Unbezahlbare Ausstellungen, fehlende Strukturen, lausig entlohnte Mitarbeiter – im Münchner Haus der Kunst haben grausige Zustände geherrscht. Der neue kaufmännische Direktor Bernhard Spies hat viel zu tun.

München - Hauptsache, das Schaufenster ist gut bestückt, dann läuft der Laden. Da unterscheidet sich eine Kunsthalle kaum von einem Ladengeschäft. Entsprechend bitter ist die kurzfristige Absage einer großen Ausstellung wie das kürzlich im Haus der Kunst in München der Fall war. Joan Jonas, die prominente Video- und Performance-Pionierin, hätte dem maladen Kunsttanker in jeder Hinsicht gut getan, zumal das Haus seit Monaten immer wieder in die Schlagzeilen gerät. Von der langjährigen Beschäftigung eines mutmaßlichen Scientologen bis zum Rücktritt seines Direktors Okwui Enwezor reichen die Aufreger-Themen.

 

Die Absage der Jonas-Schau wurde mit der „schwierigen finanziellen Situation“ begründet, die aus „Managementfehlern der Vergangenheit“ resultiere. Am Ende fehlten rund 140 000 Euro, trotz Sponsoren und außerplanmäßigen Mitteln, die der Freistaat lockergemacht hatte. Und die Zahlen aus Enwezors Amtszeit, die inzwischen bekannt geworden sind, sprechen eine deutliche Sprache. Für die im Herbst 2016 gestartete Mega-Ausstellung „Postwar: Kunst zwischen Pazifik und Atlantik, 1945–1965“ waren ursprünglich 1,2 Millionen Euro eingeplant worden, am Ende hat sie mit 4,5 Millionen Euro fast das Vierfache gekostet.

Der neue kaufmännische Direktor zog die Notbremse

Bremsen wollte offenbar niemand, dabei konnte ein Teil der um die halbe Welt gereisten Werke mangels Platz nicht einmal gezeigt werden – das muss man im Haus der Kunst mit seinen riesigen Dimensionen erst einmal schaffen. Und selbst Monate nach der Finissage forderte keiner der Aufsichtsräte den überfälligen Wirtschaftsprüfungsbericht. Vielmehr sonnte man sich im Erfolg, die Schau war imposant, bot unzählige unbekannte Positionen. Enwezor schien fest entschlossen, nicht nur die Sinne der Besucher zu überfluten, sondern vor allem Kunstgeschichte zu schreiben. Dass sich der international vernetzte Kurator nur mehr auf die Ausstellungsinhalte konzentrierte, mochte auch an seinem gesundheitlichen Zustand liegen. Damit begründete er Anfang Juni auch seinen Rücktritt. Zu diesem Zeitpunkt hatte aber längst ein neuer kaufmännischer Direktor die Notbremse gezogen.

Bernhard Spies hat beträchtliche Erfahrung mit der Rettung von Pleitekandidaten: Vor zehn Jahren holte er die Bundeskunsthalle in Bonn aus den roten Zahlen, seit April beschäftigt er sich damit, das Haus der Kunst aus der finanziellen Schieflage zu führen. Das ist stellenweise ein Tappen im Dunkeln. Die Buchführung sei zwar „ordentlich gemacht worden“, betont der 68-Jährige, allerdings habe man nicht festgehalten, welche Aufträge vergeben wurden und in Zukunft noch bezahlt werden müssten. „Dass sich ein Mitarbeiter innerhalb eines klaren Budgets zu bewegen hat, wurde eher nicht eingefordert.“

Enwezors Führungsstil setzte nicht auf Teamgeist

Genauso war Enwezors Führungsstil dem Teamgeist im Haus wenig zuträglich, die Einschätzung der Fachreferenten schien kaum zu interessieren. Dazu kam das dauernde Verhandeln und Absprechen auf Englisch. Selbst die kleinsten Notizen mussten übersetzt werden, Enwezor hatte grundsätzlich die Zweisprachigkeit angeordnet. Natürlich ist es im internationalen Ausstellungsbetrieb längst üblich geworden, dass sich Kuratoren und Kunstmanager vornehmlich auf Englisch austauschen. Aber wenn das von einer ganzen Belegschaft bis in buchhalterische Details hinein verlangt wird, schleichen sich nicht nur Missverständnisse ein. Man braucht nur wenig Fantasie, um sich den immensen, durchaus kostspieligen Übersetzungsaufwand vorzustellen.

Enwezor, der seinen Posten Anfang Juni wegen einer Krebserkrankung vorzeitig aufgegeben hatte, hat jetzt in einem „Spiegel“-Interview mit seinen Kritikern abgerechnet. Er zeigte sich enttäuscht, dass „die Leistungen und Erfolge von sieben Jahren unter den Teppich gekehrt“ würden, der Abschied sei eine „Beleidigung“ gewesen. Der ehemalige Leiter des Hauses der Kunst glaubt, das liege auch an seiner Herkunft. „Ich sehe mich grundsätzlich nicht als Opfer von irgendwas. Aber es ist durchaus denkbar, dass meine Herkunft, auch mein Äußeres manchen zu Projektionen verleiten. Ich beobachte sehr wohl, wie ich kulturell abgewertet werde.“ Im Übrigen sei das Haus der Kunst „chronisch unterfinanziert“, und die umstrittenen Mitarbeiter hätten schon dort gearbeitet, als er angefangen habe. Er habe aber nicht nur finanzielle Unterstützung vermisst, sondern auch moralische.

Vorwürfe sexueller Belästigung

Marion Kiechle, die bayerische Kunstministerin, bedauerte Enwezors Kritik, wie sie am Sonntag in München sagte. „Die kuratorischen Leistungen von Herrn Enwezor für München und Bayern und das internationale Renommee sind unbestritten.“ Vor dem Hintergrund des „einvernehmlich geschlossenen Auflösungsvertrags“ empfinde sie Enwezors im Nachgang geäußerte Sicht der Dinge indes als „bedauerlich“.

Bernhard Spies ist derweil erleichtert, dass die personellen Probleme vom Tisch seien. Sämtliche Mitarbeiter hätten das Formular, mit dem die Zugehörigkeit zur sektenartigen Organisation abgefragt wird, ausgefüllt – im Haus der Kunst war die Personalabteilung über viele Jahre von einem mutmaßlichen Scientologen geleitet worden. Auch die Vorwürfe sexueller Belästigungen seien aus der Welt, die betreffenden Mitarbeiter entlassen.

Was erst jetzt nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand benannt wird, ist ein Klima der Angst, das über Jahre an der Prinzregentenstraße geherrscht habe, kombiniert mit einer überwiegend schlechten Bezahlung. Deshalb kümmert sich Spies nicht nur um neue transparente Strukturen in der gemeinnützigen Betriebsgesellschaft, sondern auch um die Einführung eines Tarifs, vergleichbar dem im öffentlichen Dienst. Sieht man von der geplatzten Jonas-Ausstellung einmal ab, ist zu spüren, dass sich die Atmosphäre im Haus deutlich entspannt hat. Nicht zuletzt durch die Entscheidung der Kunstministerin, die den maroden Nazibau während der Generalsanierung nicht schließen, sondern in zwei Bauabschnitten verfahren will. Das würde die Entlassung der rund 75 Mitarbeiter verhindern. Offen ist bisher die Frage der künftigen künstlerischen Leitung. Diese Personalie wird aber wohl kaum vor der bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober entschieden. Die Kunstministerin hat die Besetzung zur Chefsache erklärt – „spätestens Anfang nächsten Jahres“ soll der oder die Neue gefunden sein.