Spitzenvertreter aus China, Russland und den USA liefern bei der Münchner Sicherheitskonferenz sehr konträre Vorstellungen ab. Intensiv werben sie um Europa als Partner – mit ganz unterschiedlichen Methoden.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

München - Gemessen an der Fluktuation in der US-Regierung um Präsident Donald Trump ist sein Vize Mike Pence ein Stabilitätsanker. Einen Monat nach dessen Amtsantritt gab er auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor zwei Jahren ein zweiteiliges Versprechen. Erstens: „Die Vereinigten Staaten bekennen sich unerschütterlich zum transatlantischen Bündnis.“ Und zweitens: „Wir werden an der Seite Europas stehen, heute und an allen Tagen, denn wir sind durch gemeinsame hehre Ideale verbunden – Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit.“ Nun scheint sozusagen der Zahltag für den damaligen Schulterschluss gekommen.

 

Am Samstagmittag erhebt der Vizepräsident im Bayerischen Hof massive Forderungen an die Europäer. Dies betrifft etwa das in der Nato vereinbarte Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben. Da habe man „dank der Führungsstärke von Präsident Trump“ schon „echtes Geld und echte Ergebnisse“ gesehen. Doch „die Wahrheit ist: Viele unserer Nato-Verbündeten müssen noch mehr tun.“ Washington erwarte von jedem Mitglied einen glaubwürdigen Plan, wie es das Ziel erreichen will. Zudem müssten bis 2024 „alle unsere Partner 20 Prozent der Verteidigungsausgaben in Beschaffungsmaßnahmen investieren“. Davon darf sich gerade die Bundesregierung angesprochen fühlen, die immer wieder die Bundeswehreinsätze als starken deutschen Anteil ins Feld führt.

Washington fordert zur Gefolgschaft auf

Auch die Gaspipeline Nordstream II ist Pence eine Mahnung wert: Er dankt allen Regierungen, die sich klar dagegengestellt hätten. „Wir möchten auch, dass andere Länder sich so positionieren.“ Denn „wir können nicht die Verteidigung unserer Verbündeten im Westen garantieren, wenn sie sich vom Osten abhängig machen.“ Und erst recht ruft der Vizepräsident die Verbündeten zum Rückzug aus dem Atomabkommen mit dem Hauptfeind Iran auf. „Es die Zeit gekommen, dass wir alle handeln und dass die Partner an unserer Seite zu stehen.“ Sie dürften die amerikanische Abkehr vom Atomabkommen nicht länger „unterminieren“. Klarer kann die Reaktion auf die gegensätzlichen Positionen von Kanzlerin Angela Merkel, seiner Vorrednerin, nicht ausfallen.

In quasi jedem dritten Satz bejubelt Pence seinen Chef – als würde er ein autoritäres Regime vertreten. „Mit einem klaren Fokus des Präsidenten und seiner Führungsstärke erneuern wir das Bündnis.“ Dank Trump werde die Zukunft der freien Welt heller und freundlicher als je zuvor. „Was für eine starke Botschaft“, staunt der Konferenz-Chef Wolfgang Ischinger.

China hält die globale Gemeinsamkeit hoch

In völligem Kontrast zum Amerikaner gibt sich Yang Jiechi, der Chef-Außenpolitiker der Kommunistischen Partei und chinesische Nummer eins auf diesem Feld, in vornehmer Zurückhaltung – wie ein Weichspüler nach dem Amboss. Yang, der zur gleichen Zeit wie Ischinger Botschafter in Washington war, betont die Absicht Pekings, eine Politik von Dialog, Gleichberechtigung und Konsultation zu betreiben. „Wir fördern die Win-win-Zusammenarbeit – ohne ideologische Vorurteile und ohne Einmischung.“ Jedes Land solle seine Entwicklung selbst wählen dürfen. Werte wie Respekt und Gerechtigkeit hält der Chinese hoch. „Unsere Welt steht am Scheideweg zwischen Multilateralismus und Unilateralismus.“ China habe den Multilateralismus immer unterstützt. Es stehe dafür, die internationale Ordnung gerechter zu machen und universelle Sicherheit aufrechtzuerhalten, sagt Yang mit Verweis auf den großen Beitrag bei UN-Peacekeaping-Aktionen. Sein Bekenntnis gipfelt in dem Sprichwort: „Ein Faden reiß leicht, aber 10 000 Fäden können ein Boot ziehen.“

