Lange hatte StZ-Volontärin Violetta Hagen davon geträumt, selbst eine Multimedia-Reportage schreiben zu können. Im Online-Ressort der StZ stieß ihr Vorschlag auf offene Ohren und sie stürzte sich in die Arbeit.

Stuttgart - Zwei Stunden schlug mich „Snow Fall“ in seinen Bann. Zufällig war ich im Internet auf die mit einem Pulitzer Preis ausgezeichnete Geschichte der New York Times über ein schweres Lawinenunglück in den USA gestoßen. Es war die erste Multimedia-Reportage, die ich bis dahin gelesen hatte, und ich war begeistert von den Möglichkeiten dieser Erzählweise: In Videos kamen Zeitzeugen des Unglücks zu Wort, animierte Karten zeichneten den Weg der Lawine nach, Infografiken und Fotos tauchten von selbst auf und verschwanden wieder. All diese Elemente rankten sich ganz selbstverständlich und intuitiv um eine höchst spannende Geschichte. 16 Mitarbeiter der Zeitung hatten ein halbes Jahr lang daran gearbeitet – und diesen Einsatz sah man sofort.

 
Violetta Hagen. Foto: Achim Zweygarth
Seit Februar 2014 arbeite ich als Volontärin im Online-Ressort der Stuttgarter Zeitung und bei Ressortleiter Tobias Köhler rannte ich mit meinem Vorschlag, für die Stuttgarter Zeitung eine eigene Multimedia-Reportage zu erstellen, offene Türen ein. Im April durfte ich einen Multimedia-Workshop an der Akademie für Publizistik in Hamburg besuchen. Und mir wurde versprochen: Du bekommst alle Zeit, die du brauchst. Eine seltene Ansage in Zeiten der Medienkrise.

Die Tragik dieser Geschichte berührte mich sofort

Die schwierigste Entscheidung war die Themenauswahl. Sie sollte komplex sein und natürlich in Stuttgart spielen. In dieser Zeit machte eine Kollegin mich auf eine schöne Multimediareportage der Augsburger Allgemeinen Zeitung aufmerksam: In „Die Augsburger Bombennacht“ wird anschaulich die Bombardierung der Stadt durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg erzählt. Auch die schwersten Luftangriffe auf Stuttgart jähren sich 2014 zum 70. Mal. Ich hatte mein Thema gefunden.

Nun fehlte noch ein Zugang, ein persönliches Schicksal, das meine Reportage verfolgen sollte. In der digitalen Geschichtswerkstatt der Stuttgarter Zeitung und des Stadtarchivs Stuttgart „Von Zeit zu Zeit“, in der Nutzer persönliche Erinnerungen und Zeitzeugenberichte veröffentlichen können, stieß ich schließlich auf die Geschichte der Bäckersfrau Anna Wagner aus dem Stuttgarter Westen. Ihr Enkel hatte einen ihrer Briefe dort eingestellt, in dem sie die verheerenden Angriffe auf Stuttgart im Juli 1944 schilderte. Wenig später, beim nächsten großen Angriff im September 1944, kamen Anna Wagner und ihr Mann ums Leben. Ihrem Sohn war es nicht gelungen, seine Eltern aus dem Keller zu retten. Es waren die Tragik dieser Geschichte und die einfachen und klaren Worte Anna Wagners, die mich sofort berührten.

Was dann folgte, war eine klassische Recherche: Ich suchte mir Rat von erfahrenen Kollegen, lieh mir Bücher über die Luftangriffe und verbrachte bald viele Stunden im Stuttgarter Stadtarchiv. Ich kontaktierte den Enkelsohn Anna Wagners, der mir umfangreiches Material zur Verfügung stellte.

Spannende und bedrückende Gespräche

Ein kleiner Mosaikstein meiner Geschichte sollte ein Video-Interview mit einem noch lebenden Zeitzeugen werden. Auf einen Aufruf in der Stuttgarter Zeitung meldeten sich zirka fünfzig Stuttgarter, die die Angriffe auf die Stadt noch in Erinnerung hatten. Sie erzählten traurige, teils schwer zu ertragende Geschichten. Für mich waren es spannende und bedrückende Gespräche, die mir noch lange durch den Kopf gingen.

Am Ende schnürte ich mein Bündel mit historischen Filmaufnahmen, Fotos, Dokumenten, dem Zeitzeugeninterview und dem Wichtigsten – meiner Geschichte – und schickte es an eine externe Firma, die alles zu einer Webseite zusammenbaute. Es folgte ein reger Austausch mit dem Programmierer und Web-Designer, bis alles so aussah, wie ich es mir vorgestellt hatte. Wichtig war mir vor allem, dass der Leser von der Reportage und ihren Elementen nicht überfordert wurde. Er sollte ganz frei entscheiden können, welche Zusatzelemente er sich anschauen wollte und welche nicht.

Zirka fünf Wochen habe ich mich fast ausschließlich mit der Multimediareportage beschäftigt. Dabei bekam ich viel Unterstützung von meinen Kollegen im Online-Ressort, die mir beim Videodreh, Korrekturlesen und der Werbung für das Projekt halfen.

Mein Fazit: Multimedia-Reportagen bieten eines der tollsten Formate, um eine komplexe Geschichte zu erzählen. Klar ist aber auch: Ohne viel Zeit und ein Team hilfsbereiter Kollegen lässt sich ein solches Projekt nicht realisieren. Für mich als Volontärin war es eine großartige Chance und ich hoffe sehr, dass ich in Zukunft noch die eine oder andere Geschichte auf diese Weise erzählen darf.

Hier geht es zur Multimedia-Reportage.