Noch mehr Rätsel: Der vormalige Papst hat in seiner ersten Stellungnahme zum Münchner Missbrauchsgutachten „versehentlich“ gelogen. Was ging und geht in Joseph Ratzingers Gedankenwelt vor?

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Zeithistoriker tun sich selten einen Gefallen, wenn sie heute schon zu wissen glauben, was den Weltgeist morgen umtreibt. Timothy Garton Ash jedoch hatte Recht, als er im „Guardian“ 2005 seine Zweifel am frisch gewählten deutschen Papst anmeldete. Der „alternde, gelehrte, konservative, uncharismatische, bayerische Theologe“, schrieb Ash seinerzeit, werde „genau jene Entchristlichung Europas beschleunigen“, die er sich vorgenommen habe „aufzuhalten“. Dass Benedikt XVI. damit lange nach seiner Emeritierung beschleunigt fortfährt, bezeugt seit Ende vergangener Woche seine 82-seitige Antwort, die er als Stellungnahme zu einigen der hunderte von Fällen von sexuellem Missbrauch im Bistum München-Freising seit 1945 verfasst hat. Dokumentiert wurden sie von der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl. Ratzinger hatte zu seiner Münchner Amtszeit von 1977 bis 1982 mit verschiedenen Tätern aus dem Klerus zu tun und griff in deren Lebensläufe ein, wollte aber in entscheidenden Momenten nicht befasst gewesen sein, wie er zunächst wissen ließ.