“, weiß Jochen Zürn aus eigener Erfahrung. Auch seine SG BBM benötigte unter Iker Romero (44) drei Jahre, bis der Sprung in die erste Liga gelang. Wie Romero findet auch Parrondo einen guten Zugang zu den Spielern, auch wenn die beiden Landsleute nach außen grundverschieden wirken: hier Parrondo, der stille, introvertierte Stratege, dort Romero, der brodelnde Vulkan voller Emotionen.

Harte Arbeit gehört für beide zum Alltag. Parrondos Vater fuhr in Madrid Doppelschichten als Taxifahrer. Das hat ihn geprägt. Genauso wie die Liebe zur Musik. Wenn er mit seinem exzessiven Videostudium fertig ist, setzt sich Parrondo schon einmal ans Klavier oder greift zur Gitarre. Auch bei der MT schafft er es, die richtigen Töne zu treffen, damit die großen Namen endlich auch ihr Potenzial ausschöpfen und regelmäßig an ihre Leistungsgrenze gehen. In einem Interview mit „handball-world“ hat er die frühere Mentalität in bemerkenswert offenen Worten kritisiert: „Die MT wurde die Komfortzone für viele Spieler. Sicher: Gewinnen wollten sie schon. Aber sie bewegten sich in einem wenig leistungsorientierten oder -förderlichen Umfeld.“ Zu selten habe man von den Akteuren gefordert, Widerstände zu überwinden.

Transfercoup mit Golla

Wohlfühloase – das war einmal. Trotz vieler Ausfälle, sogar Kreisläufer Felix Danner (39) musste aus der Handball-Rente zurückgeholt werden, ist die MT auf einem guten Weg, ihren Titelfluch zu beenden. Da passt es ins Bild, dass spätestens im Sommer 2026 der äußerst ambitionierte Nationalmannschaftskapitän Johannes Golla (27) aus Flensburg nach Melsungen zurückkehrt. Dies belegt eindrucksvoll die neue Strahlkraft des Clubs. Was vor allem an dem spanischen Mastermind an der Linie liegt.

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