Peking hat kein Interesse an Nuklearabkommen

Zuversichtlich zeigt er sich für die chinesisch-amerikanischen Handelsbeziehungen – sofern sie auf Koordination fußen. Für das Handelsdefizit Washingtons von 375 Milliarden Dollar macht er daher vor allem die Exportkontrollen der USA verantwortlich. „Wenn sie gelockert werden können, würde 30 Prozent des Handelsdefizits verschwinden.“ Und den Konflikt um den führenden Technologieanbieter Huawei versucht er mit dem Hinweis abzutun: „China verlangt von keiner Firma, nachrichtdienstliche Erkenntnisse zu sammeln – durch Hintertürchen oder wie auch immer.“

Auf die Nachfrage, ob seine Regierung auch für nukleare Rüstungskontrolle eintrete, stellt der Topdiplomat jedoch das nationale Interesse in den Vordergrund. „Wir lehnen eine Multilateralisierung des INF-Vertrags ab“, sagt er. Das Abkommen verbietet atomar bestückte Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern. Es habe der Welt gute Dienste geleistet und sollte nicht aufgegeben werden, meint Yang Jiechi. „Wir hoffen, dass die USA und Russland dahin zurückkehren.“ Chinas militärische Fähigkeiten dienten ohnehin ausschließlich defensiven Zwecken. „Wir stellen keine Bedrohung dar.“ Einige Nachbarländer machten sich Sorgen – aber diese seien „unbegründet“.

Russlands Außenminister enttäuscht von der EU

Ein weiteres Kontrastprogramm liefert der russische Außenminister Sergej Lawrow ab – ein Dauergast, dessen Politik jedes Jahr in München in der Kritik steht und der deswegen immer missmutiger erscheint. Zwar wiederholt Lawrow nicht seine düstere Diagnose einer Wiederbelebung des Kalten Kriegs, ruft die Europäische Union aber zum grundlegenden Kurswechsel gegenüber Moskau auf. „Das gesamteuropäische Haus braucht eine Generalsanierung.“ Seine Regierung habe ein Interesse an einer starken und offenen EU, doch die habe sich in eine sinnlose Rivalität mit Russland drängen lassen, sagt er zu den Sanktionen – mit Milliardenverlusten als Folge. „Praktisch gesehen verfügt die Europäische Union über keine Monopolstellung mehr bei der Gestaltung der gesamtregionalen Integration.“ Und die Chance auf eine partnerschaftliche Beziehung mit Russland sei verspielt worden – mit einer „zügellosen Erweiterung der Nato“ in Osteuropa etwa.

Der Außenminister fordert eine Sicherheitsgemeinschaft für den gesamten eurasischen Raum als Gegenmodell zu einer Zentrierung auf die Nato. Von einem gemeinsamen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok würden alle profitieren. Auch müsse die „universelle Zusammenarbeit“ im Rahmen der Vereinten Nationen gewahrt bleiben. Die UNO dürfe nicht durch einen „Club der Auserwählten“ ersetzt werden. Lawrow sei ein „Profi“ im Umgang mit der Kritik hat Ischinger zuvor noch gelobt. Nun mag dieser schon nicht mehr auf Fragen eingehen. „Egal, was ich antworte – sie schreiben sowieso, was sie wollen; also tun sie das einfach“, bürstet er einen Fragesteller ab. So könnte auch im Verhältnis Russlands zu Westeuropa alsbald ein noch gefährlicherer Zustand eintreten: die Sprachlosigkeit.